"Absolute Macht korrumpiert absolut"
Machtmenschen hören anderen nicht zu und umgeben sich mit Menschen, die ihnen nach dem Mund reden, sagt Wolfgang Scholl, Professor für Organisations- und Sozialpsychologie an der Humboldt-Universität in Berlin. Dadurch würden sie zunehmend blind für das, was in der Realität vor sich geht.
Nana Brink: Er hat sich lange an die Macht geklammert, der ägyptische Präsident Mubarak, trotz aller Massenproteste. Schließlich ist er zurückgetreten, am letzten Freitag, offensichtlich nicht freiwillig, sondern das Militär musste ihn schließlich dazu zwingen. Wollte und konnte er nicht sehen, was sein Volk auf den Straßen forderte? Wir kennen es alle, das Phänomen, dass Machtmenschen nicht nur in der Politik, auch in Unternehmen oder in der Familie zur Selbstüberschätzung neigen, und darüber will ich jetzt sprechen mit Wolfgang Scholl, Professor für Organisations- und Sozialpsychologie an der Humboldt-Universität in Berlin. Einen schönen guten Morgen, Herr Scholl.
Wolfgang Scholl: Ja, guten Morgen.
Brink: Warum lässt Macht einen Menschen so blind für die Realität werden, wie wir es beim ägyptischen Präsidenten gesehen haben?
Scholl: Das liegt in der Regel daran, dass Machtmenschen anderen nicht mehr zuhören, sondern ihnen eher ihren Willen aufzwingen wollen, und wenn sie ihnen ihren Willen aufzwingen wollen, dann werden sie nicht mehr, die anderen, als Gesprächspartner ernst genommen. Und in der Folge lernen die Machtmenschen durch diesen Umgang mit anderen Menschen wenig oder gar nichts mehr hinzu. Sie umgeben sich stattdessen eher mit Menschen, die ihnen nach dem Munde reden, dadurch lernen sie nicht, sondern können nur mal ihre Herrschaft erst mal stabilisieren, aber sie werden zunehmend blind für das, was in der Realität vor sich geht.
Brink: Erklärt das auch, dass der ägyptische Präsident am Donnerstagabend ja eine Rede gehalten hat und man hat zeitgleich die Bilder vom Tahrir-Platz gesehen und sich gefragt, wie kann man so eine Rede halten?
Scholl: Ich denke, ja, dass es das mit erklärt, wobei immer hinzukommt, dass eigentlich bei allen Menschen häufig der Wunsch der Vater des Gedankens ist. Das heißt, die Dinge, die den eigenen Ideen, Vorstellungen und Wünschen entsprechen, werden als Information bereitwillig aufgenommen, aber die Dinge, die den eigenen Bildern und Wünschen widersprechen, die werden in der Regel eher abgewiesen. Das gilt für alle Menschen, aber das gilt eben für Menschen in Machtpositionen ganz besonders, weil sie sich ja mit der Realität noch anders auseinandersetzen können. Statt zu lernen, können sie versuchen, die Realität einfach umzugestalten.
Brink: Nun würde mich ja interessieren, wie definiert sich denn dann ein Machtmensch wie Mubarak, wenn ihm seine Macht genommen wird? Was geht dann in so einem Menschen vor? Der wird ja nicht einfach Rosen züchten jetzt am Roten Meer.
Scholl: Was in ihnen speziell vorgeht, dazu kenne ich keinerlei Forschung. Das muss ich sagen. Auf jeden Fall ist in den allermeisten solchen Fällen der Abgang am Ende weich gebettet, weil sie nehmen viel Geld in der Regel mit – man spricht ja von vier Milliarden bei Mubarak -, und das gilt ja auch für Unternehmensführer, die abgehen müssen, die haben in der Regel völlig ausgesorgt und dann basteln sie sich wahrscheinlich für sich ihre Story, mit der sie weiter leben können. Da kommen dann ein paar Fantasien, die fremden Mächte bei Mubarak, die hier Einfluss genommen haben, oder was auch immer. Also man versucht, sich die Realität zurecht zu konstruieren.
Brink: Sie haben es ja schon angedeutet: Solche Machtmenschen operieren ja nicht alleine. Sie sind zwar Führer, aber sind ja eingebettet in ein System. Nehmen wir jetzt mal die arabischen Potentaten als Beispiel, Präsident Mubarak in Ägypten. Gibt es Strukturen, die solche Machtblindheit, oder Systeme, die solche Machtblindheit begünstigen?
Scholl: Natürlich, das gibt es. Das sind eben autoritäre, absolutistische, diktatorische Regime. Wir kennen das alles auch aus der europäischen Vergangenheit, auch aus der jüngsten Vergangenheit. Dahinter steht dann aber in der Regel eine Kultur, die so etwas im Aufbau der kleinen Begegnungen der Institutionen zulässt. Das heißt, es ist eben dann nicht nur der eine Mann an der Spitze, oder der sich dann sein Umfeld sozusagen konstruiert, sondern es ist verwoben mit der Kultur.
