Abrechnung mit dem Ex
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Adeles viertes Album ist wieder nach ihrem Alter benannt, in dem sie die Songs geschrieben hat. Thematisch geht es auf „30“ um die Trennung von ihrem Mann. Neben den erwartbaren Herzschmerzballaden hat unser Rezensent aber auch Neues gehört.
Schon vor der Veröffentlichung von Adeles neuem Album „30“ gab es daraus eine Single zu hören. „Easy On Me“ ist eine dramatische Trennungsballade. In diversen Interviews – zum Beispiel mit Oprah Winfrey, mit der Vogue oder dem US-amerikanischen Rolling Stone hat Adele erklärt, worum es in dem Album thematisch geht: nämlich um die Trennung von ihrem Mann und dem Vater ihres Kindes, Simon Konecki. Das hat Adele offenkundig sehr mitgenommen.
Mathias Mauersberger: Werden denn die Erwartungen an ein Album voller Trennungs- und Herzschmerzballaden erfüllt?
Jens Balzer: Absolut. Ich möchte fast sagen: übererfüllt. Zwölf Songs gibt es auf „30“ und in denen wird jede Facette scheiternden Beziehungslebens beleuchtet. Das reicht von Selbstanklage und Selbstmitleid bis zur Anklage – oder auch Psychoanalyse – des Partners, von dem man sich trennt. Die Sorge um das gemeinsame Kind, das nun als Scheidungskind aufwachsen muss, spielt genauso eine Rolle, wie die Frage, ob die eigene Beziehungsunfähigkeit nicht in der eigenen Biografie wurzelt. Adeles Vater verließ die Familie, als sie zwei Jahre alt war.
Das ist alles drin auf diesem neuen Album, obwohl man natürlich auch sagen muss, dass Adele seit Beginn ihrer Karriere am liebsten über scheiternde Beziehungen gesungen hat. Insofern hört sich vieles doch recht vertraut an.
Wenig originelle Texte
Mauersberger: Recht vertraut hat sich ja auch schon die Single „Easy On Me“ angehört, die vorab veröffentlicht wurde, eine Pianoballade mit dramatischem Gesang. Setzt das den Ton auch für die anderen Songs?
Balzer: In musikalischer Hinsicht gibt es eigentlich nur ein weiteres Stück, das diesem Muster folgt. Und das ist wirklich ganz, ganz schlimm, ich kann es nicht freundlicher sagen. „To be Loved“, die vorletzte Nummer auf dem Album, das ist textlich eine Variation der Single „I built a home for love to grow / but I was too young to know“.
Und dann beklagt sie sich über sich selber, dass sie immer alles versaut. Und in diesem Selbstmitleid steigert sie sich dann dermaßen in Melismen und Tonhöhensprünge hinein, dass man irgendwann denkt, da geht es jetzt wirklich nicht mehr um den Ausdruck von Gefühlen oder von sonst irgendwas, sondern nur noch um die Demonstration von Virtuosität. Das soll besonders authentisch wirken, aber tatsächlich klingt sie hier so verpanzert und klischeehaft wie noch nie – zumal die Texte auch noch wenig originell sind.
Mauersberger: Das finden Sie schlimm, und wie klingt der Rest?
Balzer: Der Rest ist gar nicht so schlimm. Er ist vor allem für die Verhältnisse von Adele sehr abwechslungsreich. Das Album wird gerahmt von zwei Stücken: „Strangers by Nature“ und „Love Is A Game“.
Balzer: Der Rest ist gar nicht so schlimm. Er ist vor allem für die Verhältnisse von Adele sehr abwechslungsreich. Das Album wird gerahmt von zwei Stücken: „Strangers by Nature“ und „Love Is A Game“.
Beide ergehen sich in großen, schwelgenden, Burt-Bacharach-artigen Arrangements, mit Streichern und dramatischen Orchestereinsätzen. Dazu kommt ein Gesang, der sich an klassischen Jazz-Intonationen orientiert inklusive Call-and-Response-Gospel-Passagen und Scat-Improvisationen. Da merkt man, da hat sie wirklich etwas Neues versucht.
Ansprache an ihren Ex-Mann
Es gibt zwei wunderbare Stücke, „Hold on“ und „To Be Loved“, die über so einem sonderbar groovelosen Funk-Bass gesungen werden. Dazu holztrockene, knackernde Rhythmen. Die Songs wurden interessanterweise von Inflo koproduziert, einem britischen Produzenten, der in den letzten beiden Jahren mit dem Kollektiv Sault bekannt wurde.
Das machte Furore mit zwei sehr düsteren, sehr intensiven Alben über den Rassismus in der Gesellschaft und die Black-Lives-Matter-Bewegung. Diese düstere, intensive Stimmung trägt auch diese beiden Songs. Bloß dass es hier nicht um politische Fragen geht, sondern wiederum um Beziehungskrisen.
Also mit „Hold On“ richtet sie sich offensichtlich an ihren Ex-Mann. Sie singt darüber, dass sie um seine früheren Verletzungen weiß, sie wollte ihn heilen, aber er war nicht bereit dafür.
Mauersberger: Jetzt wissen wir, was Sie denken. Glauben Sie denn, dass die Adele-Fans mit dem Album zufrieden sein werden?
Balzer: Ja, unbedingt. Es gibt Stellen mit hohem Wiedererkennungswert, wie die erste Single, die ja sofort mehrere Fantastillionen mal gestreamt worden ist. Es gibt auch noch mindestens zwei weitere Hits auf dem Album, und alle Variationen zwischendurch lassen sich als Ausdruck der künstlerischen Weiterentwicklung lesen.
Hohe kommerzielle Erwartungen an das Album
Allein 500.000 Vinyl-Alben hat die Plattenfirma pressen lassen. Daran sieht man schon, welche Erwartungen das bedient. Musik mit einer Vintage-Anmutung, die man sich entsprechend auch auf einem teuren Vintage-Medium zu Gemüte führt.
Dadurch kriegt das Ganze aber auch noch eine interessante Wendung. Denn es gibt ja nicht mehr so viele Presswerke. Die Kapazitäten für Vinyl-Platten sind begrenzt und diese Kapazitäten werden jetzt durch Adele fast vollständig geblockt.
Sehr viele Alben aus dem Bereich der DJ-Musik oder auch aus dem Pop- und Soul-Underground, die gerade fertig sind, können deswegen nicht mehr gepresst werden. Es ist also ein weiteres Mal so, wie es im Pop schon häufig war: Der Mainstream saugt die Arbeit der Pioniere auf und lässt sie anschließend sterben.