Nicol Ljubic, 1971 in Zagreb geboren, ist Journalist und Schriftsteller. Für seine journalistische Arbeit wurde er unter anderem mit dem renommierten Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet. Über seine Erfahrungen nach dem Eintritt in die SPD schrieb er das Buch "Genosse Nachwuchs. Wie ich die Welt verändern wollte".
Kein Aufbruch, nirgends
Bin ich hier noch richtig? Das fragt sich der Schriftsteller und SPD-Mitglied Nicol Ljubic seit einiger Zeit. Denn aus einer Partei des Aufbruchs sei eine geworden, die nur noch Spiegelstriche abarbeite - allem Gerede vom Neuanfang zum Trotz.
Die SPD, das war für mich die Partei, die mich wieder an die Politik glauben ließ. Weil sie mir zeigte, dass Veränderungen doch möglich sind. In meiner damaligen Wahrnehmung hatte es immer nur Helmut Kohl gegeben, es schien ein Naturgesetz – bis 1998. Der rot-grüne Regierungswechsel verkörperte für mich den Aufbruch in eine neue Zeit. Das war auch der Grund, warum ich Mitglied in der SPD geworden bin. SPD, das war für mich Zukunft.
Keine Alternative mehr zur CDU
Es war das breitbeinige Auftreten Gerhard Schröders, das mir die ersten Zweifel bescherte, dazu eine Politik, die vor allem die Wirtschaft im Blick hatte. Die Jahre in der GroKo machten die SPD dann zu einer Partei der Kompromisse, die ihre Aufgabe darin sah, inhaltliche Spiegelstriche abzuarbeiten und darüber den Mut verlor, groß und anders zu denken. War die SPD 1998 noch die Alternative zur CDU, ist sie längst zu deren Gehilfin geworden.
Beim letzten Mitgliederentscheid habe ich gegen die GroKo gestimmt. Aus Angst, dass der SPD das Regieren wichtiger wird als das Erneuern. Ich hatte gehofft, dass die 20,5 Prozent bei der vergangenen Bundestagswahl jedem in der Partei klar gemacht hätten, dass die SPD sich verändern müsse. Aber die Schmerzgrenze ist offenbar immer noch nicht erreicht. Wirklich verändert hat sich die Partei nicht und von Aufbruch ist auch nirgends etwas zu spüren.
Kurzer Lichtblick: die Regionalkonferenzen
Wie es laufen könnte, haben die Regionalkonferenzen im Vorfeld des Mitgliederentscheids gezeigt. Ich war dabei, und zum ersten Mal seit langem stolz, Parteimitglied zu sein. Es war so, wie ich mir eine lebendige Partei vorstellte: Hunderte waren gekommen, um zu diskutieren – und zwar intensiv, leidenschaftlich und konstruktiv. Eine Werbeveranstaltung für Demokratie und die Mündigkeit der Mitglieder.
Von dieser Lebendigkeit aber ist schon ein paar Monate später nichts mehr geblieben. Es gibt zwar Arbeitsgruppen, die sich Gedanken zur Erneuerung machen, und ab und an sollen wir Mitglieder bei Online-Umfragen mitmachen – aber das alles wirkt wie Beiwerk, während die Parteiführung im selben Geist weitermacht wie all die Jahre zuvor. Nach dem Motto: Bei Umfragewerten von 17 Prozent können wir das Risiko eines Neuanfangs nicht eingehen. Schließlich könnte es ja noch schlimmer kommen für die Sozialdemokratie – siehe Frankreich, wo die Sozialisten atomisiert wurden. So werden die schlechten Umfragewerte absurderweise zum Argument dafür, warum man innerhalb der Partei lieber nicht alles auf den Kopf stellen sollte.
Bin ich noch richtig in der SPD?
Zum ersten Mal seit meinem Eintritt frage ich mich, ob ich noch richtig bin in der SPD. Aus der Partei des Aufbruchs ist eine Partei des Sachverwaltens geworden. In einer Welt, die sich rasant verändert, reicht es aber nicht mehr, politische Spiegelstriche abzuarbeiten. Es geht um die Zukunft unseres Landes, unserer Umwelt, unserer Demokratie und eines gemeinsamen Europas.
Und was macht die SPD? Statt für das Klima einzutreten, knickt sie vor der Autoindustrie ein. Sie hat sich für eine Mietpreisbremse gefeiert, die sich als völlig untauglich darstellt. Sie hat eine Bildungspolitik mitzuverantworten, in der es an Lehrern fehlt. Und als die CSU einen unsäglichen Diskurs über Heimat geführt und Worte wie Asyltourismus salonfähig gemacht hat, blieb die SPD erstaunlich still. Statt mit Vehemenz für eine moderne, andere Vorstellung von Heimat einzutreten.
Dass alles auf den Prüfstand müsse und die SPD einen Neuanfang brauche – das haben nahezu alle verantwortlichen Genossen schon nach der Bundestagswahl im September gesagt. Ein Jahr später wiederholen sich die Worte. Ich befürchte, nicht zum letzten Mal. Denn eines haben die Wahlergebnisse der SPD seit 1998 gezeigt: Schlimmer geht's dann doch leider immer.