Brink: Das heißt, es wird dort in Ägypten auch schwierig sein, dann diese Kultur auch zu ändern auf dem Weg hin zu einer Demokratie?
Scholl: Es wird in der Regel schwierig sein, wobei das Erstaunliche an Ägypten ist ja, dass dieser Wechsel jetzt so offen demokratisch, friedfertig verlaufen ist, sodass man bei den Menschen dort vermutlich aufgrund relativ guter Ausbildung und Bildung schon vermuten muss, dass sie sehr genau wussten, was sie tun. Die Schwierigkeit kommt natürlich später, denn jetzt müssen neue Institutionen aufgebaut werden, und wie das gelingt, lässt sich im Augenblick nicht sagen.
Brink: Nun kommen wir ein bisschen weg von der Politik. Es gibt ja solche Strukturen auch in Unternehmen, es gibt Formen von Machtmissbrauch und Selbstüberschätzung. Wir haben das zum Beispiel an der Deutschen Bahn gesehen, an der Telekom, wo sozusagen die Chefs die Belegschaft ausgespäht haben, weil man ihr offensichtlich misstraut. Also kein allein arabisches Phänomen?
Scholl: Ganz genau. Ganz generell gilt der Satz von Lord Acton, Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut. Das ist auch in der psychologischen Forschung von David Kipnis experimentell belegt worden, dass das so ist und dass das generell gilt. Es kommt also darauf an, Systeme zu haben, die Machtkontrolle ermöglichen und möglichst lückenlos und durchaus aber in freundlicher Weise durchführen.
Brink: Wie kann man dann verhindern, dass zum Beispiel in einem Unternehmen Chefs nicht die ganze Macht an sich reißen?
Scholl: Das ist eine gute Frage.
Brink: Damit können Sie wahrscheinlich den Nobelpreis gewinnen!
Scholl: Ja. Rein theoretisch, könnte man sagen, ist es relativ klar. Nur die Menschen verhalten sich halt nicht so, sondern Macht ist äußerst begehrt und viele Menschen wollen Macht haben, und so kommt es auch in Unternehmen zu geheimem verdecktem Machtgerangel, Gerangel um Machtpositionen, und da treten dann auch inhaltliche Fragen in den Hintergrund beziehungsweise werden benutzt, um irgendwo Machtvorteile zu erringen, und diese Mikropolitik in Unternehmen ist gut erforscht. Da passieren alle möglichen, nicht so schönen Dinge, und dann kommen tendenziell eher die Machtmenschen sozusagen, überspitzt gesagt die Machiavellisten an die Spitze und das System bringt die hervor.
Brink: Also Partizipation wäre dann ein Modell, dies zu verhindern?
Scholl: Klar! Partizipation wäre ein Modell, das zu verhindern, wird seit mindestens 50 Jahren propagiert von der Forschung. Alle Belege sprechen dafür, dass das erfolgreich ist. Aber es wird zu wenig gemacht.
Brink: Wolfgang Scholl, Professor für Organisations- und Sozialpsychologie an der Humboldt-Universität in Berlin. Schönen Dank für das Gespräch.
Scholl: Danke auch.
Wolfgang Scholl: Ja, guten Morgen.
Brink: Warum lässt Macht einen Menschen so blind für die Realität werden, wie wir es beim ägyptischen Präsidenten gesehen haben?
Scholl: Das liegt in der Regel daran, dass Machtmenschen anderen nicht mehr zuhören, sondern ihnen eher ihren Willen aufzwingen wollen, und wenn sie ihnen ihren Willen aufzwingen wollen, dann werden sie nicht mehr, die anderen, als Gesprächspartner ernst genommen. Und in der Folge lernen die Machtmenschen durch diesen Umgang mit anderen Menschen wenig oder gar nichts mehr hinzu. Sie umgeben sich stattdessen eher mit Menschen, die ihnen nach dem Munde reden, dadurch lernen sie nicht, sondern können nur mal ihre Herrschaft erst mal stabilisieren, aber sie werden zunehmend blind für das, was in der Realität vor sich geht.
Brink: Erklärt das auch, dass der ägyptische Präsident am Donnerstagabend ja eine Rede gehalten hat und man hat zeitgleich die Bilder vom Tahrir-Platz gesehen und sich gefragt, wie kann man so eine Rede halten?
Scholl: Ich denke, ja, dass es das mit erklärt, wobei immer hinzukommt, dass eigentlich bei allen Menschen häufig der Wunsch der Vater des Gedankens ist. Das heißt, die Dinge, die den eigenen Ideen, Vorstellungen und Wünschen entsprechen, werden als Information bereitwillig aufgenommen, aber die Dinge, die den eigenen Bildern und Wünschen widersprechen, die werden in der Regel eher abgewiesen. Das gilt für alle Menschen, aber das gilt eben für Menschen in Machtpositionen ganz besonders, weil sie sich ja mit der Realität noch anders auseinandersetzen können. Statt zu lernen, können sie versuchen, die Realität einfach umzugestalten.
