Meinung
Seit Jahrzehnten wird um den Paragraf 218 gestritten. Nie gab es so viel Einigkeit: 80 Prozent der Bevölkerung sind für eine Abschaffung. © picture alliance / Geisler-Fotopress / Christoph Hardt
Reform des Paragrafen 218 ist auch ein Zeichen für die Demokratie
04:17 Minuten
Die Mehrheit der Deutschen befürwortet die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Doch die geplante Reform des Paragrafen 218 droht an Machtpolitik und Parteitaktik zu scheitern. Das wird das Vertrauen in die Demokratie weiter untergraben.
Wissen Sie, seit wann es den Paragraf 218 im Strafgesetzbuch gibt? Seit der Kaiserzeit. Vor 154 Jahren wurden damit Schwangerschaftsabbrüche als rechtswidrig eingestuft. Damals konnte das bis zu fünf Jahre Gefängnis bedeuten. Heute gefährdet es die grundlegende medizinische Versorgung von Frauen.
Seit Jahrzehnten wird um den Paragraf 218 gestritten. Noch nie gab es so viel Einigkeit: 80 Prozent der Bevölkerung sind für eine Abschaffung. Mehr als 70 führende Verbände, Organisationen und Netzwerke fordern die Reform. Denn der Paragraf 218, er ist unzeitgemäß.
Minimalkonsens wäre historisches Wunder
Eine Neuerung könnte nun so aussehen: Frauen müssen bei einer ungewollten Schwangerschaft nicht mehr fürchten, sich strafbar zu machen. Sie lassen sich beraten. Können direkt danach, innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis, einen Abbruch vornehmen lassen. Die Krankenkasse trägt die Kosten.
Um mehr geht es nicht. Was im Jahr 2025 selbstverständlich sein könnte und noch immer ein Minimalkonsens ist – es wäre in Deutschland ein historisches Wunder zum Ende der Legislaturperiode. Ein Wunder, auf das viele gehofft haben.
Mitte November legte eine Gruppe von Abgeordneten mehrerer Fraktionen den Gesetzesentwurf zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen vor. Das war ein starkes Zeichen für Frauen und all jene, die sich für ihre Menschenrechte einsetzen. Es war ein starkes Zeichen für die Demokratie. Sollte es doch möglich sein, gemeinsam und über Parteigrenzen hinweg an der Sache zu arbeiten. Politik nah an den Bedürfnissen der Bevölkerung, statt Polarisierung und Partei-Gerangel.
Union und FDP blockieren
Die Parteispitzen von Union und FDP stellen sich trotzdem quer. Empören sich, blockieren. Moralisieren, wo es eigentlich um einen demokratischen Vorgang geht. Das ist nicht nur ärgerlich, es ist fahrlässig.
Deutschland hat eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze in Europa. Im April 2024 empfiehlt eine von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission ausdrücklich die Entkriminalisierung. „Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs ist nicht haltbar“, urteilte sie. Die Regelungen im Strafgesetzbuch hielten einer "verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Prüfung" nicht Stand.
Den Gesetzesentwurf von SPD, Grünen und Linken unterschrieben in kurzer Zeit Hunderte andere Abgeordnete. Die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Ulle Schauws, bezeichnete die Unterstützung des Antrags als „starkes Zeichen aus der Mitte des Parlaments“. Viele waren zuversichtlich, bei einer Abstimmung die notwendige einfache Mehrheit für eine Gesetzesänderung zu erreichen – noch vor den Neuwahlen und einer vermutlich konservativeren Regierung.
Parteitaktik statt Rücksicht auf Menschenrechte?
Doch die Chance, das noch umzusetzen, ist gering. Bereits die Terminplanung macht es schwer. Am 11. Februar ist der letzte Sitzungstag vor der Bundestagswahl. Erst einen Tag zuvor ist für 17 Uhr die öffentliche Anhörung zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen im Rechtsausschuss angesetzt. Dort könnte der Antrag mit den Stimmen von Union, FDP und AfD „versenkt“ und die Abstimmung im Parlament noch verhindert werden. Es müsste wirklich ein Wunder geschehen, damit am Folgetag abgestimmt wird.
Wäre es nicht so tragisch, es könnte eine Farce sein. Eine Nicht-Abstimmung, sie stünde für machtorientiertes Denken und Parteitaktik – ohne Rücksicht auf die gesellschaftliche Mehrheit und unsere Menschenrechte. Für unsere Demokratie wäre das ein weiteres Warnsignal. Für Wählerinnen und Wähler hoffentlich auch.