"Deutschland müsste mit Assad kooperieren"
Bayern und Sachsen fordern, über den Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Syrien zu diskutieren. Doch wären Abschiebungen überhaupt möglich? Der Krieg in Syrien sei noch nicht vorbei, sagt der Nahostexperte Michael Lüders. Er sieht auch politische Hürden.
Dieter Kassel: Bei der Innenministerkonferenz in der kommenden Woche wollen Bayern und Sachsen über den Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Syrien diskutieren und haben angeregt, die Sicherheitslage neu zu bewerten. Der Abschiebestopp soll dann erst mal nur noch um sechs Monate verlängert werden, nicht wie bisher stets um zwölf. Aber erlaubt die Lage in Syrien es tatsächlich schon, nach Deutschland geflüchtete Syrer wieder zurückzuschicken? Das wollen wir jetzt von Michael Lüders wissen, Politik- und Islamwissenschaftler. Schönen guten Morgen!
Michael Lüders: Schönen guten Morgen, hallo!
Kassel: Welche Gebiete in Syrien könnten die Innenminister denn eventuell tatsächlich als sichere Herkunftsgebiete betrachten?
Lüders: Grundsätzlich muss man sagen, der Krieg in Syrien ist noch nicht vorbei. Die Lage hat sich zwar beruhigt, vor allem deswegen, weil das Assad-Regime und seine Verbündeten, Russland und der Iran, weite Landesteile zurückerobert haben vom Islamischen Staat. Aber es gibt genauso gut auch Milizen, die aus den USA und den Golfstaaten finanziert werden, und die versuchen nun, dieses vom IS befreite Gebiet ebenfalls unter Kontrolle zu bekommen. Gleichzeitig gibt es weitere Spannungen mit den anderen Dschihadisten in Syrien und im Irak. Kurzum, die Lage ist noch nicht befriedet, aber sie ist immerhin besser geworden, als sie es noch vor einem und vor zwei Jahren war. Und vor diesem Hintergrund gibt es nun Überlegungen einiger Politiker, dass man zumindest straffällig gewordene syrische Flüchtlinge wieder nach Syrien abschieben könnte, das wahrscheinlich als erster Schritt, um dann generell Abschiebungen vorzunehmen in Richtung Syrien.
Kassel: Aber wie ist denn in den von der Assad-Regierung noch oder wieder kontrollierten Gebieten die Lage, mal jenseits der Sicherheitslage? Ich glaube, wir dürfen ja nicht vergessen, dass es nicht nur die syrischen Flüchtlinge in Deutschland und Europa gibt.
Lüders: Ja. Wenn wir uns die Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre mal angucken, dann muss man sagen, dass die allermeisten Flüchtlinge in Syrien Kriegsflüchtlinge sind, nicht politische Flüchtlinge. Die meisten Flüchtlinge in Syrien sind Binnenflüchtlinge, das heißt, sie haben sich aus den Gebieten der Opposition oder der Dschihadisten in Richtung der Gebiete unter Assad-Kontrolle geflüchtet. Dann haben wir darüber hinaus sehr viele Flüchtlinge in den Nachbarländern, vor allem in der Türkei, in Jordanien und im Libanon. Und der kleinste Teil der Flüchtlinge hat es geschafft bis nach Europa, bis nach Deutschland, wo etwa 700.000 Flüchtlinge leben.
Wirtschaftssanktionen der EU gegen Syrien
Die Lage in Syrien ist nach wie vor von Unsicherheit geprägt. Soweit wir wissen, werden aber Flüchtlinge, die zurückgekehrt sind, nicht vom Assad-Regime verfolgt. Wir haben mittlerweile eine halbe Million Flüchtlinge, die aus den Nachbarländern, die aus den Nachbarländern zurückgekehrt, vor allem nach Ost-Aleppo sind sie zurückgekehrt. Und die Schwierigkeiten der Menschen dort sind vor allem dadurch gegeben, dass es an allem mangelt. Die Städte sind vielfach zerstört, es gibt wenig Wasser, es gibt kaum Strom, es gibt wenig Lebensmittel. Und das hängt auch damit zusammen, was die wenigsten wissen, dass die Europäische Union und auch Deutschland sehr harte Wirtschaftssanktionen gegen Syrien verhängt haben, die mit zu den schärfsten gehören, die weltweit in Kraft sind. Und das Ergebnis ist, dass es der syrischen Regierung, dem syrischen Regime sehr schwer fällt, Materialien für den Wiederaufbau beispielsweise zu beschaffen.
