Abschied von der Schreibschrift
Die Sprecherin des Bayerischen Elternverbandes, Ursula Walther, sieht im Verzicht auf die Schreibschrift keinen Kulturverfall. Die Druckschrift sei im Alltag viel weiter verbreitet. Laut einer Umfrage würden viele Eltern die Schreibschrift auch für nicht besonders leserlich halten.
Dieter Kassel: In Hamburg ist es ab Beginn des neuen Schuljahrs, das ist in einer knappen Woche, am nächsten Donnerstag schon, ab diesem neuen Schuljahr also möglich, an Grundschulen nur noch die sogenannte Grundschrift – eine schreibbare Variante der Druckschrift – zu unterrichten, und auf die Vermittlung einer echten Schreibschrift – das war bisher in aller Regel die sogenannte vereinfachte Ausgangsschrift – zu verzichten.
Und wenn man in den letzten Wochen bundesweit in die Zeitungen geschaut hat, dann hatte man den Eindruck, dass deshalb ein Kulturkampf ausgebrochen ist, so erzürnt sind viele bei diesem Gedanken. Da liest man dann Stimmen von Schriftexperten, Buchautoren, Schauspielern, Didakten und Kulturwächtern. Aber was sagen eigentlich die Eltern? Genau das hat der Elternverband Bayern wissen wollen, denn auch in Bayern ist der Verzicht auf das Vermitteln der Schreibschrift grundsätzlich bald möglich. Am Telefon begrüße ich deshalb jetzt die Sprecherin des Bayerischen Elternverbands Ursula Walther. Schönen guten Morgen, Frau Walther!
Ursula Walther: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Können sich denn die vielen Kritiker dieser Grundschrift auf die bayrischen Eltern verlassen? Sind die auch alle gegen einen Verzicht auf Schreibschrift?
Walther: Hätten die Kritiker unsere erste kurze Umfrage im Vorstand miterlebt, dann hätten sie gesagt: Ja, die unterstützen uns! Die Reaktion war nämlich genau so: Oh Gott! Kulturverfall! Und als wir dann ein bisschen drüber gesprochen haben und nachgefragt haben, was, welche Kultur verfällt denn da gerade, da kamen die Eltern auf einmal drauf: Das ist möglicherweise doch ganz anders! Und das war für uns der Grund, mal die Basis zu fragen. Wir konnten natürlich jetzt keine Erkenntnisse bereits erwarten, denn es kennt ja keiner die Grundschrift. Es hat ja keiner ein Kind, das die Grundschrift bereits in der Schule gehabt hätte. Wir haben also die Eltern gefragt: Wie stellt ihr euch vor, wie das sein würde, wenn eure Kinder nicht mehr gezwungen sind, die Schreibschrift zu lernen, sondern nur noch die Druckschrift lernen? Und da kamen ganz interessante Ergebnisse raus.
Kassel: Was denn zum Beispiel?
Walther: Die Tendenz ging zunächst dahin, zu vermuten, dass die Feinmotorik leidet. Und wenn man dann gefragt hat, wie schreiben denn eure Kinder jetzt, bei der Druckschrift verwenden sie ja auch die Hand und den Stift. Ja, war dann die Reaktion, stimmt eigentlich. Also, die Feinmotorik könnte wohl nicht das Problem sein. Und die nächste Frage, die entscheidende, wenn es nämlich um eine leserliche Schrift geht, da waren alle Eltern einig: Das, was unsere Kinder, die älteren, bis jetzt gelernt haben in der Schule, leserlich ist das nicht! Und die haben ja alle Schreibschrift gelernt!
Kassel: Haben denn die Eltern – und ich frage das aus einem sehr konkreten Grund – haben die Eltern denn wirklich begriffen, was mit diesen Veränderungen, wie sie in Hamburg vorgesehen sind, wie sie in Bayern möglich sein werden, wie sie in Bremen, in Nordrhein-Westfalen, in Baden-Württemberg vereinzelt getestet werden, was da wirklich passiert, haben die das begriffen?
