Abtreibungsdebatte in den USA

Richter versus Bevölkerungsmehrheit

08:04 Minuten
Frauen vor dem US-Supreme Court protestieren gegen geplante Änderungen an dem Recht auf Abtreibung.
Frauen vor dem US-Supreme Court protestieren gegen geplante Änderungen an dem Recht auf Abtreibung. © imago-images / NurPhoto / Allison Bailey
Mithu Sanyal im Gespräch mit Marietta Schwarz |
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Nach den geleakten Plänen des US-Supreme Court, das Recht auf Abtreibung zu kippen, gehen Frauen auf die Straßen und protestieren. Eine strikte Gesetzgebung führe nur zu mehr illegalen Abtreibungen, sagt die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal.
Seit Jahrzehnten kämpfen Teile der US-Bevölkerung gegen das Recht auf Abtreibung. Nun könnten sie ihrem Ziel näher gekommen sein denn je. Das Portal "Politico" leakte einen Entwurf für eine mutmaßlich geplante Begründung des Obersten Gerichtshofs, mit der das seit 1973 bestehende Grundsatzurteil gekippt werden soll.

Das "Roe v Wade" genannte Urteil ist eine Grundsatzentscheidung, in der der Supreme Court die Entscheidung über Abbruch oder Fortführung einer Schwangerschaft grundsätzlich der Frau zugestand - und zwar bis zur 24. Woche. Eine Zusammenfassung der geltenden Rechtslage, des geleakten Entwurfs und möglicher Folgen einer neuen Rechtsprechung finden sie in unserem Dossier.

In vielen Staaten, in denen Republikaner regieren, würden sofort sehr strenge Abtreibungsgesetze aus den Schubladen geholt, falls der Supreme Court tatsächlich ein neues Urteil fällen würde, sagt die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal.
"Die Gesetze würden verbieten, nach der sechsten Woche nach der letzten Periode abzutreiben, also zu einem Zeitpunkt, wo die meisten Frauen gar nicht wissen, dass sie schwanger sind."

Vor allem arme Frauen würden leiden

Weit über 90 Prozent der Abtreibungen in den USA finden laut Sanyal weit vor der 13. Woche statt. "Das ist also sehr vergleichbar zu den Regelungen in Deutschland. Es sind nur Ausnahmen, die später passieren. Aber damit kann man natürlich wunderbar Politik machen. Die Pro-Life-Bewegung argumentiert dann immer mit Fotos von Spätabtreibungen, die aber auch in den USA die absolute Ausnahme sind."
Man wisse aus Studien, dass strikte Regelungen keine Abtreibung verhinderten, sagt Sanyal. Stattdessen gebe es dann mehr illegale und damit gefährliche Abtreibungen. Vor allem sozial benachteiligte Frauen seien betroffen. "Frauen mit Geld können in ein anderes Bundesland mit einer liberaleren Gesetzgebung reisen oder sich eine medikamentöse Abtreibung leisten."

Bevölkerungsmehrheit ist für "Pro-Choice"

Die Mehrheit der konservativen Richter am Supreme Court spiegele nicht die Situation in der Bevölkerung wider, sagt Sanyal. "Gesamtgesellschaftlich gibt es viel mehr Zustimmung für 'Pro-Choice' als für 'Pro-Life'. Da hat sich sowohl in den USA als auch weltweit viel getan. Das Recht auf eine sichere Abtreibung ist ein Menschenrecht."
Auch in Deutschland gebe es in diesen Fragen noch Handlungsbedarf, sagt Sanyal. Sie begrüßt die geplante Abschaffung des Paragrafen 219a und plädiert auch für die Abschaffung des Paragrafen 218. "Demzufolge ist ein Schwangerschaftsabbruch immer noch eine Straftat, die nur unter bestimmten Indikationen straffrei ist. Das dürfen wir nicht vergessen. Wir müssen diesen Paragrafen reformieren."
(rja)
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