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Stigmatisiert und weggesperrt
24:04 Minuten
Weltweit machen "Lebensschützer" für strengere Abtreibungsgesetze mobil. Sie kriminalisieren sogar Frauen, die abtreiben, weil ihr Leben in Gefahr ist. Besonders extrem ist es in El Salvador: Dort reicht schon eine Fehlgeburt, um ins Gefängnis zu kommen.
Frauen, die eine Abtreibung vornehmen, müssen in vielen Ländern drakonische Strafen fürchten. Sie werden stigmatisiert und als Mörderinnen angeklagt. Dort wo ein Komplettverbot für Schwangerschaftsabbrüche gilt, darf selbst nach Vergewaltigungen oder bei Gefahr für das Leben der Mutter keine Abtreibung vorgenommen werden. Das ist zum Beispiel in El Salvador, Nicaragua, der Dominikanischen Republik und den Philippinen der Fall.
Dabei ist längst klar: Strenge Verbote führen nicht dazu, dass es weniger Abtreibungen gibt. Im Gegenteil: Gerade dort, wo der Zugang zu legaler Abtreibung verwehrt bleibt, ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche hoch. So werden in Lateinamerika jährlich mehr als doppelt so viele Abbrüche vorgenommen wie in Nordamerika.
Denn Frauen, die ungewollt schwanger werden, suchen sich ihre Wege. Oft sind sie dann gezwungen, auf unsichere, illegale Abtreibungen auszuweichen und begeben sich damit in Lebensgefahr. Laut der Weltgesundheitsorganisation sterben jährlich fast 50.000 Frauen infolge unsicherer Abtreibungen – der Großteil in Entwicklungsländern.
"Pro Life" macht global mobil
Trotzdem machen gut vernetzte Aktivisten der sogenannten Pro-Life-Bewegung weltweit gegen die Lockerung von Abtreibungsverboten mobil. Mit Erfolg. Sie bekommen Unterstützung von Evangelikalen, der katholischen Kirche und erzkonservativen Kräften und zunehmend orientieren sich auch Regierungen an den Forderungen der "Lebensschützer".
So droht in Polen unter der nationalkonservativen PiS-Regierung ein Roll-Back. Das Abtreibungsverbot soll verschärft werden, obwohl Schwangerschaftsabbrüche schon bisher nur unter sehr strengen Auflagen möglich sind.
Wohin es führen kann, wenn Abtreibung ohne Ausnahme kriminalisiert wird, zeigt das Beispiel El Salvador. Das Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch zählt zu den restriktivsten weltweit. Hier gelten sogar Frauen, die Fehlgeburten erlitten haben, als Mörderinnen. Sie müssen mit Anzeigen rechnen und Gefängnisstrafen von bis zu 35 Jahren absitzen. Die Anklage lautet: illegale Abtreibung und Mord.
El Salvador: Nach Fehlgeburt für 30 Jahre im Frauenknast
Frauenknast von Ilopango: In der Mittagspause singt und betet die 29-jährige Alba Lorena Rodriguez mit anderen Insassinnen für ihre vorzeitige Entlassung. Rodriguez sitzt hier eine Strafe von 30 Jahren ab, weil sie ihr Frühgeborenes umgebracht haben soll.
Sie hatte bereits zwei Töchter, als sie vergewaltigt und dadurch schwanger wurde. An Abtreibung, die in El Salvador unter allen Umständen verboten ist, habe sie keine Sekunde gedacht, erzählt die junge Frau unter Tränen. Im fünften Monat der Schwangerschaft wurde ihr eines Tages schwindelig. Sie war allein in ihrer Elendshütte in einem Slum der Hauptstadt. Als die Geburt vier Monate zu früh begann, wurde Alba ohnmächtig.
"Ich habe überhaupt nichts geahnt. Ich war ja erst im fünften Monat schwanger und es kam mir überhaupt nicht der Gedanke, dass mir so etwas wie eine Fehlgeburt passieren könnte."
Da sie schon zwei Töchter hatte, hätte sie die Symptome vielleicht erkennen können, meint Alba, "aber mir tat einfach nichts weh".
Eine Nachbarin zeigte sie wegen Mordes an. Dass Alba keinen Krankenwagen gerufen hatte, war nach Ansicht des Richters Beweis für ihre Schuld. Allerdings kommen Krankenwagen gar nicht in den weit abgelegenen Slum. Geschwächt und deprimiert wegen des verlorenen Kindes landete sie sofort hinter Gittern. Geld für einen Anwalt hatte die Frau nicht. Dass sie derart kriminalisiert wurde, ist die Folge der restriktivsten Abtreibungsgesetzgebung der Region. Schwangerschaftsabbrüche sind in El Salvador unter keinen Umständen erlaubt – auch dann nicht, wenn Leben von Mutter und Kind in Gefahr sind, nach sexuellem Missbrauch Minderjähriger oder Vergewaltigungen.
