Eine Politikerin aus Leidenschaft
Eine ehemalige Hausbesetzerin auf dem Bürgermeisterstuhl? Als Ada Colau ihr neues Amt in Barcelona antrat, waren die Erwartungen groß, die Befürchtungen ebenso. Inzwischen hat sich beides relativiert. Ein paar Projekte wurden zwar gestoppt, die Touristen strömen aber weiter.
Als Ada Colau auf die improvisierte Bühne im ehemaligen Nordbahnhof tritt, schallt ihr tausendfach "Si, se puede" entgegen: "Ja, wir schaffen es". "Was für eine Ehre, was für eine Freude, hier sein zu dürfen", antwortet Colau und stimmt ein: "Si, se puede".
Der Ruf begleitet sie seit Jahren: Colau hat ihn bei Bankenbesetzungen und Zwangsräumungen skandiert; jetzt ist er Motto der linksalternativen Bürgerlisten, die seit Mai in Barcelona, Madrid, Zaragoza und einem halben Dutzend anderer bedeutender spanischer Städte das Sagen haben. Ada Colau - 41 Jahre alt, praktischer Kurzhaarschritt, einnehmendes Lachen - ist Gallionsfigur dieser Bewegung.
"Es ist ein zivilgesellschaftlicher Zusammenschluss. Die Zivilgesellschaft ist der klassischen Politik schon seit Langem voraus: Sie arbeitet im Netz, kooperiert jenseits von ideologischen Grenzen. Wir versuchen auf kommunaler Ebene die Demokratie in diesem Sinn zu modernisieren. Die Demokratie ist mit der Stadt entstanden, deswegen ist es kein Zufall, dass diese Erneuerung in den Rathäusern stattfindet."
Wie die meisten ihrer Amtskollegen hat Ada Colau Politik auf der Straße gelernt, auf Demos, auf Asambleas, langen Versammlungen in Nachbarschaftsvereinen oder auf öffentlichen Plätzen. Sie hat gegen den Irakkrieg demonstriert, als "Supervivienda" mit Cape und Superheldenmaske auf die Immobilienblase aufmerksam gemacht, 2009 die Plattform der Hypothekengeschädigten mitgegründet. Als deren Sprecherin brachte sie 2013 ein Volksbegehren zur Reform des spanischen Hypothekenrechts ins Parlament. Ihr Auftritt im Kongress machte sie landesweit bekannt.
Dem Vertreter der spanischen Großbanken gehöre ein Schuh ins Gesicht geschleudert, er sei ein Verbrecher, stieß sie hervor. Die Talkmaster der Nation schimpften Colau noch Wochen danach "Demagogin", warfen ihr vor, viel zu emotional zu sein. Dabei ist eben das ihre große Stärke: Ada Colau ist Politikerin aus Leidenschaft, nicht aus Kalkül. Das macht sie glaubwürdig.
Sprachrohr einer Bewegung
"Ich hab mich schon als kleines Kind mit anderen zusammengeschlossen, um die Welt zum Besseren zu verändern, vermutlich verdanke ich das meinen Eltern. Das kann man als Aktivistin von außen versuchen, aber auch innerhalb der Institutionen. Allein es von einer Seite aus zu versuchen, reicht nicht. Beides ist notwendig,"
sagt Colau, die ihr Philosophie-Studium nie abgeschlossen hat, weil dafür keine Zeit blieb. Aufgewachsen ist sie in Guinardó, einem kleinbürgerlichen Viertel im Nordosten der Stadt. Die Eltern trennten sich bald nach ihrer Geburt. Colau hat drei jüngere Halbschwestern. Über solche privaten Details redet sie aber nicht gern. Sie sieht sich als Sprachrohr einer Bewegung, nicht als deren Protagonistin.
Vor ihrem holzgetäfelten Büro im Rathaus hängt ein Zettel: "Lasst uns niemals vergessen, woher wir kommen und warum wir hier sind." Mit den Insignien der Macht, den Mechanismen der Parteipolitik tut sich die 41-Jährige, schwer - auch drei Monate nach Amtsantritt. Sie fährt mit der U-Bahn zur Arbeit, trägt auch auf offiziellen Empfängen am liebsten bequeme Hosen und Strickjacke und nickt auf den Ratssitzungen selbst bei den Interventionen der Opposition so empathisch, dass die sich inhaltlich bestätigt fühlt.
Colaus hunderterster Amtstag fällt mit dem Stadtfest Mercè zusammen. Auf dem Rathausplatz zeigen die "Castellers", die katalanischen Menschenpyramiden-Bauer, ihre akrobatischen Kunststücke, innen zieht die Bürgermeisterin Bilanz.
Sie erzählt von zusätzlichen Beihilfen für Schulkantinen, den verhängten Strafen für leer stehenden Wohnraum im Bankenbesitz. Den Streit um den von ihr verhängten Genehmigungsstopp für neue Hotelprojekte erwähnt sie ebenso wenig wie den im Eilverfahren beschlossenen Rückzug der Bewerbung für die Olympischen Winterspiele.
"Keine Fragen mehr? Dann auf zu den Menschenburgen", sagt Colau. Luca, der vierjährige Sohn, rennt auf sie zu, klammert sich an ihre Beine. Sie nimmt ihn auf den Arm, damit er vom Balkon einen besseren Blick auf das Spektakel hat.
"Mein Sohn hat mich mal gefragt, ob ich als Bürgermeisterin die Bestimmerin von Barcelona bin. Vermutlich hat er das in der Schule oder auf dem Spielplatz gehört. Ich habe ihm dann gesagt, dass ich nicht bestimme, sondern auf die Stadt aufpasse, gemeinsam mit vielen anderen. Er weiß nicht genau, was das Rathaus ist, aber ich will ihm klar machen, dass wir ein Team sind, dass sich um die Menschen kümmert."
Die Pressesprecherin unterbricht das Gespräch, die nächsten Termine stehen an. Für einen Augenblick wirkt Ada Colau genervt. Nicht mehr selbst über ihre Agenda bestimmen zu können: Das fällt ihr schwer. Dann drückt sie ihrem Lebensgefährten Adrià das Kind in den Arm und macht weiter.