Klimawandel macht Wandern gefährlicher
08:31 Minuten
Der Klimawandel und die Trockenheit machen dem Odenwald bei Darmstadt zunehmend Probleme. Die Wurzeln vieler Bäume reichen nicht mehr bis ans Grundwasser. In der Folge sterben Äste, Baumkronen und ganze Bäume ab. Das birgt Gefahren für Waldbesucher.
"Dieser Weg ist ein Herzblutweg. Die Leute gehen hier an der Darmbach-Aue entlang Richtung Fischerhütte und weiter dann nach Traisa. Und von daher ist es ein wichtiger Weg. Und deswegen wird er von uns auch prioritär behandelt", sagt Barbara Akdeniz.
Die 59 Jahre alte Umweltdezernentin der Stadt Darmstadt steuert ihr schwarzes Lastenfahrrad mit rotem Regenschutz in den Odenwald hinein. Für eine kleine Journalistengruppe, die ihr mit Fahrrad und Auto folgt, hat die Umweltpolitikerin kurzfristig die Sperre beiseite räumen lassen, mit der der beliebte Waldweg seit wenigen Tagen abgeriegelt ist. Denn die Trockenheit der letzten Jahre hat den Wald zur Gefahr für Menschen werden lassen. Wer sich hier unter abgestorbenen Baumkronen bewegt, läuft Gefahr, von schweren Äste getroffen zu werden, die herunterfallen.
Barbara Akdeniz stoppt mit dem Rad im Wald an einer Stelle, an der das Forstamt eigens für die Journalisten eine Infotafel aufgestellt hat: Zu sehen ist der Stadtwald von Darmstadt, der teilweise in den Odenwald hineinreicht. Viele Bereiche des Waldes sind durch die Trockenheit geschädigt, erklärt die Darmstädter Umweltdezernentin. "Wir haben knapp 2.000 Hektar Stadtwald, und diesen unterteilen wir in den West- und den Ostwald. Heute stehen wir hier im Ostwald, wo der Wald noch sehr viel besser intakt ist als im Westwald. Trotzdem müssen wir hier jetzt ein Wegstück sperren, weil die Buchen unter der Trockenheit der letzten Jahre so gelitten haben, dass es eben droht, Äste auf die Wege zu fallen und auch Menschen zu gefährden."
Ein Stück weit gefährlicher geworden
Der Odenwald am Rande der südhessischen Großstadt wird mehr und mehr zur Gefahr für Erholungssuchende. Das bestätigt auch Hartmut Müller, der Leiter des Forstamtes Darmstadt. "Er ist schon gefährlicher. Also ich will das wirklich nicht dramatisieren. Wir alle tun sehr viel, dass die Waldbesucher in den Wald gehen können - und auch sollen. Das ist eine wichtige Funktion. Aber es ist ein Stück weit gefährlicher geworden in den letzten Jahren."
Hartmut Müller hebt am Wegesrand einen Ast auf, der vor kurzem aus einer Baumkrone heruntergestützt ist. Der Ast hat den Umfang eines muskulösen Menschenbeines. "Solche Tot-Äste gehören zu den typischen Gefahren des Waldes. Da muss der Waldbesucher immer mit rechnen. Wir haben auch sehr viel Presse zu dem Thema gemacht, dass die Leute immer mal nach oben gucken und auch solche Absperrsituationen berücksichtigen sollen, dass es keine absolute Sicherheit gibt."
Umweltdezernentin Akdeniz fügt hinzu: "Von daher haben wir hier das Stück, das sehr stark frequentiert ist, auf dem Schnampelweg gesperrt, eine Umleitung ausgeschildert und natürlich auch die Pflegearbeiten schon beauftragt."
Der Förster und das "Weibsbild"
Der Name "Schnampelweg", den die Darmstädter Umweltdezernentin Barbara Akdeniz nennt, geht übrigens auf eine erotische Szene zurück, die sich hier zu Zeiten eines jagdbegeisterten Darmstädter Landgrafen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zugetragen haben soll. Bei einer Drückjagd soll ein Treiber auf den Grafen zugeeilt sein und ihm berichtet haben, dass mitten auf dem Weg ein Förster bei einem "Weibsbild" liege und "schnampele". Nun, so habe der Landgraf laut Überlieferung entschieden, "wenn’s so ist, dann soll dieser Weg künftig hin zum Andenken der Schnampelweg heißen".
"Buchen sollst du suchen", zumindest bei Gewitter, so heißt es. Auf dem "Schnampelweg" sind aber nun die Buchen aus anderen Gründen nicht mehr vertrauenswürdig, erklärt Barbara Akdeniz.