Brink: Nun würde mich ja interessieren, wie definiert sich denn dann ein Machtmensch wie Mubarak, wenn ihm seine Macht genommen wird? Was geht dann in so einem Menschen vor? Der wird ja nicht einfach Rosen züchten jetzt am Roten Meer.
Scholl: Was in ihnen speziell vorgeht, dazu kenne ich keinerlei Forschung. Das muss ich sagen. Auf jeden Fall ist in den allermeisten solchen Fällen der Abgang am Ende weich gebettet, weil sie nehmen viel Geld in der Regel mit – man spricht ja von vier Milliarden bei Mubarak -, und das gilt ja auch für Unternehmensführer, die abgehen müssen, die haben in der Regel völlig ausgesorgt und dann basteln sie sich wahrscheinlich für sich ihre Story, mit der sie weiter leben können. Da kommen dann ein paar Fantasien, die fremden Mächte bei Mubarak, die hier Einfluss genommen haben, oder was auch immer. Also man versucht, sich die Realität zurecht zu konstruieren.
Brink: Sie haben es ja schon angedeutet: Solche Machtmenschen operieren ja nicht alleine. Sie sind zwar Führer, aber sind ja eingebettet in ein System. Nehmen wir jetzt mal die arabischen Potentaten als Beispiel, Präsident Mubarak in Ägypten. Gibt es Strukturen, die solche Machtblindheit, oder Systeme, die solche Machtblindheit begünstigen?
Scholl: Natürlich, das gibt es. Das sind eben autoritäre, absolutistische, diktatorische Regime. Wir kennen das alles auch aus der europäischen Vergangenheit, auch aus der jüngsten Vergangenheit. Dahinter steht dann aber in der Regel eine Kultur, die so etwas im Aufbau der kleinen Begegnungen der Institutionen zulässt. Das heißt, es ist eben dann nicht nur der eine Mann an der Spitze, oder der sich dann sein Umfeld sozusagen konstruiert, sondern es ist verwoben mit der Kultur.
Brink: Das heißt, es wird dort in Ägypten auch schwierig sein, dann diese Kultur auch zu ändern auf dem Weg hin zu einer Demokratie?
Scholl: Es wird in der Regel schwierig sein, wobei das Erstaunliche an Ägypten ist ja, dass dieser Wechsel jetzt so offen demokratisch, friedfertig verlaufen ist, sodass man bei den Menschen dort vermutlich aufgrund relativ guter Ausbildung und Bildung schon vermuten muss, dass sie sehr genau wussten, was sie tun. Die Schwierigkeit kommt natürlich später, denn jetzt müssen neue Institutionen aufgebaut werden, und wie das gelingt, lässt sich im Augenblick nicht sagen.
Brink: Nun kommen wir ein bisschen weg von der Politik. Es gibt ja solche Strukturen auch in Unternehmen, es gibt Formen von Machtmissbrauch und Selbstüberschätzung. Wir haben das zum Beispiel an der Deutschen Bahn gesehen, an der Telekom, wo sozusagen die Chefs die Belegschaft ausgespäht haben, weil man ihr offensichtlich misstraut. Also kein allein arabisches Phänomen?
Scholl: Ganz genau. Ganz generell gilt der Satz von Lord Acton, Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut. Das ist auch in der psychologischen Forschung von David Kipnis experimentell belegt worden, dass das so ist und dass das generell gilt. Es kommt also darauf an, Systeme zu haben, die Machtkontrolle ermöglichen und möglichst lückenlos und durchaus aber in freundlicher Weise durchführen.
Brink: Wie kann man dann verhindern, dass zum Beispiel in einem Unternehmen Chefs nicht die ganze Macht an sich reißen?
Scholl: Das ist eine gute Frage.
Brink: Damit können Sie wahrscheinlich den Nobelpreis gewinnen!
Scholl: Ja. Rein theoretisch, könnte man sagen, ist es relativ klar. Nur die Menschen verhalten sich halt nicht so, sondern Macht ist äußerst begehrt und viele Menschen wollen Macht haben, und so kommt es auch in Unternehmen zu geheimem verdecktem Machtgerangel, Gerangel um Machtpositionen, und da treten dann auch inhaltliche Fragen in den Hintergrund beziehungsweise werden benutzt, um irgendwo Machtvorteile zu erringen, und diese Mikropolitik in Unternehmen ist gut erforscht. Da passieren alle möglichen, nicht so schönen Dinge, und dann kommen tendenziell eher die Machtmenschen sozusagen, überspitzt gesagt die Machiavellisten an die Spitze und das System bringt die hervor.
Brink: Also Partizipation wäre dann ein Modell, dies zu verhindern?
Scholl: Klar! Partizipation wäre ein Modell, das zu verhindern, wird seit mindestens 50 Jahren propagiert von der Forschung. Alle Belege sprechen dafür, dass das erfolgreich ist. Aber es wird zu wenig gemacht.
Brink: Wolfgang Scholl, Professor für Organisations- und Sozialpsychologie an der Humboldt-Universität in Berlin. Schönen Dank für das Gespräch.
Scholl: Danke auch.