Absurde Geschichten aus der Ukraine
Serhij Zhadan erzählt in den sechs Geschichten des Bandes "Hymne der demokratischen Jugend" von Klein- und Großkriminellen, von Schmugglern, Prostituierten, Zigeunern und Verliebten, die auf der Suche nach – nun, vielleicht nicht gleich nach dem Glück sind, aber doch auf der Suche nach einem warmen Plätzchen in einer nicht unkomplizierten ukrainischen Gegenwart.
San Sanytsch etwa, Ringkämpfer mit Abitur, verlässt die Gruppe "Boxer für Gerechtigkeit und soziale Adaption" und eröffnet mit dem einstigen Tschetschenienkämpfer Goga, beide heterosexuell, den ersten Schwulenklub der Stadt. Die Oschwanz-Brüder möchten sich nach Jahren in allerlei Geschäften legalisieren und gründen die Bestattungsfirma "House of the Death" - "Wenn schon begraben, dann nur mit uns!" Andere wollen ihrer großen Liebe nach Italien folgen, und die mit einem Schengen-Visum winkenden Zigeuner wissen auch, wie: Sie haben die weißrussische Prostituierte, die von ihnen zu kaufen und dann, anders geht es nicht, zu heiraten ist, sie haben die Lkw-Ladung japanischer Fernsehgeräte, die von ihnen zu kaufen und dann zu verscherbeln ist, und sie haben das bereits erwähnte Schengen-Visum, das natürlich ebenfalls von ihnen zu kaufen ist. Es wird sich an der polnischen Grenze bedauerlicherweise als gefälscht erweisen, weshalb die übrigen Vorhaben etwas ins Stocken geraten.
Slapstick in der Transformationsgesellschaft – das sind diese Geschichten auch. Zhadan erzählt sie als Nummernrevue der Absurdität, die immer wieder aufs Neue durch den Zusammenprall von Alt und Neu entsteht, von Ost und West. Oder wenn sich Schutzgelderpresser skurrilerweise "Boxer für Gerechtigkeit und soziale Adaption" nennen. Und zur Power-Point-Präsentation des "House of the Death"-Krematoriums auf einer Konferenz in Budapest der klassenkämpferische Aufruf der Kommunisten aus dem ostukrainischen Donezk-Becken verlesen wird, weil dem Bestattungsunternehmer der eigene Text abhanden gekommen ist. Solches Cross-Over klingt nacherzählt allerdings lustiger als bei Zhadan, der zuweilen weitschweifig ist und das Timing vermissen lässt.
Ein Standup-Comedian will der junge Autor auch gar nicht sein. Sein Erzähler nennt die Geschichten sogar nebensächlich, einmal fragt er: "Soll ich weitermachen?" Die ostentative Geringschätzung des Erzählens ist natürlich eine Masche des Erzählers, das Understatement verschärft die Wirkung der grotesken Übertreibung.
Und Zhadan will mehr. Er erzählt von dem gewaltigen Vakuum der neuen Zeit in der Ukraine, in dem Dinge, Beziehungen und Wirklichkeiten durcheinander gewirbelt werden: Wurden früher einfach gestohlene Telefone verkauft, müssen es jetzt in Polen gestohlene deutsche Telefone sein. Sicherheiten gibt es ebenso wenig wie den Staat, nur Zusammenschlüsse wie die "Boxer ...". Auch Erleuchtungen gibt es nicht mehr, aber die Sehnsucht danach, wie sich in den üppigen, mal schwadronierenden, mal reflektierenden Einleitungen und Nachbemerkungen der Geschichten zeigt. Das Leben sei, heißt es dort mehrmals, ein reißender Strom, in dem man besser mitschwimme als sich irgendwo festzuhalten. Zhadans Erzähler hat sich an die eigene Maxime gehalten. Es sind etwas formlose Geschichten, jedoch impulsiv und kraftvoll hervorgestoßen und oft genug sehr überraschend.
Besprochen von Jörg Plath
Serhij Zhadan: Hymne der demokratischen Jugend
Aus dem Ukrainischen von Juri Durkot und Sabine Stöhr
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
188 Seiten, 19,80 Euro
Slapstick in der Transformationsgesellschaft – das sind diese Geschichten auch. Zhadan erzählt sie als Nummernrevue der Absurdität, die immer wieder aufs Neue durch den Zusammenprall von Alt und Neu entsteht, von Ost und West. Oder wenn sich Schutzgelderpresser skurrilerweise "Boxer für Gerechtigkeit und soziale Adaption" nennen. Und zur Power-Point-Präsentation des "House of the Death"-Krematoriums auf einer Konferenz in Budapest der klassenkämpferische Aufruf der Kommunisten aus dem ostukrainischen Donezk-Becken verlesen wird, weil dem Bestattungsunternehmer der eigene Text abhanden gekommen ist. Solches Cross-Over klingt nacherzählt allerdings lustiger als bei Zhadan, der zuweilen weitschweifig ist und das Timing vermissen lässt.
Ein Standup-Comedian will der junge Autor auch gar nicht sein. Sein Erzähler nennt die Geschichten sogar nebensächlich, einmal fragt er: "Soll ich weitermachen?" Die ostentative Geringschätzung des Erzählens ist natürlich eine Masche des Erzählers, das Understatement verschärft die Wirkung der grotesken Übertreibung.
Und Zhadan will mehr. Er erzählt von dem gewaltigen Vakuum der neuen Zeit in der Ukraine, in dem Dinge, Beziehungen und Wirklichkeiten durcheinander gewirbelt werden: Wurden früher einfach gestohlene Telefone verkauft, müssen es jetzt in Polen gestohlene deutsche Telefone sein. Sicherheiten gibt es ebenso wenig wie den Staat, nur Zusammenschlüsse wie die "Boxer ...". Auch Erleuchtungen gibt es nicht mehr, aber die Sehnsucht danach, wie sich in den üppigen, mal schwadronierenden, mal reflektierenden Einleitungen und Nachbemerkungen der Geschichten zeigt. Das Leben sei, heißt es dort mehrmals, ein reißender Strom, in dem man besser mitschwimme als sich irgendwo festzuhalten. Zhadans Erzähler hat sich an die eigene Maxime gehalten. Es sind etwas formlose Geschichten, jedoch impulsiv und kraftvoll hervorgestoßen und oft genug sehr überraschend.
Besprochen von Jörg Plath
Serhij Zhadan: Hymne der demokratischen Jugend
Aus dem Ukrainischen von Juri Durkot und Sabine Stöhr
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
188 Seiten, 19,80 Euro