Ein Thema sozialer Gerechtigkeit
Seit langem kämpfen Feministinnen wie Sara Garcia von der Bürgerbewegung für die Entkriminalisierung der Abtreibung für andere Gesetze. Das absolute Verbot führe dazu, dass Frauen stigmatisiert würden, meint Garcia. Weil das Thema ein Tabu ist, informieren Sara Garcia und ihre Mitstreiterinnen in ihrem eigenen kleinen Radio darüber.
"Wir wollen, dass es als Thema sozialer Gerechtigkeit gesehen wird. So wie El Salvador bislang damit umgeht, verletzt das die Menschenrechte von Frauen", sagt die Feministin. El Salvador habe eine sehr polarisierte Kultur, in der Debatten nicht ermutigt würden und sich niemand Probleme aufhalsen wolle. Es werde stark vereinfacht: in Gut und Böse, schwarz und weiß.
"Wenn wir im Radio über Abtreibung sprechen, versuchen wir zwar, die ganze Bandbreite der Haltungen zu berücksichtigen, aber immer überzeugt davon, dass es nichts bringt, zu kriminalisieren."
Denn Garcia ist überzeugt: "Das löst die Probleme der Frauen nicht."
Anwältinnen ihres Kollektivs unterstützen Frauen in Haft, wie etwa Teodora Vasquez, deren Geschichte um die Welt ging: Nachdem ihr Baby im letzten Schwangerschaftsmonat tot geboren war, zeigte man sie wegen Kindsmord an und verurteilte sie zu mehr als 30 Jahren Gefängnis. Nur durch internationalen Druck kam sie nach 10 Jahren und 7 Monaten frei.
"Ich hätte nie ins Gefängnis kommen dürfen", ist sich Teodora sicher. "Nicht ich hatte ein Vergehen begangen, sondern der Staat: Es gibt keine Gleichberechtigung und wir armen Frauen haben keine Mittel, um uns zu verteidigen."
Der Staat verurteile die Frauen, während die Männer mit ihnen machen könnten, was sie wollten: Sie schwängern und dann verlassen, vergewaltigen und noch viel mehr.
"Und der Staat schließt die Augen. Auf unserem Rücken wird diese harte Gesetzgebung ausgetragen, aber das ist ihnen egal. Eine Mauer trennt uns von der Wirklichkeit."
Hinter Gittern zur Aktivistin geworden
Ihre Erfahrung hat sie zur Aktivistin gemacht: Heute kämpft Teodora Vasquez gegen die Abtreibungsgesetze und hilft inhaftierten Frauen mit ähnlichem Schicksal. Teodora Vasquez besucht die verzweifelte Alba Rodriguez regelmäßig im Gefängnis, in dem sie schon seit acht Jahren sitzt. Rodriguez kann ihre Töchter, die inzwischen Teenager sind, nur selten sehen, weil die Familie kein Geld für den Transport hat. Als Putzfrau hatte sie höchsten fünf Euro am Tag verdient. Teodora Vasquez und die Bürgerbewegung für die Entkriminalisierung versuchen nun, wenigstens eine Strafminderung für die junge Mutter zu erreichen. Im Knast werde sie als Kindsmörderin beschimpft und wie Abschaum behandelt, klagt Alba Rodriguez:
"Ich bete zu Jehova, damit er mir meinen größten Wunsch erfüllt: dass ich freikomme und wieder bei meinen Töchtern sein kann. Der Gedanke, sie bald wieder zu umarmen, gibt mir Kraft. Sie sind das Einzige, was ich da Draußen noch habe."
Wenn sie freikommt, so Alba, wolle sie sich für ihre Compañeras einsetzen, die das gleiche Schicksal teilen.
Selbst die Regierung der aus der Guerilla hervorgegangenen linken FMLN ändert die Gesetze nicht. Zu stark ist der Widerstand der konservativen, kirchlichen und machistischen Kräfte. Diese verhindern sogar den Sexualkundeunterricht in Schulen. Vor zwei Jahren startete die Regierung eine Initiative, das absolute Abtreibungsverbot aufzuweichen, wenigstens in Fällen von Vergewaltigung oder bei Gefahr für das Leben von Mutter und Kind. Geändert hat sich jedoch bisher nichts. Und so landen weiterhin Frauen hinter Gittern – selbst wenn sie unverschuldet eine Fehlgeburt erlitten haben.
