Blumentöpfe der Achtsamkeit

Das rauschhafte Glück des Hobbygärtners

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Eine Frau gießt ihre Pflanzen auf einem Balkon.
Es grünt so schön: Vielen Hobby-Gärtnern und -Gärtnerinnen steigt regelmäßig das Glück zu Kopf. © picture alliance / Westend61 / Tilia
Überlegungen von Arno Orzessek |
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Ein Garten erzählt die Geschichte von Wachstum, Verlust und Neuanfang, vom steten Ringen um Harmonie. Der Garten ist ein Spiegel der Seele. Für erquickende Erlebnisse rund um Pflanzen und Blumen reicht allerdings auch schon eine Terrasse aus.
„Philosophie ist nichts anderes als Liebe zum Schönen und Guten. Der Garten ist das schönste Gute, das höchste Schöne“: So schwärmt der Philosoph Byung-Chul Han in seinem „Lob der Erde“, einem restlos überspannten Buch, in dem die tollsten Behauptungen knospen wie Rosen im Frühling ... Und bei genauerer Prüfung verwelken wie Primeln in der ersten Hitze.
Zur Verteidigung des verzückten Autors lässt sich jedoch sagen: Vielen Hobby-Gärtnern steigt regelmäßig das Glück zu Kopf. Oft ist dieser Zustand sogar das höchste Ziel des ganzen Grabens und Säens, Pflanzens und Pflegens. Ein drogenfreies, aber rauschhaftes und zugleich elementares Wohlbefinden – ganz ohne Kater, von Muskelkater vielleicht abgesehen.

Therapie im Blütenbad

Nicht umsonst gibt es Gartentherapien und Therapiegärten – beide im Rahmen von „Green Care“, jenem Konzept, demzufolge der Umgang mit Pflanzen und Tieren Heilungsprozesse fördert, die Gesundheit stabilisiert und die generelle Lebensqualität erhöht.
Nun ist ein Garten eine Verkleinerung von gestalteter Landschaft und Natur zum Hausgebrauch – Terrassen und Balkone mit Topf – und Kübelpflanzen wiederum sind nurmehr reduzierte Gärten, in denen die vollends gezähmte Restnatur pflegeleicht auf Dünger wartet.
Der Kontakt mit der Erde qua Spaten, Hacke und Händen, über dem selbst unesoterische Menschen esoterisch werden können, wird ersetzt durch das mythenfreie Umfüllen von Blumenerde aus der Plastiktüte in den Topf. 

Das spezielle Wohlbefinden des Terrassengärtners

Und dennoch: Meine kleine Terrasse – immerhin ausreichend für fast 40 Blumentöpfe auf mehreren Ebenen – verschafft mir verlässlich ein spezielles Wohlbefinden, das sich in seiner Eigenart durch nichts ersetzen lässt. Und übrigens trotzdem ein hedonistisches Klischee erfüllt. Denn in der warmen Jahreszeit morgens mit dem ersten Kaffee in der Hand ein Sonnenbad im selbst gestalteten Blütenbad nehmen – wem würde das nicht Lust bereiten?
Es mag eskapistisch sein oder nicht: Aber zwischen den leuchtenden Blüten – alternativ: inmitten der ruhigen Schönheit von Grünpflanzen – erschließen sich eher die hellen Seiten des Daseins als die dunklen. Der Alltag schlägt für Momente fast berechenbar in Gemütssonntagsstimmung um.
Allein bis dahin ist es in puncto Arbeitsaufwand ein längerer Weg – und wer diesen Weg nicht auch als Ziel begreift, mag seinen Kaffee lieber im Gartencenter trinken und dann mit blütengesättigten Augen nach Hause gehen.
Was wächst hier eigentlich und wenn ja, warum, lautet die Anfangsfrage des Terrassengärtners, die sich per Versuch und Irrtum, per Fachlektüre oder per Beratung zufriedenstellend beantworten lässt. Wodurch mit den Blumen die Kompetenz wächst und günstigenfalls auch ein grüner Daumen – diese zerebrale Verdichtung von Wissen und Intuition.

Eine Übung der Achtsamkeit

Dem Philosophen und Anthropologen Max Scheler verdanken Hobby-Gärtner den Hinweis, dass bereits Kirchenvater Augustinus den Pflanzen das Verlangen zugeschrieben hat, „vom Menschen angeschaut zu werden“.
Empirisch konnte dieses Verlangen bisher nicht belegt werden. Aber sich vorzustellen, dass die Pflanzen es mögen, wenn man sie anschaut, und zwar nicht mit den Augen der Nachbarn – eine schöne Vorstellung! Hochgerechnet auf die geschundene Natur fern der Terrassen kann diese Übung in Achtsamkeit nur nützlich sein.
Übrigens: Auf meiner Terrasse hat im letzten Herbst irgendein Tier – eine Elster, eine Nebelkrähe, ein Eichhörnchen, wer weiß? – in einem Rosenkübel unbemerkt eine Eichel abgelegt. Und nun wächst eine kleine Eiche rüstig zwischen den Rosenblüten hervor.
Ich behaupte: Wer diese Paarung eines botanisch-zoologischen Zufalls betrachten kann, ohne ein Mindestmaß an Freude zu empfinden, hat es auch sonst schwer im Leben.

Arno Orzessek, geboren 1966 in Osnabrück, studierte in Köln Literaturwissenschaften, Philosophie und Kunstgeschichte. Er arbeitet als freiberuflicher Journalist vor allem für Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur und lebt in Berlin.

Der Autor Arno Orzessek
© imago/STAR-MEDIA
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