Walther: Die haben das sozusagen in der zweiten Runde begriffen. Die haben dann nämlich gemerkt: Es geht gar nicht drum, die Schreibschrift komplett abzuschaffen, sondern es geht nur drum, die nicht mehr zu erzwingen. Und dann kam die Idee: Na, das könnte man doch zum Beispiel als Wahlfach anbieten, man könnte die Alternative auch ... oder im Kunstunterricht, meinetwegen Kalligraphie oder sonstige schöne Schriften; das alles ist ja nach wie vor möglich! Es geht ja nicht drum, das zu verbieten. Es geht nur einfach drum, eine Schrift zu haben, mit der man gut und schnell leserlich schreiben kann.
Kassel: Haben denn die Eltern Angst davor – weil darauf möchte ich hinaus –, das, was wir bisher an den meisten Schulen haben, ist die sogenannte vereinfachte Ausgangsschrift, alternativ dazu – das hat was mit der DDR-Geschichte zu tun – gibt es noch die sehr, sehr ähnliche Schulausgangsschrift. Man muss ja ein bisschen auf dieses Wort achten: Ausgangsschrift! Haben die wirklich verstanden, dass es darum geht, Menschen schreiben beizubringen, auf welche Art und Weise auch immer, damit die nachher ihren eigenen Schreibstil entwickeln?
Walther: Das haben die dann schon – nach einer Weile haben sie es sozusagen begriffen und haben auch aus ihrer eigenen Erfahrung ... ich meine, wenn man die Eltern fragt: Wie schreibt ihr denn selber? Dann sagen die: Na ja, wenn ich schnell und leserlich schreiben muss, dann schreibe ich so was wie eine Mischung aus Druckschrift und Schreibschrift, das heißt, ich nehme drei Buchstaben, verbinde ich, und dann mache ich einen Absatz und dann verbinde ich wieder zwei Buchstaben. Im Grunde ist ihnen langsam klar, dass das einfach nur eine Vorstufe ist, um selber ne Handschrift zu entwickeln, und dass das nicht davon abhängt, ob ich das jetzt zwangsweise als verbundene Schrift in der Schule gelernt hab. Die haben auch ihre Kinder zum Beispiel befragt. Spontane Reaktion von Jugendlichen: Oh, wir ziehen nach Hamburg, dann müssen wir nicht diese blöde Schreibschrift schreiben!
Kassel: Aber diese blöde Schreibschrift wird natürlich von einigen als Kulturgut hochgehalten. Schriftsteller zum Beispiel: Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff hat das Ganze in der "Welt", in der Tageszeitung "Die Welt" pure Idiotie genannt, der Verein deutsche Sprache sagt: Wenn die Grundschulen die Anweisung bekommen, die Schreibschrift nicht mehr lehren zu müssen, dann gibt es diese Schrift in einigen Jahrzehnten nicht mehr. Waren denn auch Eltern dabei, die solche Bedenken teilten?
Walther: Am Anfang schon, aber sie haben dann eingesehen: Es schreibt ja kein Mensch mehr mit so einer Schrift. Ich glaube auch nicht, dass die Schriftstellerin ihre Werke mit dieser Schrift schreibt. Die schreibt wahrscheinlich mit einem Computer – vielleicht gibt es noch einige, die es nicht tun. Aber es kam öfter aus der Elternschaft dann auch die Anregung: Ah, das ist ja klasse! Wenn wir jetzt die Schreibschrift nicht mehr als zeitfressenden Unterrichtsteil haben, dann könnten die ja – und das wäre genial! – einfach mal vernünftiges Tastaturschreiben lernen, dann würden die sich nicht dermaßen quälen wie wir Erwachsenen, die dann vorm Rechner sitzen und nicht richtig schreiben können.
Kassel: Das ist, auch wenn es vielleicht manchen überrascht, wahrscheinlich eine sehr naheliegende Idee. Ich darf aus dem Nähkästchen plaudern: Nach dem Gespräch mit dem Hamburger Schulsenator – das war vorgestern im Programm – hier geführt haben, haben viele auch im Haus gesagt: Na ja, aber wenn da Zeit ist, dann könnte man doch vielleicht mal – dauert ja nicht lange – zwei, drei Monate lang das Zehnfingersystem unterrichten, und dann können das die Schüler! Das heißt, auch ihre bayrischen Eltern wünschen sich da mehr Praxisnähe?
