Ein wahr gewordener Traum
Beide malten abstrakt und beeinflussten sich, obwohl sie sich wahrscheinlich nie getroffen haben: Rothko und Mondrian. In Den Haag kann man nun eine Ausstellung mit Werken beider Künstler sehen - für den Kurator ein kleines Wunder.
Es sind die Farben, diese unvergleichlich intensiven Farben. Das schimmernde Lila, das samtige Grün und das flimmernde Orange, das den Betrachter fast schwindlig werden lässt. Wer lange genug stehen bleibt, hat das Gefühl, in das Gemälde hineingezogen, von ihm aufgesaugt zu werden.
Genau diesen Effekt hat Mark Rothko mit seinen grossformatigen monochrom-abstrakten Werken auch beabsichtigt. Und deshalb wollte er, dass sie tiefer gehängt werden als üblich, erklärt Franz Kaiser, Kurator der grossen Rothko-Schau im Haager Gemeindemuseum:
"Weil er eben die direkte Konfrontation mit dem Körper haben wollte, und das geht besser, wenn es tiefer hängt. Wir haben normalerweise die Mitte des Bildes auf Einsfünfundfünzig. Und die hier hängen alle auf Einsvierzig, also 15 Zentimeter tiefer."
Mondrian und Rothko haben sich wahrscheinlich nie getroffen
Mit mehr als 60 Arbeiten von Rothko kann das Haager Museum aufwarten – und damit erstmals zwei Schwergewichte der abstrakten Malerei unter einem Dach vereinen. Denn, so betont Museumsdirektor Benno Tempel: "Wir besitzen die grösste Mondriankollektion der Welt."
"Mondrian ist der Pionier der ersten Generation der abstrakten Maler, Rothko der Pionier der zweiten. Wir wollten die beiden schon seit Jahren zusammenbringen, um ihre Entwicklung aufzuweisen. Mit dieser Ausstellung ist für uns ein Traum in Erfüllung gegangen."
Sowohl Mondrian als auch Rothko waren Emigranten, die in New York Karriere machten. Mondrian kam über Amsterdam und Paris nach New York, Rothko als Kind jüdischer Einwanderer aus Lettland.
Beide begannen figurativ. Mondrian gelangte über den Kubismus zur Abstraktion, Rothko über den Surrealismus. Ob sie sich jemals getroffen haben? Kurator Kaiser hält das für unwahrscheinlich:
"Mondrian ist ja schon 1944 gestorben, und da war der Rothko noch total im Surrealismus drin, da hat er mit Mondrian nicht viel zu tun gehabt."
Gleichwohl hat Rothko seinen holländischen Vorgänger als "sinnlichsten Maler, den ich kenne" bezeichnet. Weniger angetan war er davon, dass ein Kunstkritiker seine Werke einst als "blurry Mondrians" bezeichnete, als verschwommene Mondrians. Von solchen Einflüssen wollte er nichts wissen.
Sakrale Erfahrung bei der Betrachtung der Bilder
Kunstexperten denken anders darüber. Insbesondere beim letzten Entwicklungsschritt hin zur Abstraktion dürfte Mondrian ihn beeinflusst haben. Rothko suchte damals nach Wegen, um seinen Stil radikal zu vereinfachen. Das führte in den 50er Jahren zu seinem "classic style", der ihn weltberühmt machte:
"Ich denke, dass da bewusst oder unbewusst doch auch ein Einfluss von Mondrian drin ist, obwohl er das natürlich nie zugegeben hat. Aber der Mondrian war ja das Paradebeispiel eines Künstlers, der die Bildsprache ganz logisch systematisch reduziert hat und auf basale Elemente zurückgebracht hat. Das hat der Rothko auch gemacht."
Rothkos künstlerische Entwicklung kann in den Sälen im ersten Stock des prachtvollen Art-déco-Gebäudes nachvollzogen werden, in dem der niederländische Architekt Berlage auch für intime Seitenkabinette gesorgt hat.
Damit wird möglich, was die letzte große Ausstellung 2008 in der Tate Modern und der Hamburger Kunsthalle nicht bieten konnte: Denn aus den Kabinetten sind kleine Kapellen geworden mit maximal zwei Rothko-Werken, deren Betrachtung einer sakralen Erfahrung gleichkommt. Auch das ganz im Sinne des Künstlers, der sich wünschte, einen Raum zu stiften, eine Kapelle der Wahrnehmung. Die Menschen sollten vor seinen Bildern stehen und weinen, denn dann, so sagte er, "haben sie dieselbe spirituelle Erfahrung wie ich, als ich sie malte."
Rothko war ein schwieriger Mensch, ein gequälter Geist, meint Museumsdirektor Tempel:
"Er legte die Latte hoch, auch für sich selbst. Einmal hatte er einen grossen Auftrag für ein Luxus-Restaurant, doch er zog die Bilder zurück, gab auch das Geld zurück. Er wollte nicht, dass Menschen ihnen den Rücken zuwandten, um zu essen oder zu trinken. Er hatte auch eine Aversion gegen die Pop Art. Das war für ihn nicht bloss schlechte Kunst, das war gar keine Kunst."
Wie ein letztes großes Aufflackern
Spannendster Teil der Schau ist der letzte Saal, in dem Mondrian und Rothko aufeinandertreffen und ihre Entwicklungen wie in einem Zeitraffer gezeigt werden: anhand von vier Mondrianwerken rechts und vier von Rothko links. Sie führen als Höhepunkt zu den beiden letzten Werken der beiden Künstler: Mondrians "Victory Boogie Woogie", das unvollendet in seinem Atelier stand, nachdem er 1944 an einer Lungenentzündung gestorben war. Und ein leuchtendrotes Werk von Rothko, der 1970 mit 67 Jahren in seinem Atelier verblutete, nachdem er sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte.
"In seinen letzten Jahren hatte er dunkle, düstere Arbeiten gemalt. Nicht nur, weil er an schweren Depressionen litt, auch, weil er glaubte, damit tiefer ins Unterbewusstsein der Menschen vorstoßen zu können. Um so überraschender dieses letzte Werk - blutrot, flammendrot."
Wie ein letztes großes Aufflackern, so Museumsdirektor Tempel. Wie Phoenix, der nochmals aus der Asche aufstieg, bevor er verbrannte.