Nils Minkmar, geboren 1966 in Saarbrücken, besitzt einen deutschen und einen französischen Pass. Der promovierte Historiker arbeitete für Roger Willemsen, dann für die "Zeit", die "FAZ" und den "Spiegel". Heute schreibt er für die "Süddeutsche" und seinen Newsletter "Der siebte Tag". Er lebt mit seiner Familie in Wiesbaden.
Die Chefs sind wieder da
04:19 Minuten
Rund um den Pandemie-Hype ums Homeoffice blieb das Aussterben einer dominanten Spezies weitgehend unbeachtet: Der Chef und die Chefin wurden nicht mehr gebraucht. Das meint zumindest Journalist Nils Minkmar. Doch nun kommen die Führungskräfte zurück.
Bald werden sie wieder ihre besonderen Parkplätze nutzen, werden prüfen, wer schon da ist, werden die Stille und Sicherheit ihres Büros genießen und später in gewundenen Ansprachen an die Belegschaft ihre schönsten neudeutschen Managementvokabeln vorzeigen, werden von Projekten, Prozessen und Performance schwärmen. Egal, ob die Firma Kraftwerke herstellt, Brötchen oder Lippenstiftattrappen. Die Chefs sind wieder da.
In der Pandemie fiel es leicht, sie einfach zu vergessen, die Lautsprecher auf stumm zu schalten oder während ihrer Monologe auf eBay nach Schlümpfen zu suchen, aber das war eine historische Ausnahme in der langen Geschichte der Arbeitswelt. Viel darüber geredet wurde nicht. Man vermisste Verwandte, Freunde, Partys, Reisen – aber die Chefin, den Chef?
In der Pandemie fiel es leicht, sie einfach zu vergessen, die Lautsprecher auf stumm zu schalten oder während ihrer Monologe auf eBay nach Schlümpfen zu suchen, aber das war eine historische Ausnahme in der langen Geschichte der Arbeitswelt. Viel darüber geredet wurde nicht. Man vermisste Verwandte, Freunde, Partys, Reisen – aber die Chefin, den Chef?
Wie hätte man es sagen sollen: Fehlen Dir auch diese Analysen der Weltenläufte beim Kantinenessen und dass Dir jemand die Vorzüge guter Arbeit vor schlechter erklärt? Fehlen Dir die Debatten über Beförderungen und Personalpolitik, in denen man vor allem lernt, dass Chefs Fragen lösen müssen, die außer ihnen niemand stellt?
Der Chef als Bestandteil bundesdeutscher Folklore
In der Pandemie, der fragilen Freiheit fern des Arbeitsplatzes, konnte man den Chef vergessen. Dabei ist die Figur der Chefin und des Chefs wesentlicher Bestandteil der bundesdeutschen Folklore.
Mit den Chefs der Heinz-Erhardt-Filme ist die Republik groß geworden, dem Typ des väterlichen Cholerikers, der aber seine Leute auch fördert und mit ihnen Schnaps trinkt. Das Wirtschaftswunder, der Aufbau Ost, die deutsche Leistung in der Globalisierung – nichts ist denkbar ohne deutsche Chefs, die tüchtig anpacken. Ein deutsches Apple, ein deutsches Google – so etwas Kompliziertes ist dabei nicht entstanden, der deutsche Chef spielt im Mittelstand, aber Oho: Dübel, Bohrer, Füllfederhalter – alles Weltspitze!
Führungskräfte haben für skurrile Anekdoten zu sorgen
In der Diskretion der deutschen Chefetagen gedeiht ein ganz eigenes kulturelles Klima und das ist auch gut so: Eine ordentliche Führungskraft hat den gesellschaftlichen Auftrag, für skurrile Anekdoten zu sorgen, die die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen abends zum Besten geben können.
Da gibt es gestandene Männer im Großvateralter, denen die Sekretärin einen Apfel in Schiffchen schneiden muss. Da sind die Rituale des telefonischen Durchstellens und des Gegenteils davon, des ewigen Leider-gerade-im-Meeting, die heimlichen Mittagsschläfchen und die Hobbys, bis hin zu Loriots Liebe im Büro. So ein Chef ist ein kultureller Kosmos ganz für sich allein.
Da gibt es gestandene Männer im Großvateralter, denen die Sekretärin einen Apfel in Schiffchen schneiden muss. Da sind die Rituale des telefonischen Durchstellens und des Gegenteils davon, des ewigen Leider-gerade-im-Meeting, die heimlichen Mittagsschläfchen und die Hobbys, bis hin zu Loriots Liebe im Büro. So ein Chef ist ein kultureller Kosmos ganz für sich allein.
Deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – die ganze Welt weiß es – sind fleißig von morgens bis abends und von der Wiege bis zur Bahre. Ein guter Chef aber, so sagte es mal der Spitzenkoch Vincent Klink, selbst Chef unzähliger Menschen, ein guter Chef muss auch ein bisschen faul sein. Das ist schließlich das deutlichste Privileg und der Grund, selbst einmal Chef werden zu wollen.
Am Arbeitsplatz gedeiht aufgeklärter Absolutismus
Das alles sind tiefverwurzelte Empfindungen. Napoleon fuhr den Deutschen als Schrecken in die Knochen. Dieser Chef war allzu ambitioniert, wollte die Welt aus den Angeln heben ohne Rücksicht auf Verluste. Seitdem verehrt man in Deutschland lieber den Typ des aufgeklärten Fürsten, an dessen Hofe etwa ein Goethe, ein Alexander von Humboldt leben und arbeiten. Dort kann man arbeiten – auch und gerade weil es nicht demokratisch zugeht. Das verkürzt Entscheidungswege und es wird nicht so laut durcheinandergeredet.
Denn auch wenn wir sonst in einer offenen Gesellschaft leben, eine nie gekannte Freiheit in der Wahl unserer privaten Verhältnisse erobert haben, und es in Ehe und Familie keine Chefs gibt – am Arbeitsplatz gedeiht ein gemütlicher, aufgeklärter Absolutismus.
Denn auch wenn wir sonst in einer offenen Gesellschaft leben, eine nie gekannte Freiheit in der Wahl unserer privaten Verhältnisse erobert haben, und es in Ehe und Familie keine Chefs gibt – am Arbeitsplatz gedeiht ein gemütlicher, aufgeklärter Absolutismus.
Das ist die verkannte Gefahr in der kulturellen Dimension der Pandemie, das Long Covid der deutschen Wirtschaft: Dieser Moment in der Schwebe, wo allen klar wird, dass es auch ganz anders geht, weil es ja schon anders gegangen ist. Dass eine Arbeitswelt möglich ist, in der eine Entscheidung getroffen wird, weil sie gut ist, und nicht, weil sie dem Chef gefällt.