Abtreibung gehört nicht ins Strafgesetzbuch
Kanada hat die Abtreibung schon 1988 entkriminalisiert, seitdem ist die Rate der Abbrüche sogar noch gesunken. Die meisten Eingriffe fanden im Frühstadium der Schwangerschaft statt. Der Mythos, dass Frauen bei völliger Legalität ohne Gewissen auch noch im achten Monat abtreiben, entspringt einer frauenverachtenden Fantasie, glaubt Sarah Diehl.
In den 70er-Jahren war es der kanadische Arzt Henry Morgenthaler, der mehrfach Gefängnisstrafen in Kauf nahm, um Frauen einen uneingeschränkten Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch zu ermöglichen, wenn dieser durch Fristen und Indikationen kriminalisiert war. Die Geschichten seiner Patientinnen hatten Morgenthaler davon überzeugt, dass nur die Frau allein ihre Lebensumstände beurteilen kann, kein Richter und kein Politiker.
Die daraus folgenden juristischen Auseinandersetzungen führten dazu, dass der Oberste Gerichtshof in Kanada 1988 Abtreibung komplett entkriminalisierte. Es gibt seither weder Fristen noch andere gesetzliche Beschränkungen, die einer Frau den Zugang zu einer sicheren Abtreibung verwehren. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau wird gesetzlich weder eingeschränkt noch in Frage gestellt und steht wie jede andere medizinische Versorgung frei zur Verfügung.
Die Auswirkungen in Kanada waren sehr positiv. Die Abtreibungsrate ist sogar gefallen, und die meisten Abtreibungen finden, wie in anderen Ländern auch, zwischen der neunten und zwölften Woche statt.
Der Mythos, dass Frauen bei völliger Legalität ohne Gewissen auch noch im achten Monat abtreiben, entspringt einer frauenverachtenden Fantasie. In der Realität ist sie unhaltbar. Umso verwunderlicher ist es, dass sich dieses positive Beispiel nicht auch in anderen Ländern durchgesetzt hat.
In Deutschland ist ein Abbruch immer noch illegal - aber bis zur zwölften Woche straffrei. Diese Frist ist, auch im Hinblick darauf, dass der Fötus vor der 22. Woche weder Schmerzempfinden noch ein Bewusstsein hat, willkürlich gesetzt. Manchmal ist ein Abbruch auch nach der zwölften Woche notwendig, weil sich Lebensumstände verschlimmern oder weil die Schwangerschaft zu spät entdeckt wurde.
In Deutschland müssen Frauen dafür immer noch nach Holland reisen, wenn sie sich dies überhaupt leisten können. Dies tun etwa 1000 Frauen im Jahr.
Eine Frauenärztin berichtete, dass viele Fälle von Abbrüchen nach der zwölften Woche, die sie erlebt hat, meistens mit häuslicher Gewalt oder Angst vor Bestrafung von ihren Familien einhergingen.
Es geht um Einzelfälle, und auch mit einer völligen Legalisierung würden es Einzelfälle bleiben. Aber unter solchen schweren Lebensumständen würden den Frauen nicht noch zusätzliche Hürden in den Weg gelegt werden, den sie so oder so beschreiten müssen.
Woher kommt unsere Lust daran, Frauen deshalb zu verurteilen?
Jede dritte Frau hat in ihrem Leben einmal eine Abtreibung, denn Frauen müssen ihre Gebärfähigkeit wohl oder übel managen. Zwei von drei ungewollten Schwangerschaften entstehen trotz Verhütung.
Abtreibung hat nichts mit Verantwortungslosigkeit zu tun. Hingegen kann es für die Frau und ihre Familie eine verantwortungsvolle Entscheidung sein. Dass Abtreibung im Strafgesetz geregelt wird, wirkt sich negativ auf deren gesellschaftliche Wahrnehmung aus, sie hat negative Auswirkungen auf Patientinnen und gibt Konservativen Kräften die Möglichkeit, die Arbeit von Ärzten mit Falschinformationen und Klagen zu erschweren.
Abtreibung wird immer noch nicht als normaler Bestandteil der Gynäkologie angesehen. So können sich konservativ gefärbte Vorbehalte gegenüber den Betroffenen halten. Es fällt vielen leichter, sich als selbsternannte "Lebensschützer" zu inszenieren. Und oft scheint es, als ob mit der Stigmatisierung der Abtreibung gerade verhindert werden soll, die tatsächlichen Bedürfnisse von Frauen anzuerkennen oder ihnen Gehör zu verschaffen. Frauen haben oft nur die Möglichkeit, ihre Erfahrungen im Zerrspiegel dieser moralischen, religiösen und politischen Kämpfe zu erleben.
Statt eines Abtreibungsverbots scheint eher ein Gesetz von Nöten, dass Klinken dafür Sorge tragen müssen, dass Abtreibung zugänglich ist und die Frauen alle hierfür nötigen Informationen bekommen.
Noch wichtiger aber ist: Solange Abtreibung stigmatisiert und illegalisiert bleibt, können wir keinen gesunden und menschlichen Umgang mit ihr erlernen.
Sarah Diehl, Jahrgang 1978, lebt als Autorin, Kulturwissenschaftlerin und Dokumentarfilmerin in Berlin. Magister in Afrikawissenschaften und Gender Studies. Seit 2004 engagiert sie sich im Bereich der internationalen reproduktiven Rechte von Frauen und hat bereits zwei Anthologien hierzu herausgebracht: "Brüste Kriegen" (Verbrecher Verlag, 2004) und "Deproduktion – Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext" (Alibri, 2007).