Walther: Ja, auf jeden Fall, und es kam übrigens auch – das fand ich auch einen interessanten Aspekt – von verschiedenen Seiten der Hinweis, wenn wir zum Beispiel Legastheniker haben oder Kinder, die sich mit Lesen und Rechtschreiben schwertun, die haben es viel, viel leichter, Fehler an dem eigenen Geschriebenen zu erkennen, wenn das keine Schreibschrift, sondern eine Druckschrift ist, deswegen tun die sich auch am Rechner leichter.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur gerade mit der Sprecherin des bayrischen Elternverbandes, Ursula Walther, über eine kleine, natürlich nicht ganz repräsentative Umfrage unter bayrischen Eltern, was die denn davon hielten, wenn man in Zukunft auf das Vermitteln echter Schreibschrift an den Schulen verzichtet und dafür nur die Grundschrift einführt. Es gibt, Frau Walther, was diesen Streit in Hamburg angeht, noch ein anderes Gegenargument, da wurde selbst der Schulsenator auch ein bisschen nachdenklich, nämlich das Eltern oft sagen: Wir wollen nicht, dass mit unseren Kindern ständig experimentiert wird. Seit Beginn des Pisadebakels wird ständig irgendwas geändert und wieder zurückgenommen und jedes Schuljahr ist anders. Gab es diese Bedenken bei Ihnen auch?
Walther: Ja, die gibt es aber in jeder Hinsicht, das bezieht sich nicht nur auf die Schrift. Die Eltern plädieren eigentlich immer dafür, dass möglichst viel Freiheit gegeben wird, und das sehen wir als Verband genau so. Wenn sich jetzt also eine Schule entschließt, eine Grundschule in Bayern entschließt, wir machen das eben in Zukunft mit der Grundschrift so, dann wäre es durchaus sinnvoll, wenn sich das Schulforum – so heißt bei uns das, was bei einigen anderen Ländern Schulkonferenz heißt – wenn sich das zusammensetzt, da sind die Eltern drin, da sind – wenn man Glück hat – auch in der Grundschule die Schüler drin, und dann beschießt gemeinsam: Machen wir das mit der Schrift so, oder machen wir das nicht? Und wenn das ein gemeinsamer Beschluss ist, dann ist das auch stressfrei!
Kassel: Das heißt, so wie das übrigens in Hamburg tatsächlich gemacht wird, und zum Teil Nordrhein-Westfalen, dass man nur sagt: ihr könnt jede Schrift der Welt unterrichten, solange das funktioniert. Das ist das, was Sie sich wünschen, und nicht zum Beispiel in Bayern ein Gesetz, das ganz klar sagt: Es muss Grundschrift unterrichtet werden.
Walther: Ja, genau das wäre das Richtige. Einfach genügend Freiheit geben, denn die Leute vor Ort wissen doch am Besten, was für sie passt.
Kassel: Ich muss zugeben, dass der Grund, weshalb wir nun mit dem bayrischen Elternverband reden, ganz banal ist: Die anderen Elternverbände – meines Wissens auch der in Hamburg – haben solche Umfragen nicht gemacht. Sind Sie eigentlich schnell drauf gekommen, oder haben Sie, so wie ich zum Beispiel, auch mal im Internet geguckt, was wissen wir denn wissenschaftlich über die Sache, und haben auch festgestellt: Eigentlich nichts?
Walther: Genau so ist mir es gegangen. Ich wollte vor allem rauskriegen, weil wir unsere eigenen Erfahrungen natürlich eingebracht haben – ich habe noch mit der lateinischen Ausgangsschrift gelernt, andere im Vorstand haben gesagt, hey, ich habe gleich von Anfang an Schreibschrift geschrieben, andere sagten, ich habe von Anfang an Druckschrift geschrieben –, ich wollte einfach mal rauskriegen, wie das im Laufe der Jahre seit dem Zweiten Weltkrieg in den verschiedenen Ländern überhaupt gehandhabt worden ist. Nichts! Sie finden nichts dazu! Sie müssen sich also hinsetzen, ins Archiv der Universitätsbibliothek gehen und alle Lehrpläne durchgucken oder so was. Und das ist viel Arbeit.
