Tsipras bringt Reformen durch
Das griechische Parlament hat am frühen Donnerstagmorgen mit klarer Mehrheit für erste Spar- und Reformmaßnahmen gestimmt, die die Kreditgeber zur Bedingung für eine neue finanzielle Unterstützung gemacht hatten. Ministerpräsident Alexis Tsipras war dabei jedoch auf die Stimmen der Opposition angewiesen. Seine Regierung ist gespalten.
Zahlreiche Abgeordnete von Tsipras' Partei Syriza votierten gegen das Gesetzespaket oder enthielten sich, die Regierungsmehrheit wurde dadurch verpasst. Tsipras hatte unmittelbar vor der Abstimmung gedroht, sollte dies geschehen, werde er zurücktreten.
Über Debatte und Abstimmung im Parlament in Athen berichtete Anna Koktsidou in "Studio 9".
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In "Studio 9" sprach Korbinian Frenzel mit dem Wirtschaftskorrespondenten Michael Braun über die nicht unumstrittene Rolle der EZB in der Griechenland-Krise.
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Tsipras sagte weiter, dass er in der EU viel Widerstand durch die Konservativen erfahren habe - Kredite seien das einzige Zeichen von Solidarität gewesen. Er sei von den Gläubigern erpresst worden, das Sparprogramm zu akzeptieren. Er habe keine andere Wahl gehabt, als dem zuzustimmen. Am Tag zuvor hatte Tsipras gesagt: "Ich übernehme die Verantwortung für einen Text, an den ich nicht glaube, den ich aber unterzeichnet habe, um ein Desaster für das Land zu vermeiden: den Kollaps der Banken."
Spaltung in der Regierung
229 Abgeordnete stimmten nach stundenlanger Debatte im 300 Sitze umfassenden Parlament für das Gesetzespaket, dabei zeigte sich die Spaltung in der Regierung. 64 Abgeordnete votierten nach Angaben des Parlamentspräsidiums dagegen, es gab sechs Enthaltungen. Medienberichten zufolge war ein Abgeordneter abwesend. Während Tsipras zustimmte, erteilten unter anderem der Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis, sowie der amtierende Energieminister Panagiotis Lafazanis, Vize-Arbeitsminister Dimitris Stratoulis und Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou den Vorhaben eine Absage.
Es war zunächst unklar, ob die Regierung daran zerbrechen und eine Umbildung notwendig würde. Kritiker der Sparmaßnahmen gibt es vor allem im linken Partei-Flügel von Syriza. Dessen Anführer, Energieminister Lafazanis, sagte Tsipras in der Nacht dennoch Unterstützung zu. "Wir werden gemeinsam weitermachen. Wir stützen die Regierung, sind aber gegen die Sparprogramme."
Dem Regierungsbündnis aus Syriza und rechtspopulistischer Anel gehören 162 Abgeordnete an - Tsipras' Syriza verfügt über 149 Sitze, der Koalitionspartner über 13. Wie der griechische Rundfunk berichtete, stimmten 32 Syriza-Abgeordnete gegen das Sparprogramm, 6 enthielten sich der Stimme. Schon vor der Abstimmung nahm Vize-Finanzministerin Nadja Valavani aus Protest gegen die harten Einschnitte ihren Hut: "Alexis, ich kann nicht mehr weitermachen", schrieb sie in einem Rücktrittsbrief an Ministerpräsident Tsipras.
Konservative loben Entscheidung, Bundestag stimmt wohl Freitag ab
Der Chef der griechischen konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia, Evangelos Meimarakis, lobte dagegen das Votum: "Das Parlament hält Griechenland auf Kurs." Dies sei die richtige Nachricht an Europa. Er kündigte an, von einem Misstrauensvotum abzusehen. Neuwahlen seien für ihn keine Option.
Die Eurogruppe will am Donnerstagvormittag in einer Telefonkonferenz über die weiteren Schritte beraten. Über ein neues Hilfspaket für das von der Pleite bedrohte Griechenland müssen noch mehrere Parlamente in anderen Euroländern abstimmen. In Deutschland ist sogar die Zustimmung des Bundestags zur Aufnahme von Verhandlungen nötig. Das Parlament stimmt voraussichtlich am Freitag darüber ab. Die Euro-Länderchefs hatten sich am Montagmorgen nach mehr als 17-stündigem Ringen auf Bedingungen für das Hilfspaket verständigt. Der Umfang der weiteren Hilfe für Athen könnte bis zu 86 Milliarden Euro umfassen, wenn die Bedingungen vorher erfüllt werden.
Proteste in Athen
Die angenommenen Gesetze umfassen vor allem höhere Mehrwertsteuern und Zusatzabgaben für Freiberufler sowie Besitzer von Luxusautos, Häusern und Jachten. Ebenfalls enthalten ist ein nahezu vollständiger Stopp aller Frühverrentungen. Außerdem geht es um eine Anhebung des Rentenalters und Privatisierungen.
Tausende hatten vor dem Parlament in Athen gegen die Maßnahmen demonstriert. Dabei kam es zu Ausschreitungen. Aus Protest dagegen traten am Mittwoch Staatsbedienstete und Apotheker in einen 24-Stunden-Streik. Von den Arbeitsniederlegungen der Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst (Adedy) betroffen waren neben den Ministerien auch die Metro in der Hauptstadt sowie der landesweite Bahnverkehr. Bei einer Demonstration vor dem Parlament kam es am Abend zu Ausschreitungen.
Bis Mitte August benötigt Griechenland rund zwölf Milliarden Euro, um laufende Rechnungen zu begleichen und fällige Kredite abzulösen. Schon am Montag muss Athen 3,5 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank (EZB) zahlen, beim Internationalen Währungsfonds (IWF) ist die Regierung ohnehin im Zahlungsrückstand. Ohne Rückzahlung müsste die EZB ihre Notkredite für Griechenlands Banken einstellen, das labile Finanzsystem des Landes würde dann wohl endgültig kollabieren. Der IWF forderte am Mittwoch einen Schuldenschnitt für Griechenland.
(nch)