Philosophie des Spielens

Warum wir beim Punktesammeln das Beste verpassen

30:28 Minuten
Eine Gruppe junger Leute spielt im Kreis rennend Tischtennis.
Völlig im Spiel aufzugehen, zählt letztlich mehr als zu gewinnen. © Getty Images / Golero
Natascha Adamowsky im Gespräch mit Christian Möller · 06.02.2022
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Spiele haben Konjunktur. Nicht nur zur Entspannung, sondern auch als Ansporn, damit Menschen besser lernen oder gesünder leben. Aber wer Spielen mit einem Zweck verbinde, verpasse das Beste daran, sagt die Kulturwissenschaftlerin Natascha Adamowsky.
Spiele können die Massen begeistern. Aber es geht auch eine Nummer kleiner. Während die Olympischen Winterspiele das Ringen um Bestzeiten und Höchstleitungen als globales Spektakel inszenieren, holen sich viele von uns für ihr persönliches Sportprogramm im Alltag motivierende Kicks nach dem Vorbild von Computerspielen: Eine App zählt ihre Schritte, fühlt ihren Puls und führt ein Punktekonto, das ihren sportlichen Ehrgeiz in messbare Zahlen übersetzt.

Anreize für gutes Handeln

"Gamification" heißt dieses Prinzip, die Logik von Spielen als Motivationsschub für andere Lebensbereiche zu nutzen. Kleine Anreize sollen zum Beispiel dafür sorgen, dass Menschen mit Freude lernen, klimafreundlicher handeln oder eben gesünder leben. Sollten wir also alle mehr spielen, um bessere Menschen zu werden und vielleicht sogar die Welt ein bisschen besser zu machen? Das erinnert an eine Idee, die schon der Dichter Friedrich Schiller mit dem Spielen verband.

Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.

Friedrich Schiller, deutscher Schriftsteller und Philosoph

Die Medien- und Kulturwissenschaftlerin Natascha Adamowksy steht dieser viel zitierten Parole eher skeptisch gegenüber. Als Maßgabe einer "ästhetischen Erziehung des Menschen" präge sie bis heute eine weitverbreitete Auffassung von der Bedeutung des Spielens und habe Schiller zu einem "Lieblingskind der Pädagogen" gemacht.
Porträt von Natascha Adamowsky, in einer hellen Strickjacke, Nahaufnahme
Genuss oder Geschäftsmodell? Natascha Adamowsky erforscht, was Spiele über unsere Kultur aussagen.© privat
In Schillers Nachfolge würden Spiele bis heute "in Unterricht, Schule und Sport eingesetzt, um Leute zu disziplinieren und zu bestimmten Verhaltensweisen anzuhalten", so Adamowsky. Kurzum: Das Spiel fungiere als Mittel zum Zweck, es werde eingesetzt, um vorgegebene Ziele zu erreichen. Doch dabei gehe etwas Entscheidendes verloren.

Verlust des Wunderbaren

"Wenn man Spiele nur so betrachtet, dass sie einen bestimmten Zweck haben, dann entgeht einem das Wunderbare am Spiel", sagt Adamowski, "nämlich, dass es Freude macht, dass es faszinierend ist, dass wir es genießen, dass Spielen auch etwas Geselliges ist, etwas Sinnliches, wo wir aus uns herausgehen."
Wenn Spielen allein als eine zweckgebundene, regelgeleitete Aktivität aufgefasst werde, gerieten viele andere Facetten des Begriffs aus dem Blick, sagt Adamowsky. Als Professorin für Medienkulturwissenschaft an der Universität Passau erforscht sie vor allem digitale Kulturen. Die englische Sprache unterscheide zwischen "Game" und "Play", um ein größeres Spektrum zu erfassen.

Lust am Wettbewerb

"Play meint vor allem das Erleben des Spiels", erklärt Adamowsky, "aber auch die Faszination, dass man ganz im Spiel aufgeht, sich darin befindet." Bei "Games" dagegen gehe es um klar definierte Spielregeln und meistens auch um Wettbewerb.
"Spiele sind immer ein Spiegel ihrer Zeit", sagt Adamowsky. Als Wissenschaftlerin interessiere es sie, weshalb das Pendel gegenwärtig eher in Richtung "Game" ausschlage, sodass wir uns vom unbeschwerten "Play", dem freien Spiel, in dem man sich verlieren, vergessen oder auch verwandeln kann, eher wegbewegen.
"Was sagt es über uns als Gesellschaft aus, dass wir offensichtlich so großen Wert auf stark verregelte Freizeitbeschäftigungen legen und vor allen Dingen auch darauf, die ganze Zeit Rekorde zu erreichen?", fragt Adamowsky.

Wir wollen höher, schneller, weiter. Das ist sehr charakteristisch für unsere Zeit. Vor 200 Jahren ist es eher darum gegangen, im Spiel König oder Königin zu werden. Das interessiert heute keinen mehr.

Natascha Adamowsky, Medien- und Kulturwissenschaftlerin

Den Trend zur "Gamifikation" sieht Adamowsky schon deshalb kritisch, weil dort, wo Fitness oder ein gesunder Lebensstil in Aussicht gestellt werde, oft andere Interessen dahinterstünden: "Oftmals wird man da an der Nase herumgeführt, es wird versucht, einen zu bestimmten Entscheidungen zu verleiten, ein bestimmtes Lebensmodell anzunehmen, bestimmte Fragen nicht zu stellen." Ihre Bilanz fällt daher nüchtern aus: "'Gamification' ist im Wesentlichen ein Geschäftsmodell. Die Apps sammeln Daten und wollen uns was verkaufen."

Erkenne dich selbst im Spiel

In der Philosophie dienen Spiele seit Langem als Metaphern und Modelle für das menschliche Dasein schlechthin. Schon Platon nannte den Menschen ein "Spielzeug der Götter". In jüngerer Zeit hegte die Spieltheorie große Hoffnungen, die unbewussten Regeln zu erkennen, nach denen Menschen Entscheidungen fällen.
Auch Tiere spielen. Nicht selten hätten sie damit zum Vergleich mit Kindern angeregt, sagt Adamowsky, weil man annahm, dass sie im Spiel vor allem Fähigkeiten trainierten, die sie zum Überleben brauchen. Mehr und mehr Beobachtungen zeigten jedoch, dass viele Tiere sich völlig zweckfreien Spielen hingeben.

Genießen wie ein Regenwurm

"Und zwar nicht nur die berühmte Krähe, die auf dem Schneedach mit einer Frisbee-Scheibe immer den Dach-Sims herunterrutscht", betont Adamowsky, auch Fische oder Regenwürmer zeigten Verhaltensweisen, "die nicht mit dem Überleben verbunden sind, sondern die Genuss bereiten."
Und was folgt für uns Menschen daraus? "Vielleicht ist das Spiel ein Phänomen, das uns mit viel mehr auf der Welt verbindet, als wir bislang gedacht haben."
(fka)

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