Kassel: Ist eine faszinierende Tätigkeit! Es gibt eine kleine Studie aus der Schweiz, zum Trost für alle, die so ein bisschen in die Richtung geht: Man lernt schneller schreiben mit der Grundschrift, aber es ist eine einzige, und die ist nicht völlig auf Deutschland übertragbar. Haben Sie eigentlich Angst – weil das ist das beliebteste Argument der Gegner –, haben Sie eigentlich Angst, wenn Sie – ich weiß ja, Sie haben auch selber Kinder, obwohl die nicht mehr zur Grundschule gehen –, wenn Sie selber einen Einkaufszettel in Ihrer Schreibschrift schreiben, dass dann bald jüngere Kinder den Einkaufszettel nicht mehr lesen können?
Walther: Ich schreibe nicht in Schreibschrift. Ich schreibe das ja in Druckschrift!
Kassel: Aber dieser Kulturverlust, weil manche argumentieren damit: Die kommen dann aus der Grundschule und können auf der weiterführenden Schule nicht mehr lesen, was der Lehrer da an die Tafel schreibt.
Walther: Ach, das können sie doch sowieso zum Teil nicht lesen. Wenn der Lehrer einen vernünftigen Tafelanschrieb macht, dann hat der sowieso gelernt, wie man das lesbar macht. Sehen Sie, ein Unternehmen, wenn es eine Präsentation macht und dann vernünftig auf die Flipchart schreiben, das kann man auch nicht – das muss man auch zusätzlich lernen! So was muss der Lehrer sowieso lernen. Man merkt ja richtig, wie schwierig die Schreibschrift ist, die gelernte, wenn man versucht, ein Rezept eines Arztes zu entziffern. Können Sie das? Ich nicht!
Kassel: Ich habe mir extra einen Arzt gesucht, bei dem es geht, war aber nicht leicht! Eine pragmatische Meinung zur Frage: Schreibschrift oder die sogenannte Grundschrift? Aus Bayern, Ursula Walther war das, sie ist die Sprecherin des bayrischen Elternverbandes. Frau Walther, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
Walther: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Links auf dradio.de:
"Kleine Veränderung wird hochgewirbelt" - Hamburger Schulsenator weist Kritik an der Abschaffung des verpflichtenden Lernens der Schreibschrift zurück (DKultur)
Alles wie gedruckt - Hamburg will an Schulen die Schreibschrift abschaffen (DLF)
Und wenn man in den letzten Wochen bundesweit in die Zeitungen geschaut hat, dann hatte man den Eindruck, dass deshalb ein Kulturkampf ausgebrochen ist, so erzürnt sind viele bei diesem Gedanken. Da liest man dann Stimmen von Schriftexperten, Buchautoren, Schauspielern, Didakten und Kulturwächtern. Aber was sagen eigentlich die Eltern? Genau das hat der Elternverband Bayern wissen wollen, denn auch in Bayern ist der Verzicht auf das Vermitteln der Schreibschrift grundsätzlich bald möglich. Am Telefon begrüße ich deshalb jetzt die Sprecherin des Bayerischen Elternverbands Ursula Walther. Schönen guten Morgen, Frau Walther!
Ursula Walther: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Können sich denn die vielen Kritiker dieser Grundschrift auf die bayrischen Eltern verlassen? Sind die auch alle gegen einen Verzicht auf Schreibschrift?
Walther: Hätten die Kritiker unsere erste kurze Umfrage im Vorstand miterlebt, dann hätten sie gesagt: Ja, die unterstützen uns! Die Reaktion war nämlich genau so: Oh Gott! Kulturverfall! Und als wir dann ein bisschen drüber gesprochen haben und nachgefragt haben, was, welche Kultur verfällt denn da gerade, da kamen die Eltern auf einmal drauf: Das ist möglicherweise doch ganz anders! Und das war für uns der Grund, mal die Basis zu fragen. Wir konnten natürlich jetzt keine Erkenntnisse bereits erwarten, denn es kennt ja keiner die Grundschrift. Es hat ja keiner ein Kind, das die Grundschrift bereits in der Schule gehabt hätte. Wir haben also die Eltern gefragt: Wie stellt ihr euch vor, wie das sein würde, wenn eure Kinder nicht mehr gezwungen sind, die Schreibschrift zu lernen, sondern nur noch die Druckschrift lernen? Und da kamen ganz interessante Ergebnisse raus.