Polen: "Lebensschützer" gegen den Liberalisierungstrend
Obwohl "Lebensschützer" weltweit mobil machen, geht der Trend bei Gesetzesänderungen eher in Richtung Liberalisierung. So stimmten im Sommer vergangenen Jahres rund zwei Drittel der Iren in einem Referendum für eine Lockerung des Abtreibungsverbotes. Bisher gehört Irland, wo die katholische Kirche sehr einflussreich ist, zu den wenigen europäischen Ländern mit extrem restriktiven Gesetzen zum Schwangerschaftsabbruch. Auch in Argentinien gingen im vergangenen Jahr Tausende Frauen für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts auf die Straße. Das Parlament beschloss in der Folge eine Lockerung, wurde aber vom Senat ausgebremst.
Mehrere Länder bewegten sich in den letzten Jahren weg von einem Komplettverbot und lassen Abtreibungen nun in wenigen Ausnahmen zu. Dazu gehören zum Beispiel Chile, Mali, Somalia und Iran. Doch es gibt auch Bewegung in die andere Richtung: Die nationalkonservative PiS-Regierung in Polen hat der Kirche eine Verschärfung der Abtreibungsregelungen versprochen und auf der Straße sammeln "Lebensschützer" Unterschriften für strengere Gesetze. In einem Land, wo Abbrüche schon jetzt nur unter größten Schwierigkeiten möglich sind und der Zugang zur "Pille danach" und Verhütungsmitteln eingeschränkt ist, drohen nun noch restriktivere Gesetze.
"Die Pille danach, aber nicht mehr"
In der Frauenarztpraxis von Magdalena Lewicka-Fanarakis klingelt das Telefon ohne Pause. Erst im Herbst 2018 wurde sie eröffnet, in einem Hochhaus im Zentrum der westpolnischen Stadt Posen. Betrieben wird die Praxis von der "Fanari-Stiftung".
"Wir haben 24 Stunden geöffnet", erzählt Lewicka-Fanarakis. Von 8 Uhr morgens bis 22 Uhr sei ein Arzt vor Ort, danach in telefonischer Bereitschaft. "Wir wollen Frauen den Zugang zu einem Gynäkologen erleichtern, sie sollen direkt einen Termin bekommen."
In den ersten drei Monaten haben über eintausend Patientinnen den "Punkt Profilaktyki Intymnej", also den Punkt der Intim-Prophylaxe, besucht. Bei einem Dutzend der Frauen wurde ein Tumor entdeckt. Bei gewöhnlichen Frauenärzten gebe es lange Wartezeiten, erklärt Lewicka-Fanarakis. Außer sie gehen privat hin, dann werde es aber teuer.
"Bei uns ist die Sprechstunde dagegen kostenlos. Denn wir sind ein Projekt, das vollständig von der Posener Stadtverwaltung finanziert wird."
Im PiS-regierten Polen ist das eine Seltenheit. Am Anfang hatte die Praxis deshalb auch keine gute Presse - besonders in konservativen Medien. Magdalena Lewicka-Fanarakis meint:
"Es gibt halt Befürworter und Gegner. Und bei uns gibt es eben keine Ärzte, die die Gewissensklausel unterzeichnet haben. Sie können also Verhütungsmittel verschreiben oder die Pille danach. Aber mehr machen wir nicht. Wir nehmen weder Abtreibungen vor noch schicken wir die Frauen zu anderen Ärzten oder geben Adressen von Abtreibungskliniken raus. Wir machen nichts, was gegen das polnische Recht verstoßen könnte."
"Auf die Stimme der Frauen hören"
Genau diese Befürchtung schürten aber Pro-Life-Organisationen in Posen und ganz Polen, als der liberale Posener Stadtpräsident Jacek Jaśkowiak seine Idee der kostenlosen "Rund-um-die-Uhr"-Frauenarztpraxen im vergangenen Frühjahr ankündigte.
"Die durch die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit PiS geplante Verschärfung des Abtreibungsverbots oder die Einschränkung der Pille danach haben zu Protesten geführt. Ich habe versucht, auf die Stimme der Frauen zu hören und beschlossen, diese Gynäkologie-Praxis zu finanzieren."
Dabei gehe es um Beratung und nicht darum, die Frauen zu illegalen Eingriffen oder Eingriffen außer Landes zu zwingen.
"Tatsächlich hat das Interesse unsere Erwartungen übertroffen. Ich bin überzeugt, dass solche Praxen auch in anderen Städten Polens eingeführt werden", so Jaśkowiak.
