Abubakar Adam Ibrahim: "Wo wir stolpern und wo wir fallen"
Aus dem Englischen von Susan Urban
Residenz Verlag, Wien 2019
360 Seiten, 24 Euro
Eine afrikanische Amour fou
05:51 Minuten
In seinem Debütroman "Wo wir stolpern und wo wir fallen" bricht der nigerianische Autor Abubakar Adam Ibrahim Tabus: Er erzählt von einer gesellschaftlich verpönten Liebe und der Sexualität einer Muslima.
An Romanen, die erzählen, wie sich ein alter Mann in eine erheblich jüngere Frau verliebt, herrscht kein Mangel. Im Debütroman des nigerianischen Schriftstellers Abubakar Adam Ibrahim, Jahrgang 1979, treffen wir auf die umgekehrte Konstellation. Als der junge Drogendealer Reza in das Haus der 55-jährigen Witwe Binta einbricht und von ihr gestellt wird, reicht ein einziger Blickkontakt und die beiden wissen, dass sie füreinander bestimmt sind.
Eine schambesetzte Leidenschaft
Das klingt verdammt kitschig und konstruiert, aber entwickelt sich dennoch zu einer überzeugenden Liebesaffäre zwischen zwei Menschen, die grundverschieden sind. Die Spannung liegt nicht zuletzt daran, dass diese Liebe allen traditionellen Werten der streng muslimischen Gesellschaft widerspricht.
Die langjährige Witwe Binta, mehrfache Mutter und Großmutter, ist eine gottesfürchtige Muslima, die regelmäßig die Madrasa, die Koranschule, besucht. In ihr erwacht eine sexuelle Leidenschaft, für die sie sich schämt, der sie aber nicht widerstehen kann. Sie weiß, es wird das letzte Mal in ihrem Leben sein, dass sie sich als Frau spürt.
Irgendwann wird der junge Mann ihrer überdrüssig sein, doch bis dahin will sie jede Sekunde auskosten. Ein schwieriges Unterfangen, denn in der Kleinstadt, in der sie lebt, kennt jeder jeden. Ihr Geheimnis wird nicht lange bewahrt bleiben.
Abrechnung mit der Korruption
Die Besonderheit von "Wo wir stolpern und wo wir fallen" liegt nicht zuletzt darin, dass Ibrahim mit einem gesellschaftlichen Tabu bricht. Über Sexualität einer muslimischen Frau zu schreiben, ist in Afrikas Literatur, insbesondere in muslimisch geprägten Ländern, extrem selten.
Ibrahims Roman ist zugleich ein Abbild der nigerianischen Gesellschaft. Zwei Welten prallen aufeinander: die im Islam verankerte Tradition eines Patriachats mit Polygamie und die afrikanische Moderne mit Smartphone, Telenovela, Sex, Drogen und Kriminalität. Für Letztere steht Reza, ein so skrupelloser wie sympathischer Gangleader, der mit Haschisch dealt, Polizisten besticht, geheime Aufträge für einen korrupten und machtgierigen Senator übernimmt.
Ibrahims Roman ist nicht nur eine harte Abrechnung mit Nigerias korrupter Politik, sondern auch ein beklemmender Rückblick auf die wiederholten mörderischen Auseinandersetzungen zwischen Christen und Moslems im Norden Nigerias. Ihnen ist Bintas Mann ebenso zum Opfer gefallen wie Sohn und Ehemann ihrer Schwester.
Zwei Liebende, zwei Leidensgeschichten
Bintas eigener ältester Sohn ist während einer Polizeiaktion erschossen worden. Er wäre heute in Rezas Alter, der wiederum auch mit schlimmen Erinnerungen zu kämpfen hat: Seine Mutter, eine Prostituierte, hat ihn verstoßen. Sie ist so alt wie Binta. Auch ohne dass Ibrahim darauf hinweist, wird deutlich, dass hier zwei Liebende unbewusst ihre Verluste kompensieren.
Überschrieben hat Ibrahim die einzelnen Kapitel mit amüsanten nigerianischen Sprichwörtern: "Wer einen alten Mann verspeist, darf sich nicht beschweren, wenn er anschließend graue Haare spuckt." Ein Roman, der uns eine fremde, unbekannte Welt erschließt, mit großer Verve geschrieben, gut lesbar übersetzt, eine beeindruckend erzählte afrikanische Amour fou.