Kassel: Was denn zum Beispiel?
Walther: Die Tendenz ging zunächst dahin, zu vermuten, dass die Feinmotorik leidet. Und wenn man dann gefragt hat, wie schreiben denn eure Kinder jetzt, bei der Druckschrift verwenden sie ja auch die Hand und den Stift. Ja, war dann die Reaktion, stimmt eigentlich. Also, die Feinmotorik könnte wohl nicht das Problem sein. Und die nächste Frage, die entscheidende, wenn es nämlich um eine leserliche Schrift geht, da waren alle Eltern einig: Das, was unsere Kinder, die älteren, bis jetzt gelernt haben in der Schule, leserlich ist das nicht! Und die haben ja alle Schreibschrift gelernt!
Kassel: Haben denn die Eltern – und ich frage das aus einem sehr konkreten Grund – haben die Eltern denn wirklich begriffen, was mit diesen Veränderungen, wie sie in Hamburg vorgesehen sind, wie sie in Bayern möglich sein werden, wie sie in Bremen, in Nordrhein-Westfalen, in Baden-Württemberg vereinzelt getestet werden, was da wirklich passiert, haben die das begriffen?
Walther: Die haben das sozusagen in der zweiten Runde begriffen. Die haben dann nämlich gemerkt: Es geht gar nicht drum, die Schreibschrift komplett abzuschaffen, sondern es geht nur drum, die nicht mehr zu erzwingen. Und dann kam die Idee: Na, das könnte man doch zum Beispiel als Wahlfach anbieten, man könnte die Alternative auch ... oder im Kunstunterricht, meinetwegen Kalligraphie oder sonstige schöne Schriften; das alles ist ja nach wie vor möglich! Es geht ja nicht drum, das zu verbieten. Es geht nur einfach drum, eine Schrift zu haben, mit der man gut und schnell leserlich schreiben kann.
Kassel: Haben denn die Eltern Angst davor – weil darauf möchte ich hinaus –, das, was wir bisher an den meisten Schulen haben, ist die sogenannte vereinfachte Ausgangsschrift, alternativ dazu – das hat was mit der DDR-Geschichte zu tun – gibt es noch die sehr, sehr ähnliche Schulausgangsschrift. Man muss ja ein bisschen auf dieses Wort achten: Ausgangsschrift! Haben die wirklich verstanden, dass es darum geht, Menschen schreiben beizubringen, auf welche Art und Weise auch immer, damit die nachher ihren eigenen Schreibstil entwickeln?
Walther: Das haben die dann schon – nach einer Weile haben sie es sozusagen begriffen und haben auch aus ihrer eigenen Erfahrung ... ich meine, wenn man die Eltern fragt: Wie schreibt ihr denn selber? Dann sagen die: Na ja, wenn ich schnell und leserlich schreiben muss, dann schreibe ich so was wie eine Mischung aus Druckschrift und Schreibschrift, das heißt, ich nehme drei Buchstaben, verbinde ich, und dann mache ich einen Absatz und dann verbinde ich wieder zwei Buchstaben. Im Grunde ist ihnen langsam klar, dass das einfach nur eine Vorstufe ist, um selber ne Handschrift zu entwickeln, und dass das nicht davon abhängt, ob ich das jetzt zwangsweise als verbundene Schrift in der Schule gelernt hab. Die haben auch ihre Kinder zum Beispiel befragt. Spontane Reaktion von Jugendlichen: Oh, wir ziehen nach Hamburg, dann müssen wir nicht diese blöde Schreibschrift schreiben!