Bis zu 150.000 illegale Schwangerschaftsabbrüche
Schwangerschaftsabbruch spaltet wie kein anderes Thema Polens Gesellschaft. Zurzeit ist eine Abtreibung nur in drei Fällen legal: Wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist, wenn sie die Gesundheit der Frau gefährdet oder wenn der Embryo unheilbare Schäden aufweist. 2016 gab es in Polen 1098 legale Schwangerschaftsabbrüche. Die Zahl der illegalen Abtreibungen liegt je nach Schätzung bei bis zu 150.000.
Im Wahlkampf gab die PiS-Partei der Kirche das Versprechen, das Abtreibungsverbot noch einmal zu verschärfen. Und sogenannte Pro-Life-Aktivisten sammelten schon 2016 fast 800.000 Unterschriften für die Verschärfung des Gesetzes.
Erst ein landesweiter Widerstand in allen Großstädten, der sogenannte "Schwarze Montag" am 3. Oktober 2016 mit über 100.000 schwarzgekleideten Menschen auf der Straße, konnte die Arbeiten des polnischen Parlaments, des Sejms, an einer Gesetzesverschärfung stoppen.
Fast ein Jahr lang herrschte danach Ruhe. Im Herbst 2017 brachte dann die liberale Volksinitiative "Wir retten Frauen" ein Gesetz in den Sejm ein, das eine ähnliche Regulierung wie in Deutschland vorhatte: Ein legaler Abbruch bis zur zwölften Woche. Hinzukommen sollte Sexualunterricht an Schulen und die Veröffentlichung einer Liste mit Ärzten, die Abtreibungen vornehmen. Außerdem sollte die Pille danach wieder ohne Rezept erhältlich sein.
"Für mich ist das Humanismus"
Als Gegenreaktion starteten zwei weitere Gesetzesinitiativen, die eine Verschärfung vorsehen. Zum einen legten konservative Abgeordnete gegen die bisherigen, ohnehin schon sehr strengen Ausnahmeregelungen eine Verfassungsbeschwerde ein, die bis heute nicht entschieden wurde. Zum anderen sammelte die Pro-Life-Initiative "Leben und Familie" 800.000 Unterschriften dafür, dass eine Abtreibung selbst bei schweren Schäden des Fötus verboten ist. Zu ihren Unterstützern zählen viele junge Leute, wie etwa die 31-jährige Natalia Klamycka. Sie ist überzeugt:
"Etwa 96 Prozent der legalen Abtreibungen in Polen werden bei eugenischer Indikation vorgenommen. Wenn es also einen Verdacht gibt, dass das Kind einen Schaden hat oder eine Behinderung aufweist. Wir wollen, dass auch das Leben dieser Kinder geschützt wird, genau wie das Leben von gesunden Kindern. Wir sehen es als Diskriminierung an, dass man ein gesundes Kind nicht vor der Geburt töten kann, aber ein krankes schon. Eine Überzeugung, die bei der jungen Pro-Life-Aktivistin nicht primär religiös geprägt ist. Sie sagt: "Für mich ist das Humanismus, dass man den Schwächeren und Schutzlosen Schutz gewährt."
Früher habe sie anders über Abtreibung gedacht, doch dann habe sie Fotos von abgetriebenen Föten gesehen und erkannt, dass ein Schwangerschaftsabbruch Menschen töte.
"Bei der eugenischen Indikation frage ich mich zudem, wie wir als Gesellschaft mit Menschen mit Behinderungen umgehen sollen, wenn wir sie vor der Geburt als weniger wert empfinden. Denn das Recht lässt den Eltern die Freiheit, sich ihrer zu entledigen."
Anfang letzten Jahres verwarf das Parlament die Gesetzesinitiative zur Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Stattdessen lässt es die Pläne zur Verschärfung der Abtreibungspraxis weiter prüfen. Mit bisher ungeklärtem Ausgang.
Die Mehrheit der polnischen Wähler will nach einer aktuellen Umfrage des IPSOS-Instituts keine Verschärfung des Abtreibungsrechts. 78 Prozent äußerten sich dagegen, darunter auch 58 Prozent der PiS-Wähler.
Magdalena Lewicka-Fanarakis aus der Posener Frauenarztpraxis, die selbst zwei Kinder hat, hält sich vor dem Mikrofon bedeckt:
"Ich habe dazu meine eigene Meinung, die ich nicht sagen möchte. Aber ich finde, wenn es gewisse Indikationen gibt, dann darf abgetrieben werden. Doch das ist nur etwas, was ich denke. Ich kann ja schlecht für alle Frauen sprechen."