Abschweifungen ohne Ende
Fredrik Sjöberg, ein 50-jähriger schwedischer Biologe, Schriftsteller und Schwebfliegenforscher hat ein bezauberndes Buch über die Kunst der Beschränkung, über Selbsterkenntnis und Horizonterweiterung geschrieben. Und über den Sinn des Lebens. Aber der sieht für jeden anders aus.
Am Anfang dieses raren Buches muss der ungebildete Leser erst einmal nachschlagen, denn: Was bitte ist ein Entomologe? Machen wir’s kurz: ein Insektenforscher.
Ein solcher ist der Autor Fredrik Sjöberg, studierter Biologe und Geologe, heute freier Autor, geboren 1958 im schwedischen Västervik und wohnhaft auf Runmarö vor Stockholm, einem "fünfzehn Quadratkilometer großen Sonntag". Dort gibt er sich der Jagd nach Schwebfliegen hin. Da es nämlich mindestens eine Million bekannte Insektenarten gibt, muss man sich nolens volens auf eine Familie beschränken.
Warum um Himmelswillen aber beschäftigt sich ein erwachsener Mensch mit Schwebfliegen, von denen Sjöberg auf seinem Schäreninselchen übrigens 202 Arten entdeckte?
"Zweihundertzwei! Glauben Sie mir, ein Triumph! Nur die Schwierigkeit, ihn zu erklären, ist größer."
Natürlich geht es um sehr viel mehr. Um die "Kunst der Beschränkung" beispielsweise. Oder die "Lesbarkeit der Landschaft". Zur Unterstützung zitiert Sjöberg seinen Landsmann, den Schriftsteller Harry Martinson:
"Wenn man sich aufmacht, die Insektenwelt zu studieren, muss man auch auf vieles in einem selbst gefasst sein."
Und Martinson musste es wissen, der war Nobelpreisträger. Wahrscheinlich also geht es schlicht um den Sinn des Lebens, der aber wiederum nur ein Sinn für den Einzelnen sein kann, denn was dem einen sinnvoll erscheint, das hält der andere für ausgesprochen sinnlos.
Zweifellos ist Sjöbergs Fliegenbuch ein philosophisches Buch, das unter dem griechischen Motto "Erkenne dich selbst" steht. Selbsterkenntnis ist Horizonterweiterung, und das geht nur durch die Abschweifung. Das Buch ist eine leidenschaftliche Verteidigung und Verwirklichung der Abschweifung und gegen all jene gerichtet, die immer nur von Stringenz und Eindeutigkeit und Richtung reden, weil sie nicht wissen, wie erhellend, fundamental interessant und unterhaltend der Exkurs sein kann.
"Die Fliegenfalle" besteht aus derart vielen Exkursen, dass ihr Thema, nämlich die Schwebfliege, als der eigentliche, wahre Exkurs erscheint.
Es gibt mindestens noch einen zweiten "wahren" Exkurs. Der behandelt den schwedischen Entomologen René Malaise, dessen bahnbrechende Erfindung eines Insektennetzes dem Buch den Titel gab. Von ihm kommt man dann - mit mehr oder weniger leichten Seitenhieben gegen Freud - zu den Sammlern: ihrer Seele, ihrem Wesen, ihrem Charakter.
Der seltsamste Sammler ist sicher derjenige, der nur ein Objekt sammelt, eine Manie, die Sjöberg phasenweise am eigenen Leibe erfahren hat, als er nämlich ein verfallenes Holzhaus mit dem Plumpsklo eines schwedischen Romantikers kaufen wollte. Oder die Kopie einer Rembrandtfälschung. Letzteres hat er dann sogar durchgezogen. Weil sie seinem Helden René Malaise gehört hatte.
Und so geht es witzig weiter, von Hölzchen auf Stöckchen, Abschweifungen ohne Ende und ohne Aussicht auf Vollständigkeit, so als wollte Sjöberg eine der vielen Erkenntnisse seines Buchs auch noch einmal dramaturgisch unterfüttern: Eine Sammlung muss unvollständig sein, sonst ruft sie trostloseste Tristesse hervor.