Kassel: Damit sprechen Sie aber ein wichtiges Thema an. Deutschland hat ja keine diplomatische Beziehungen zum Assad-Regime im Moment. Wie könnte denn eine Rückführung – Sie haben es ja zu Recht noch mal betont, wenn überhaupt, reden wir von einigen wenigen syrischen Flüchtlingen, die in Deutschland straffällig geworden sind, aber wie könnte denn so eine Rückführung theoretisch überhaupt funktionieren?
Assad wird an der Macht bleiben
Lüders: Die Frage ist sehr berechtigt. Eigentlich kann das in der jetzigen Form nicht geschehen, denn eine Rückführung kann nur passieren, wenn es eine Kooperation gibt mit der jeweiligen Regierung des betreffenden Landes. Das gilt für alle Flüchtlinge, die egal wohin abgeschoben werden. Es gibt aber zurzeit keine diplomatischen Beziehungen zwischen Berlin und Damaskus. Und von daher wird die syrische Regierung natürlich aus ihrer Perspektive zu Recht sagen können, wir sind nicht bereit, diese Flüchtlinge zurückzunehmen.
Wenn natürlich Flüchtlinge gewillt sind, zurückzukehren nach Syrien, dann haben sie jetzt schon die Möglichkeit, dies zu tun. Aber die Bundesregierung müsste in dem Fall, dass man kooperieren will mit syrischen Behörden, die eigene Politik überdenken, und dann geht es auch um die Frage, will man mit dem Assad-Regime, das in den letzten Jahren sehr stark geächtet worden ist von westlicher Politik, wieder Beziehungen aufnehmen, ja oder nein? Denn die Frage stellt sich nicht mehr, ob er gestürzt wird oder nicht. Er wird an der Macht bleiben, und in den nächsten Jahren wird man sich wieder mit ihm arrangieren müssen. Das haben die Staaten in der Region auch schon begriffen, und sie versuchen, wieder Kontakte herzustellen. Also, es gibt hier eine ganze Reihe von Hürden, die es zu überwinden gilt.
Kassel: Und da spielen dann natürlich auch andere Länder eine Rolle, denn würde man irgendwie Kontakt mit Damaskus haben wollen im jetzigen Moment, ginge das doch vermutlich nur über Umwege über Moskau oder Teheran, oder?
Flüchtlinge können nicht ohne Perspektive bleiben
Lüders: Zum Beispiel. Natürlich gibt es immer noch eine diplomatische Mission, die sehr stark herabgestuft worden ist, eine syrische Mission in Berlin. Man kann, wenn man das will, sicherlich auch über die wieder Kontakt herstellen, aber es ist eben eine grundsätzliche Entscheidung – wie geht man um mit diesem Regime? Die westliche Politik war sehr klar, keine Kooperation. Jetzt ist aber eine neue Realität geschaffen. Das Regime bleibt an der Macht dank russischer und iranischer Unterstützung. Und nun muss man sich die Frage stellen, wie geht es weiter, auch mit den Flüchtlingen?
Es ist ja auch in der Anerkennung der Flüchtlinge ein riesiges Chaos geschehen in den vergangenen Jahren. Ein Teil ist als politischer Flüchtling anerkannt worden, andere genießen nur so genannten subsidiären Schutz, das heißt, sie können, wenn die Kriegshandlungen beendet worden sind, durchaus wieder abgeschoben werden, so wie man das auch mit den jugoslawischen Kriegsflüchtlingen in den 1990er-Jahren gemacht hat. Aber bei denen, die politischen Schutzstatus haben, wird es mit dem Abschieben natürlich deutlich schwieriger.
Und es ist also eine völlig offene Frage, welchen Weg die Regierung gehen will. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder die Bundesregierung sagt, gut, wir akzeptieren die rund 700.000 Flüchtlinge, die wir hier jetzt haben, und geben ihnen hier eine Zukunftsperspektive, oder aber man sagt, nein, wir tun das nicht, und wir führen sie perspektivisch gesehen wieder zurück in Richtung Syrien. Man muss sich aber für eines entscheiden. Man kann die Menschen nicht hier jahrelang behalten und ihnen keine Perspektive geben, vor allem ihnen nicht ermöglichen, hier zu studieren oder zu arbeiten.
Kassel: Die Innenminister Bayerns und Sachsens wollen so schnell wie möglich über eine Aufhebung des generellen Abschiebestopps für Flüchtlinge aus Syrien diskutieren und die Sicherheitslage, wie es dann so schön heißt, neu bewerten. Wie sie im Moment zu bewerten ist, darüber haben wir mit dem Nahostexperten Michael Lüders gesprochen. Herr Lüders, vielen Dank fürs Gespräch!
Lüders: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.