Aber die Kapelle spielt weiter
Am Jahresende ist Schluss im Kohlenpott. Die letzten Steinkohlezechen in Nordrhein-Westfalen schließen. Doch Bergmannschöre, -kapellen und -vereine bleiben. Schließlich muss die Tradition hochgehalten werden.
Julian Effkemann steht im Schatten einer Bude auf Zeche Zollverein in Essen – in der Hand ein Bier. Es sind über 30 Grad, doch der 33-Jährige trägt noch immer die schwarze Uniform seines Bergmannvereins General Blumenthal aus Recklinghausen:
"Es ist natürlich ein emotionaler Tag für uns alle, weil wir das Ende sozusagen des subventionierten Steinkohlebergbaus schon sehen."
Effkemann fällt auf, weil er jung ist. Dennoch hat er vor Jahren Bergmann gelernt, hat das Fach studiert, wurde Steiger – bevor er den Dienst quittierte. Neben ihm stehen drei, deutlich ältere Vereinskameraden:
"Dieses Vereinsleben ist eigentlich eine ganz wichtige Sache. Für uns auch. Das hält uns auch zusammen. Wir sind alte Arbeitskollegen. Wir haben 35 Jahre teilweise zusammengearbeitet und wir stehen heute hier. Das ist eine ganz dolle Sache."
"Die Gefahr ist aber groß, dass es jetzt langsam kaputtgeht, weil: Wir werden alle älter und irgendwann erledigt sich das dann biologisch. Weil: Es wächst nichts nach."
Ratlose Blicke, aber nicht beim 33-jährigen Julian Effkemann.
"Das ist halt die Möglichkeit, über die Tradition, über das Wiedererleben der Vereinskultur und damit der Kultur, was bedeutet es, Bergmann zu sein. Also, dieses Miteinander, dieses Füreinander und dieses dann halt auch einer Generation, die nach uns kommt, dann weiterzugeben."
Und es ist diese Frage, die über diesem 13. Deutschen Bergmanns-, Hütten- und Knappentag – wie es offiziell heißt – in Essen und Bochum schwebt.
Eine Fanfare des Blasorchesters des Musikvereins "Glückauf Anthrazit Ibbenbüren" eröffnet den Festempfang. Wie in Bottrop schließen auch in Ibbenbüren am Jahresende die letzten beiden Zechen. Kurt Wardenga, der Bundesvorsitzende der Vereine, spricht als erster zu den geladenen Gästen:
"Glückauf, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Bergkameraden, liebe Festgäste." – Auch Wardenga trägt Uniform. "Tradition erhalten, Zukunft gestalten", heißt es auf der Leinwand hinter Wardenga – doch die große Frage lautet: Wie?
"Wenn die letzten Bergwerke in Nordrhein-Westfalen geschlossen werden, wird die Arbeit für die Bergmannsvereine nicht leichter. Wir werden auch weiterhin alles versuchen, die schöne Tradition- und Brauchtumspflege der Bergmannsvereine zu fördern. Ich glaube auch, dass wir das unseren Vätern schuldig sind, die im Bergbau gearbeitet haben. Und damit die Bergbautradition nicht in Vergessenheit gerät, werden wir auch weiterhin in der Öffentlichkeit präsentieren wie bisher."
Es ist ein Versprechen, das an diesen beiden Tagen im Ruhrgebiet, fast schon mantra-mäßig wiederholt wird. Gut 2000 – vor allem ehemalige – Bergmänner sind dazu am Wochenende nach Essen und Bochum gekommen. Es ist eine Welt, die fast ausschließlich männlich ist, Menschen, zumeist in der zweiten Lebenshälfte – und sehr traditionell.
Ein Knappenverein fast ohne Bergmann
Nach Wardenga schreitet Uwe Enstipp, der Vorsitzende des NRW-Landesverbandes, ans Mikrofon. Auch er, Mitglied im Knappenverein Glückauf Bochum-Werne von 1884, weiß um den Schlussstrich in diesem Jahr – und erzählt daher von seinem Verein:
"In unserem Stadtteil gibt es schon seit 50 Jahren keine Kohleförderschachtanlage mehr. Trotzdem zählt unser Verein noch knapp 200 Mitglieder." – Enstipp macht eine Pause. – "Der Vorstand besteht aus einem Holzkaufmann, der bin ich. Einem Fliesenlegermeister, einem Polizeihauptkommissar und einem ehemaligen Personalratsvorsitzenden der Stadt Bochum. Aber kein Bergmann. Aber trotzdem tragen alle voller Stolz ihren Bergkittel."
Traditionsfeiern, Bergmannsgottesdienste, Besuche bei Brüdervereinen, der Verein sei lebendig, so Enstipp – und kreativ.