Rezensiert von Peter Urban-Halle
Fredrik Sjöberg: Die Fliegenfalle. Über das Glück der Versenkung in seltsame Passionen, die Seele des Sammlers, Fliegen und das Leben mit der Natur
Aus dem Schwedischen von Paul Berf
Verlag Eichborn Berlin, 2008.
240 Seiten, 17,95 Euro
Ein solcher ist der Autor Fredrik Sjöberg, studierter Biologe und Geologe, heute freier Autor, geboren 1958 im schwedischen Västervik und wohnhaft auf Runmarö vor Stockholm, einem "fünfzehn Quadratkilometer großen Sonntag". Dort gibt er sich der Jagd nach Schwebfliegen hin. Da es nämlich mindestens eine Million bekannte Insektenarten gibt, muss man sich nolens volens auf eine Familie beschränken.
Warum um Himmelswillen aber beschäftigt sich ein erwachsener Mensch mit Schwebfliegen, von denen Sjöberg auf seinem Schäreninselchen übrigens 202 Arten entdeckte?
"Zweihundertzwei! Glauben Sie mir, ein Triumph! Nur die Schwierigkeit, ihn zu erklären, ist größer."
Natürlich geht es um sehr viel mehr. Um die "Kunst der Beschränkung" beispielsweise. Oder die "Lesbarkeit der Landschaft". Zur Unterstützung zitiert Sjöberg seinen Landsmann, den Schriftsteller Harry Martinson:
"Wenn man sich aufmacht, die Insektenwelt zu studieren, muss man auch auf vieles in einem selbst gefasst sein."
Und Martinson musste es wissen, der war Nobelpreisträger. Wahrscheinlich also geht es schlicht um den Sinn des Lebens, der aber wiederum nur ein Sinn für den Einzelnen sein kann, denn was dem einen sinnvoll erscheint, das hält der andere für ausgesprochen sinnlos.
Zweifellos ist Sjöbergs Fliegenbuch ein philosophisches Buch, das unter dem griechischen Motto "Erkenne dich selbst" steht. Selbsterkenntnis ist Horizonterweiterung, und das geht nur durch die Abschweifung. Das Buch ist eine leidenschaftliche Verteidigung und Verwirklichung der Abschweifung und gegen all jene gerichtet, die immer nur von Stringenz und Eindeutigkeit und Richtung reden, weil sie nicht wissen, wie erhellend, fundamental interessant und unterhaltend der Exkurs sein kann.
"Die Fliegenfalle" besteht aus derart vielen Exkursen, dass ihr Thema, nämlich die Schwebfliege, als der eigentliche, wahre Exkurs erscheint.
Es gibt mindestens noch einen zweiten "wahren" Exkurs. Der behandelt den schwedischen Entomologen René Malaise, dessen bahnbrechende Erfindung eines Insektennetzes dem Buch den Titel gab. Von ihm kommt man dann - mit mehr oder weniger leichten Seitenhieben gegen Freud - zu den Sammlern: ihrer Seele, ihrem Wesen, ihrem Charakter.
Der seltsamste Sammler ist sicher derjenige, der nur ein Objekt sammelt, eine Manie, die Sjöberg phasenweise am eigenen Leibe erfahren hat, als er nämlich ein verfallenes Holzhaus mit dem Plumpsklo eines schwedischen Romantikers kaufen wollte. Oder die Kopie einer Rembrandtfälschung. Letzteres hat er dann sogar durchgezogen. Weil sie seinem Helden René Malaise gehört hatte.
Und so geht es witzig weiter, von Hölzchen auf Stöckchen, Abschweifungen ohne Ende und ohne Aussicht auf Vollständigkeit, so als wollte Sjöberg eine der vielen Erkenntnisse seines Buchs auch noch einmal dramaturgisch unterfüttern: Eine Sammlung muss unvollständig sein, sonst ruft sie trostloseste Tristesse hervor.
Rezensiert von Peter Urban-Halle
Fredrik Sjöberg: Die Fliegenfalle. Über das Glück der Versenkung in seltsame Passionen, die Seele des Sammlers, Fliegen und das Leben mit der Natur
Aus dem Schwedischen von Paul Berf
Verlag Eichborn Berlin, 2008.
240 Seiten, 17,95 Euro