Abu Hanieh, Abu Rumman: "IS und Al-Quaida"

Antisunnitische Politik als Geburtshelfer für den Terror

Ein zerstörtes Haus in Mossul nach einem Bombenanschlag.
In der irakischen Stadt Mossul tritt der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten offen zu Tage. © dpa / Mohammed Al-Mosuli
Von Fabian Köhler |
Die jordanischen Islamismus-Experten Mohammad Abu Rumman und Hassan Abu Hanieh wollen in "IS und Al-Qaida" den Aufstieg der Terroristen erklären. Sie rekonstruieren die Geschehnisse mit vielen Details. Aber reicht das aus?
Drei Jahre ist es her, dass Abu Bakr al-Baghdadi den "Islamischen Staat in Irak und Syrien" ausrief. Heute ist der Schrecken, den die Terrormiliz von Benghazi über Brüssel bis Kabul verbreitet, kaum noch aus dem kollektiven Bewusstsein wegzudenken.
Doch so selbstverständlich der Terror des "IS" heute ist, so schwer erklärlich scheint das plötzliche Auftreten des selbsternannten Islamischen Staates immer noch zu sein. Diesen "Schein des Unerklärlichen" zu lüften, haben sich zwei jordanische Islamismus-Experten vorgenommen – im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Mohammad Abu Rumman und Hassan Abu Hanieh zeigen auf 240 Seiten, wie aus einer kleinen dschihadistischen Terrorzelle im Kampf gegen die amerikanische Besatzung des Irak eine Macht werden konnte, deren Terror nicht nur Grenzen überschreitet, sondern sie sogar zerstört.

Sunniten wurden statt Amerikanern zum Feindbild

Akribisch vollziehen die beiden Autoren nach, welche Bedeutung salafistische Vordenker hatten, wie die sunnitische Terrorgruppe Schiiten statt Amerikaner als neues Feindbild entdeckte, und wie interne Streitigkeiten die Organisation immer radikaler und brutaler werden ließ.
Ihre Rekonstruktion aus Gesprächsprotokollen, Redemanuskripten und anderen Originaldokumenten liest sich oft so detailversessen, dass der Leser selbst bei Al-Qaida am Planungstisch zu sitzen meint. Und genau das ist das große Problem des Buches: So intim der Einblick beispielsweise in interne Personalquerelen der Dschihadisten auch ist, so oberflächlich bleibt die eigene politische Analyse der Autoren.
Abu Rumman und Abu Hanieh wollen dem arabischen Opfermythos eine arabische Erklärung entgegensetzen: Nicht fremde Mächte hätten den "IS" erfolgreich gemacht, sondern eine sektiererische und anti-sunnitische Politik der syrischen und irakischen Regierung. Das klingt in sich schlüssig.
Cover Abu Hanieh, Abu Rumman: "IS und Al-Qaida"
Cover Abu Hanieh, Abu Rumman: "IS und Al-Qaida"© Verlag J.H.W. Dietz

Autoren kommen Selbstdarstellung des "IS" unangenehm nahe

Unschlüssig ist allerdings, warum die beiden sämtliche Indizien, die ihrer These zuwiderlaufen, nicht einmal diskutieren. Millionengelder vom Golf? Waffen aus Saudi-Arabien? Die Grenzpolitik der Türkei? Wie konnte der "IS" auch weit entfernt von Syrien und Irak Fuß fassen? Wie lang es ihm selbst in Europa Tausende für seinen Kampf zu mobilisieren? Auf Antworten wartet der Leser vergeblich.
In einigen Fällen ist die Beweisführung der Autoren sogar so selektiv, dass sie der Selbstdarstellung des "IS" unangenehm nahe kommen: Zum Beispiel, wenn die Autoren den "IS" als eine Art außer Kontrolle geratene Speerspitze der syrischen Protestbewegung darstellen oder die Brutalität der Dschihadisten als Reaktionen auf die (schiitische) Brutalität erklären, die zuvor Sunniten im Irak und Syrien widerfahren ist.
Am Ende scheitert die Analyse "IS und Al-Qaida" von Mohammad Abu Rumman und Hassan Abu Hanieh deshalb vor allem an dem eingeschränkten konfessionellen Blick, den die Autoren den Akteuren der Region zu Recht vorwerfen. Der "Schein des Unerklärlichen", der die Terrorgruppe umgibt, hat sich auch nach dem Buch nicht gelüftet.

Hassan Abu Hanieh, Mohammad Abu Rumman: IS und Al-Qaida. Die Krise der Sunniten und die Rivalität im globalen Dschihad
Aus dem Arabischen übersetzt von Günther Orth
Verlag J.H.W. Dietz, Bonn 2016
240 Seiten, 19,90 Euro

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