Kassel: Aber diese blöde Schreibschrift wird natürlich von einigen als Kulturgut hochgehalten. Schriftsteller zum Beispiel: Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff hat das Ganze in der "Welt", in der Tageszeitung "Die Welt" pure Idiotie genannt, der Verein deutsche Sprache sagt: Wenn die Grundschulen die Anweisung bekommen, die Schreibschrift nicht mehr lehren zu müssen, dann gibt es diese Schrift in einigen Jahrzehnten nicht mehr. Waren denn auch Eltern dabei, die solche Bedenken teilten?
Walther: Am Anfang schon, aber sie haben dann eingesehen: Es schreibt ja kein Mensch mehr mit so einer Schrift. Ich glaube auch nicht, dass die Schriftstellerin ihre Werke mit dieser Schrift schreibt. Die schreibt wahrscheinlich mit einem Computer – vielleicht gibt es noch einige, die es nicht tun. Aber es kam öfter aus der Elternschaft dann auch die Anregung: Ah, das ist ja klasse! Wenn wir jetzt die Schreibschrift nicht mehr als zeitfressenden Unterrichtsteil haben, dann könnten die ja – und das wäre genial! – einfach mal vernünftiges Tastaturschreiben lernen, dann würden die sich nicht dermaßen quälen wie wir Erwachsenen, die dann vorm Rechner sitzen und nicht richtig schreiben können.
Kassel: Das ist, auch wenn es vielleicht manchen überrascht, wahrscheinlich eine sehr naheliegende Idee. Ich darf aus dem Nähkästchen plaudern: Nach dem Gespräch mit dem Hamburger Schulsenator – das war vorgestern im Programm – hier geführt haben, haben viele auch im Haus gesagt: Na ja, aber wenn da Zeit ist, dann könnte man doch vielleicht mal – dauert ja nicht lange – zwei, drei Monate lang das Zehnfingersystem unterrichten, und dann können das die Schüler! Das heißt, auch ihre bayrischen Eltern wünschen sich da mehr Praxisnähe?
Walther: Ja, auf jeden Fall, und es kam übrigens auch – das fand ich auch einen interessanten Aspekt – von verschiedenen Seiten der Hinweis, wenn wir zum Beispiel Legastheniker haben oder Kinder, die sich mit Lesen und Rechtschreiben schwertun, die haben es viel, viel leichter, Fehler an dem eigenen Geschriebenen zu erkennen, wenn das keine Schreibschrift, sondern eine Druckschrift ist, deswegen tun die sich auch am Rechner leichter.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur gerade mit der Sprecherin des bayrischen Elternverbandes, Ursula Walther, über eine kleine, natürlich nicht ganz repräsentative Umfrage unter bayrischen Eltern, was die denn davon hielten, wenn man in Zukunft auf das Vermitteln echter Schreibschrift an den Schulen verzichtet und dafür nur die Grundschrift einführt. Es gibt, Frau Walther, was diesen Streit in Hamburg angeht, noch ein anderes Gegenargument, da wurde selbst der Schulsenator auch ein bisschen nachdenklich, nämlich das Eltern oft sagen: Wir wollen nicht, dass mit unseren Kindern ständig experimentiert wird. Seit Beginn des Pisadebakels wird ständig irgendwas geändert und wieder zurückgenommen und jedes Schuljahr ist anders. Gab es diese Bedenken bei Ihnen auch?
Walther: Ja, die gibt es aber in jeder Hinsicht, das bezieht sich nicht nur auf die Schrift. Die Eltern plädieren eigentlich immer dafür, dass möglichst viel Freiheit gegeben wird, und das sehen wir als Verband genau so. Wenn sich jetzt also eine Schule entschließt, eine Grundschule in Bayern entschließt, wir machen das eben in Zukunft mit der Grundschrift so, dann wäre es durchaus sinnvoll, wenn sich das Schulforum – so heißt bei uns das, was bei einigen anderen Ländern Schulkonferenz heißt – wenn sich das zusammensetzt, da sind die Eltern drin, da sind – wenn man Glück hat – auch in der Grundschule die Schüler drin, und dann beschießt gemeinsam: Machen wir das mit der Schrift so, oder machen wir das nicht? Und wenn das ein gemeinsamer Beschluss ist, dann ist das auch stressfrei!
