Absinth

Der grüne Rausch

Neben dem Wermutkraut sind bis zu 15 weitere Pflanzen im Absinth enthalten.
Neben dem Wermutkraut sind bis zu 15 weitere Pflanzen im Absinth enthalten. © DENIS MARAUX / AFP
Von Arkadiusz Luba |
Der Geist des Absinths soll schon viele in den Wahnsinn getrieben haben: Der Künstler Vincent van Gogh schnitt sich angeblich im Rausch ein Ohr ab. Im französischen Pontarlier wird der Branntwein noch immer geschätzt - und einmal jährlich gefeiert.
"Absinth? Nein, natürlich nicht! Little weapon! Ich habe Absinth, als ich ein Junge war, getrunken und heute habe ich viele Probleme mit meinem Leben. Das ist nicht gut."
Ähnlich wie heute bei diesem Kunden des Absinth-Kellers Philippe Chapon in Pontarlier sorgte das hochalkoholische Getränk schon vor 100 Jahren in der französischen Gesellschaft für viel Unmut. Um die Jahrhundertwende war es in Frankreich weit verbreitet. Schriftsteller und Künstler wie Baudelaire, Hemingway, Picasso und viele anderen ließen sich von ihm berauschen. Van Gogh schnitt sich angeblich unter seinem Einfluss ein Ohr ab - und Verlaine schoss Rimbaud das Handgelenk an.
Absinth führte zu Misserfolgen der französischen Truppen in Algerien im Ersten Weltkrieg und zu Potenzproblemen der französischen Männer. Deshalb wurde er 1915 in Frankreich komplett verboten. Wer heimlich produzieren wollte, musste mit Konsequenzen rechnen, erzählt Francois Guy, der in dritter Generation Absinth destilliert:
" Beim Gesetzesbruch landeten die Destillateure im Gefängnis. Ihre Güter, das gesamte Unternehmen wurden vom Staat konfisziert. Die Strafe war zu hoch, um es zu riskieren. Die Leute hatten Angst und haben die Produktion tatsächlich eingestellt."
Eine der ältesten Heilpflanzen der Menschheit
Artemisia absinthium – also Wermutkraut – ist eine der ältesten Heilpflanzen der Menschheit. Seit der Antike wird sie als Antiseptikum und gegen Würmer, Fieber sowie Menstruationsschmerzen benutzt. Nach Frankreich hat das Absinth-Rezept Henri-Louis Pernod aus der schweizerischen Region Val de Travers gebracht. In ihren goldenen Jahren produzierte seine Brennerei 50 Liter Absinth pro Tag. Aus der Medizin wurde eine hochbegehrte Spirituose.
"Der Absinth war ein Phänomen der vergangenen Epoche. Er fand Zugang in die Kunst und die Politik, Malerei und Literatur, betraf alle Gesellschaftsschichten und deckte alle Lebensbereiche ab. Immer wieder taucht ein spannendes Dokument dazu auf. Es gibt nichts Vergleichbares",
meint Marie-Claude Delahaye, Absinth-Historikerin. Der Mythos ist wegen des Verbots weiter gewachsen, fügt Phillipe Chapon hinzu, der Vize-Präsident des Vereins für die französisch-schweizerische Absinth-Region. Die Leute begehren das, was verboten ist:
"Das ist tief in der Region verankert. Und heutzutage fühlen sie die ehemalige Epoche wieder. Die alten Absinthgenießer haben empfohlen, sich Zeit zu nehmen, um das Getränk zu trüben. Sie haben langsam die Wasserfontäne rausgenommen und ließen das Wasser Tropfen für Tropfen auf den Absinth fallen. Das war eine Lebensart, die uns heute fehlt und die wir wiederbeleben wollen."
Seit 14 Jahren organisiert Phillipe Chapon in Pontarlier das Fest des Absinths. Er will aufklären und Klischees aufräumen. Liebhaber und Experten tauschen sich in einer gemütlichen Atmosphäre aus. Eine internationale Jury bewertet jedes Jahr mehrere neue Absinsthsorten und vergibt Auszeichnungen. Bei der Bewertung ist die gesamte Komposition wichtig, meint Jurymitglied Martial Philippi:
"Jetzt habe ich gerade etwas probiert, von Farbe ohne Wasser, war leicht grünlich. Vom Geruch her hat richtig nach Spiritus gerochen, also kein schöner Geruch. Das hat eine schlechte Note für mich. Danach mit Wasser verdünnt, der Geschmack war auch leider weg. Die Trübung war auch nicht besonders schön. Also die ideale Balance riecht nach Pflanzen, nicht nach Spiritus."
Halluzinationen gibt es nach dem Genuss nicht mehr
Großer und kleiner Wermut, Anis, Fenchel, Ysop, Zitronenmelisse und Minze sind die Basis des Absinth-Extrakts. Dazu kommen hochprozentiger Alkohol und Wasser. Nach einem knapp zehnstündigen Destillierprozess ist die Spirituose fertig. Es gebe keine Grenzen, neue Produkte zu entwickeln, sagt Dominique Rousselet, der größte Absinth-Hersteller in der Region:
"Eine Flasche Absinth beherbergt bis zu 15 verschiedene Kräuter. Es kommt auch auf die Alkoholsorte an, Zuckerrübe-, Wein- und Kornalkohol. Genauso kann man mit der Farbe variieren. In den destillierten Absinth legen wir zusätzliche Pflanzen ein, woraus eine andere Farbe entsteht, genau wie ein anderer Geschmack."
Bei allen Wiederbelebungsversuchen ist der Absinth noch kein Volksgetränk geworden, auch wenn dessen Nebenwirkungen sich auf das Besoffensein begrenzen, meint der Absinth-Experte Philippi:
"Man soll das unterscheiden: Um 1900 haben Künstler das teilweise mit Opiumtinktur getrunken, sowie Laudaum oder Lekonium. Heutzutage bringt Absinth keine Halluzination. Man kann sich stark betrinken damit, weil es enthält viel Alkohol, aber das Beste ist: Ich trinke zum Beispiel gern drei Gläser und langsam. Ich bin gar nicht betrunken, aber ich fühle mich wohl, habe volle Energie und bin leicht euphorisch. Das ist eine sehr gute Wirkung."
Na dann: Santé!
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