"Gemeinsam mit einem befreundeten Karnevalsverein gestalten wir in Bochum-Werne den Knappen-Karneval. Und dieser wird von Jahr zu Jahr von 400 Bürgern unserer Stadt besucht."
Enstipps Botschaft: Es geht. Weiter. Auch ohne Bergbau. Und doch: Es ist diese Veranstaltung in 38 Metern Höhe, hoch oben über Zeche Zollverein mit dem Blick über das ganze Ruhrgebiet, die demonstriert, welche Bedeutung der Bergbau mit seiner Organisation und seinen Strukturen für das Ruhrgebiet gehabt hat.
Auch der Ministerpräsident ist dabei
Nach Wardenga und Enstipp gibt es noch fünf weitere Grußworte. Von Oberbürgermeistern, Vorstandsvorsitzenden, vom Stiftungsvorstand oder vom Ministerpräsidenten. Hochkarätiger geht es kaum – langatmiger auch nicht.
Abschiedsreden? Wie sie am 21. Dezember gehalten werden, wenn die letzten Zechen schließen? Armin Laschet wiegt den Kopf hin und her. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident von der CDU ist selbst Sohn eines Bergmanns. Ist das Ganze nur noch Folklore?
"Also, natürlich ist es ein Stück Tradition, auch Folklore. Bergmannslieder, Bergmannschöre, alles, was damit zusammenhängt. Die Trachten, die Uniformen. Aber es geht ja um Tugenden, die hier gelebt wurden. Die Tugenden der Verlässlichkeit. Dass man nicht fragt, wo jemand herkommt, sondern ob man sich auf ihn verlassen kann und vieles andere mehr. Das ist auch die Tradition, die bewahrt wird und das wird auch über die letzte Grubenfahrt hinaus von Bedeutung sein."
Auch deswegen ist Laschet zu diesem Bergmannstag gekommen.
"Wir versuchen, diese Solidarität weiterzugeben"
Aufstellung für den Sternenmarsch, bei dem die Vereine aus verschiedenen Richtungen zum Aufstellungsplatz ziehen.
Der Ministerpräsident geht vorneweg – einige Meter dahinter folgt auch Rolf-Peter Gutsche. Der 59-Jährige kommt aus Hamm, war bis vor neun Jahren selbst unter Tage und ist jetzt Vorsitzender eines Knappenvereins:
"Also, wir als Knappenverein versuchen, dieses Kumpelhafte, diese Solidarität weiterzugeben. Das heißt also, wir gehen auch in die Schulen rein, wir gehen in Kitas rein. Aber wir feiern auch mit älteren Leuten, im Seniorenheim und es fließen auch immer Tränen bei den Älteren, wenn man dann das Bergmannslied singt."
Es sei wichtig, so Gutsche, die Wurzeln zu kennen. Er glaubt, dass die Bergmannsvereine überleben werden. Aber: "Ja, aber natürlich auch in abgespeckter Form, weil: Wir sind eine – in Anführungsstrichen – eine aussterbende Rasse."
Gutsches Tochter läuft zwar mit im Zug, Mitglied ist sie aber nicht. Genauso wenig wie die beiden jungen Frauen, die – schöner Kontrast: kurze Hosen, T-Shirts statt schwarzer, dicker Bergmannsuniform – am Rande stehen und zuschauen.
"Ich glaube, solche Vereine werden schon weiterbestehen. Ist eine Art von Tradition, was hier im Ruhrgebiet einfach dazugehört. Deswegen glaube ich, dass es die Vereine noch länger geben wird. Es gibt ja auch noch Schützenvereine und was weiß ich alles."
Die Bergmannstradition "könnte auch aussterben"
Aber, es gibt auch ein anderes Szenario: "Könnten auch aussterben." – An der Bierbude, bei den Mitgliedern des Bergmannvereins aus Recklinghausen, sorgt die Zukunftsfrage letztendlich für Achselzucken. Nicht aus Gleichgültigkeit, sondern weil die weitere Entwicklung unwägbar ist:
"Das kann ich nicht beurteilen", sagt Julian Effkemann, der 33-Jährige einstige Bergmann. "Das wird die Zeit zeigen. Ende des Jahres ist erst mal sozusagen, ein Cut. Und wie sich das dann entwickeln wird, das wird uns die Zukunft zeigen. Wir hoffen, dass es weiter geht, ich selber habe zwei Söhne, die interessiert sind. Der Größte ist sechs Jahre, der Kleinste ist drei Jahre. Und ich hoffe da einfach, dass die beiden in meine Fußstapfen für die Vereinsarbeit weitertreten. Der Sechsjährige ist auch schon mit dabei. Aber: Ein Bergmann wird er im Steinkohlenbergbau nicht mehr werden."
Ihr Verein, der Bergmannsverein General Blumenthal, wurde erst im Jahr 2000 gegründet. Ein Jahr, bevor dort, in Recklinghausen, die letzte Zeche schloss.