Kassel: Das heißt, so wie das übrigens in Hamburg tatsächlich gemacht wird, und zum Teil Nordrhein-Westfalen, dass man nur sagt: ihr könnt jede Schrift der Welt unterrichten, solange das funktioniert. Das ist das, was Sie sich wünschen, und nicht zum Beispiel in Bayern ein Gesetz, das ganz klar sagt: Es muss Grundschrift unterrichtet werden.
Walther: Ja, genau das wäre das Richtige. Einfach genügend Freiheit geben, denn die Leute vor Ort wissen doch am Besten, was für sie passt.
Kassel: Ich muss zugeben, dass der Grund, weshalb wir nun mit dem bayrischen Elternverband reden, ganz banal ist: Die anderen Elternverbände – meines Wissens auch der in Hamburg – haben solche Umfragen nicht gemacht. Sind Sie eigentlich schnell drauf gekommen, oder haben Sie, so wie ich zum Beispiel, auch mal im Internet geguckt, was wissen wir denn wissenschaftlich über die Sache, und haben auch festgestellt: Eigentlich nichts?
Walther: Genau so ist mir es gegangen. Ich wollte vor allem rauskriegen, weil wir unsere eigenen Erfahrungen natürlich eingebracht haben – ich habe noch mit der lateinischen Ausgangsschrift gelernt, andere im Vorstand haben gesagt, hey, ich habe gleich von Anfang an Schreibschrift geschrieben, andere sagten, ich habe von Anfang an Druckschrift geschrieben –, ich wollte einfach mal rauskriegen, wie das im Laufe der Jahre seit dem Zweiten Weltkrieg in den verschiedenen Ländern überhaupt gehandhabt worden ist. Nichts! Sie finden nichts dazu! Sie müssen sich also hinsetzen, ins Archiv der Universitätsbibliothek gehen und alle Lehrpläne durchgucken oder so was. Und das ist viel Arbeit.
Kassel: Ist eine faszinierende Tätigkeit! Es gibt eine kleine Studie aus der Schweiz, zum Trost für alle, die so ein bisschen in die Richtung geht: Man lernt schneller schreiben mit der Grundschrift, aber es ist eine einzige, und die ist nicht völlig auf Deutschland übertragbar. Haben Sie eigentlich Angst – weil das ist das beliebteste Argument der Gegner –, haben Sie eigentlich Angst, wenn Sie – ich weiß ja, Sie haben auch selber Kinder, obwohl die nicht mehr zur Grundschule gehen –, wenn Sie selber einen Einkaufszettel in Ihrer Schreibschrift schreiben, dass dann bald jüngere Kinder den Einkaufszettel nicht mehr lesen können?
Walther: Ich schreibe nicht in Schreibschrift. Ich schreibe das ja in Druckschrift!
Kassel: Aber dieser Kulturverlust, weil manche argumentieren damit: Die kommen dann aus der Grundschule und können auf der weiterführenden Schule nicht mehr lesen, was der Lehrer da an die Tafel schreibt.
Walther: Ach, das können sie doch sowieso zum Teil nicht lesen. Wenn der Lehrer einen vernünftigen Tafelanschrieb macht, dann hat der sowieso gelernt, wie man das lesbar macht. Sehen Sie, ein Unternehmen, wenn es eine Präsentation macht und dann vernünftig auf die Flipchart schreiben, das kann man auch nicht – das muss man auch zusätzlich lernen! So was muss der Lehrer sowieso lernen. Man merkt ja richtig, wie schwierig die Schreibschrift ist, die gelernte, wenn man versucht, ein Rezept eines Arztes zu entziffern. Können Sie das? Ich nicht!
Kassel: Ich habe mir extra einen Arzt gesucht, bei dem es geht, war aber nicht leicht! Eine pragmatische Meinung zur Frage: Schreibschrift oder die sogenannte Grundschrift? Aus Bayern, Ursula Walther war das, sie ist die Sprecherin des bayrischen Elternverbandes. Frau Walther, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
Walther: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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"Kleine Veränderung wird hochgewirbelt" - Hamburger Schulsenator weist Kritik an der Abschaffung des verpflichtenden Lernens der Schreibschrift zurück (DKultur)
Alles wie gedruckt - Hamburg will an Schulen die Schreibschrift abschaffen (DLF)