Abschiebung nach 35 Jahren
Auf dem Flug ins Nichts: Was bedeutet es für einen Menschen, der 35 Jahre lang in Deutschland gelebt habt, alles aufgeben zu müssen? © picture alliance / Daniel Kubirski
Ohne Menschlichkeit und Augenmaß
08:58 Minuten
Seit 35 Jahren lebt Pham Phi Son in Deutschland. Nun soll er abgeschoben werden. Eine Online-Petition hat binnen kurzer Zeit mehrere Zehntausend Unterstützer gefunden.
Der Chemnitzer Pham Phi Son kam 1987 als DDR-Vertragsarbeiter aus Vietnam nach Deutschland. Ihm droht nun die Abschiebung, weil er 2016 laut den Angaben von Unterstützern für mehr als sechs Monate zur ärztlichen Behandlung in Vietnam war. Die Härtefallkommission des Landes habe ein Bleiberecht abgelehnt, berichtet Alexander Moritz aus dem Landesstudio Sachsen.
Die sächsischen Behörden urteilen streng
Alle rechtlichen Optionen seien ausgeschöpft worden, sagt Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat. Versuche, die Niederlassungserlaubnis wieder zu erlangen, scheiterten sowohl beim Verwaltungsgericht Chemnitz als auch bei der sächsischen Härtefallkommission.
Der Ermessensspielraum werde immer wieder von den Behörden in Sachsen nicht genutzt, sagt Schmidtke. Man entscheide "besonders restriktiv" gegenüber Geflüchteten und Migrant*innen. Überdurchschnittlich oft werde beispielsweise eine Duldung nach Paragraf 60b ausgestellt, bei der die Behörden zugleich zur Ausreise aufforderten.
Daniel Thym ist Professor für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz. Er sagt: Jemand, der eine Niederlassungserlaubnis habe, dürfe eigentlich dauerhaft in Deutschland bleiben.
Er verliere das Aufenthaltsrecht nur, wenn er aus einem "der Natur nach nicht vorübergehendem Grund“ ausreise. Wenn es stimme, dass Pham Phi Son nur einer Behandlung wegen länger weg gewesen sei, entspreche das dem "klassischen Fall" eines vorübergehenden Grundes.
Eher Reform als Revolution
Mit dem von der Regierung geplanten "Chancen-Aufenthaltsrecht" werde es in Zukunft weniger Fälle dieser Art geben, meint Thym. Das Grundproblem bleibe jedoch bestehen: Auch in einem „modernen“ Einwanderungsland könne nicht jeder kommen oder bleiben. Das Vorhaben bedeute eher eine "Reform als eine Revolution".
Die Ampel-Regierung verspreche viel: ein besseres Bleiberecht und zugleich eine Abschiebeoffensive. Das sei durchaus widersprüchlich und entspreche womöglich nicht dem individuellen Rechtsempfinden.
(ros)