Ihr Dokumentarfilm "Abortion Democracy - Poland/South Africa" handelt von den Veränderungen in den Abtreibungsgesetzen in Südafrika und Polen und deren Auswirkungen auf die Lebensrealität von Frauen. Ihr Debütroman "Eskimo Limon 9" über die Annäherungen zwischen Juden und Deutschen erschien 2012 im Atrium Verlag. Derzeit arbeitet sie an ihrem zweiten Roman und ihrem Dokumentarfilm "Pregnant Journeys" über Frauen, die sich in der Illegalität helfen, Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch zu bekommen.
Die daraus folgenden juristischen Auseinandersetzungen führten dazu, dass der Oberste Gerichtshof in Kanada 1988 Abtreibung komplett entkriminalisierte. Es gibt seither weder Fristen noch andere gesetzliche Beschränkungen, die einer Frau den Zugang zu einer sicheren Abtreibung verwehren. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau wird gesetzlich weder eingeschränkt noch in Frage gestellt und steht wie jede andere medizinische Versorgung frei zur Verfügung.
Die Auswirkungen in Kanada waren sehr positiv. Die Abtreibungsrate ist sogar gefallen, und die meisten Abtreibungen finden, wie in anderen Ländern auch, zwischen der neunten und zwölften Woche statt.
Der Mythos, dass Frauen bei völliger Legalität ohne Gewissen auch noch im achten Monat abtreiben, entspringt einer frauenverachtenden Fantasie. In der Realität ist sie unhaltbar. Umso verwunderlicher ist es, dass sich dieses positive Beispiel nicht auch in anderen Ländern durchgesetzt hat.
In Deutschland ist ein Abbruch immer noch illegal - aber bis zur zwölften Woche straffrei. Diese Frist ist, auch im Hinblick darauf, dass der Fötus vor der 22. Woche weder Schmerzempfinden noch ein Bewusstsein hat, willkürlich gesetzt. Manchmal ist ein Abbruch auch nach der zwölften Woche notwendig, weil sich Lebensumstände verschlimmern oder weil die Schwangerschaft zu spät entdeckt wurde.
In Deutschland müssen Frauen dafür immer noch nach Holland reisen, wenn sie sich dies überhaupt leisten können. Dies tun etwa 1000 Frauen im Jahr.
Eine Frauenärztin berichtete, dass viele Fälle von Abbrüchen nach der zwölften Woche, die sie erlebt hat, meistens mit häuslicher Gewalt oder Angst vor Bestrafung von ihren Familien einhergingen.
Es geht um Einzelfälle, und auch mit einer völligen Legalisierung würden es Einzelfälle bleiben. Aber unter solchen schweren Lebensumständen würden den Frauen nicht noch zusätzliche Hürden in den Weg gelegt werden, den sie so oder so beschreiten müssen.
Woher kommt unsere Lust daran, Frauen deshalb zu verurteilen?
Jede dritte Frau hat in ihrem Leben einmal eine Abtreibung, denn Frauen müssen ihre Gebärfähigkeit wohl oder übel managen. Zwei von drei ungewollten Schwangerschaften entstehen trotz Verhütung.
Abtreibung hat nichts mit Verantwortungslosigkeit zu tun. Hingegen kann es für die Frau und ihre Familie eine verantwortungsvolle Entscheidung sein. Dass Abtreibung im Strafgesetz geregelt wird, wirkt sich negativ auf deren gesellschaftliche Wahrnehmung aus, sie hat negative Auswirkungen auf Patientinnen und gibt Konservativen Kräften die Möglichkeit, die Arbeit von Ärzten mit Falschinformationen und Klagen zu erschweren.
Abtreibung wird immer noch nicht als normaler Bestandteil der Gynäkologie angesehen. So können sich konservativ gefärbte Vorbehalte gegenüber den Betroffenen halten. Es fällt vielen leichter, sich als selbsternannte "Lebensschützer" zu inszenieren. Und oft scheint es, als ob mit der Stigmatisierung der Abtreibung gerade verhindert werden soll, die tatsächlichen Bedürfnisse von Frauen anzuerkennen oder ihnen Gehör zu verschaffen. Frauen haben oft nur die Möglichkeit, ihre Erfahrungen im Zerrspiegel dieser moralischen, religiösen und politischen Kämpfe zu erleben.
Statt eines Abtreibungsverbots scheint eher ein Gesetz von Nöten, dass Klinken dafür Sorge tragen müssen, dass Abtreibung zugänglich ist und die Frauen alle hierfür nötigen Informationen bekommen.
Noch wichtiger aber ist: Solange Abtreibung stigmatisiert und illegalisiert bleibt, können wir keinen gesunden und menschlichen Umgang mit ihr erlernen.
Sarah Diehl, Jahrgang 1978, lebt als Autorin, Kulturwissenschaftlerin und Dokumentarfilmerin in Berlin. Magister in Afrikawissenschaften und Gender Studies. Seit 2004 engagiert sie sich im Bereich der internationalen reproduktiven Rechte von Frauen und hat bereits zwei Anthologien hierzu herausgebracht: "Brüste Kriegen" (Verbrecher Verlag, 2004) und "Deproduktion – Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext" (Alibri, 2007).
Ihr Dokumentarfilm "Abortion Democracy - Poland/South Africa" handelt von den Veränderungen in den Abtreibungsgesetzen in Südafrika und Polen und deren Auswirkungen auf die Lebensrealität von Frauen. Ihr Debütroman "Eskimo Limon 9" über die Annäherungen zwischen Juden und Deutschen erschien 2012 im Atrium Verlag. Derzeit arbeitet sie an ihrem zweiten Roman und ihrem Dokumentarfilm "Pregnant Journeys" über Frauen, die sich in der Illegalität helfen, Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch zu bekommen.