"Dass die Buche jetzt unter die gefährdeten Bäume fällt, ist eine Erkenntnis der letzten Jahre. Sie galt ja immer als sehr stabiler und auch resistenter Baum. Und jetzt haben wir hier die Situation, dass die Kronen schon kaputt sind. Von daher arbeiten wir beispielsweise auch bei uns am 'Runden Tisch Wald' daran, herauszufinden, welcher Standort welche Baumarten auch wirklich gut verträgt, sodass die sich hier ansiedeln, wachsen und gedeihen können. Eines ist klar: Wir brauchen den Wald, und das ist unsere Aufgabe. Hier weiter dran zu bleiben, das tun wir in einem großen Expertinnen- und Expertenkreis unter Beteiligung von Institutionen und Politik."
Eichen sind resistenter als Buchen. Deswegen werden in absterbenden Buchenwäldern überall in Deutschland aktuell viele Eichensetzlinge gepflanzt. Doch gerade die Setzlinge brauchen viel Regenwasser. Das sonnige Frühjahr brachte dem Rhein-Main-Gebiet aber rund 40 Prozent weniger Niederschlag im Vergleich zum langjährigen Mittelwert. Nicht nur der Wald leidet, betont Barbara Akdeniz. Auch die Landwirtschaft. Am westlichen Rand Darmstadts gibt es zum Beispiel viel bewässerungsintensiven Gemüseanbau, erzählt Akdeniz.
"Ja, der Druck auf die Wasserressourcen nimmt zu. Das ist völlig klar, je weniger es regnet. Je heißer die Sommer werden, der Klimawandel ist hier tatsächlich ein Vorbote. Oder wir sind schon mittendrin. Er wirkt sich dann auch auf die Wasserressourcen aus. Wir müssen sehr sorgfältig damit umgehen und uns wohl überlegen, was wird bewässert und was nicht. Und es werden sicherlich nicht die Wälder seien, die wir bewässern können. In Bezug auf Landwirtschaft ist es da und dort unabkömmlich. Gerade wenn Gemüse angepflanzt wird. Aber auch da müssen sich die Landwirte durchaus Überlegungen machen, was sie künftig anbauen können."
Bäume verlieren den Wurzelkontakt zum Grundwasser
Die Wasserspeicher unter Agrarflächen und Waldböden rund um "die Stadt im Wald", wie Darmstadt mal genannt wurde, sind fast überall aufgebraucht. Der Darmstädter Westwald am Rande der Rheinebene hat sogar längst den Wurzelkontakt zum Grundwasser verloren. Forstamtsleiter Hartmut Müller deutet auf die Tafel, die er im Wald aufgestellt hat, um die Lage der umliegenden Wälder zu erklären. Reine Kiefernwälder leiden noch stärker unter Wassermangel als Mischwälder mit vielen Laubbäumen:
"An der Farbgebung sieht man, das sind Kiefernbestände. Die sind auf der Karte grau dargestellt auf Sandstandorten: Flugsande, Dünensande nach der Eiszeit. Der Wald leidet aus verschiedenen Gründen sehr. Wir müssen versuchen, dass wir den Wald in seiner Existenz erhalten."
Doch das fehlende Grundwasser macht die Rettung der Kiefernwälder schwer, die sich am Westrand des Odenwaldes in die Rheinebene hinein erstrecken, so Hartmut Müller.
"Wenn man es mit einem Corona-Kranken beschreiben würde. Dieser Wald ist in der Beatmungssituation", also in akuter Lebensgefahr.
Schnampelweg wieder freigeben
Den Mischwald jedoch, durch den der gesperrte Schnampelweg führt, will er erhalten, versichert der Forstamtsleiter: "Und dieser Patient Wald ist erkrankt. Er zeigt auch Symptome. Aber wir sind guter Hoffnung, dass wir diesen Wald weiterentwickeln können. Es sind noch keine großen, flächigen Schäden. Aber der Wald ist quasi wie perforiert."
Um den Schnampelweg von Darmstadt nach Traisa Ende Juni wieder freizugeben, müssen nun in den nächsten Wochen jeweils 30 Meter auf beiden Seiten des Weges die geschädigten Bäume gefällt werden. Dazu werden große Maschinen gebraucht, auch der wirtschaftliche Aufwand ist enorm. Der Odenwald am Stadtrand von Darmstadt sei aber ohnehin seit langem für die Waldwirtschaft nicht mehr so bedeutsam, erklärt Forstamtsleiter Hartmut Müller: "Hier im Erholungswald der Stadt Darmstadt spielen die Holzgelder nie die Rolle."
Dennoch: Erlöse aus nachhaltiger Forstwirtschaft im waldreichen Hessen können auch in Zukunft viele tausend Arbeitsplätze sichern - vor allem aber drosseln sie die Erderwärmung. Damit das so bleibt, muss der Wald erhalten bleiben. Notfalls eben flächendeckend mit Eichen statt mit Buchen.