Adrian Lobe: „Mach das Internet aus, ich muss telefonieren.
Kuriose Geschichten aus der digitalen Steinzeit“
C.H. Beck, München 2022
192 Seiten, 12,95 Euro
Adrian Lobe: "Mach das Internet aus, ich muss telefonieren"
Die Älteren erinnern sich: Das Einwahlsymbol des Modems ploppte auf, wenn man sich mit dem Internet verband. © imago / Becker&Bredel / bub
Erinnerungen an die digitale Steinzeit
10:12 Minuten
Ob 56K-Modems, rudimentäre Homepages oder gruscheln bei Studi-VZ: Das Internet der Anfangszeit hat wenig gemein mit dem heutigen. Der Politikwissenschaftler Adrian Lobe erzählt, warum er sich beim Schreiben seines Buches sehr alt gefühlt hat.
Adrian Lobe erinnert sich gut an die Anfänge des Internets. "Sündhaft teuer" seien die Tarife gewesen – von 5 Mark oder 20 Mark die Stunde in den einschlägigen Internet-Cafés. „Das war teurer als die Sex-Hotline.“
Der Politikwissenschaftler und Journalist hat ein Buch über die aus heutiger Sicht digitale Steinzeit geschrieben und hat dabei eine Menge Erinnerungswertes ausgegraben. So sei das Tempo, mit dem sich Seiten in der Anfangszeit aufbauten, „sehr zögerlich" gewesen, erinnert er sich. „Das ruckelte und rumpelte.“
Wenn man im Urlaub schnell Informationen brauchte, habe man zum Videotext gegriffen. Der war schneller und auch kostenlos.
Als es noch Mixtapes gab
Er hat "einen analogen Migrationshintergrund", weil er mit Kassetten aufgewachsen ist und der Bravo Sport, die es damals noch im Print gab.
"Und ich kenne noch die Ermahnungen der Eltern, dass man doch jetzt mal die Netzverbindung trennen sollte."
Er hat sich beim Schreiben des Buches "tatsächlich sehr alt gefühlt", weil inzwischen andere Benchmarks oder Vergleichsgruppen hinhalten müssten – die Generation TikTok oder die Generation Instagram.
Teil einer Schwellengeneration
Es ist schwierig gewesen, in diesen "Sedimentschichten zu graben". Studi-VZ habe es bis 2022 gegeben, erst kürzlich sei es abgeschaltet worden, erzählt Lobe. Damit seien aber auch Erinnerungen, Einträge und Fotos verloren gegangen: "Die Server sind runter, man kommt nicht mehr an die Daten ran. Alle Fotos und Pinnwandeinträge sind perdu."
Der Mahnsatz „Das Internet vergisst nicht!“ könne also so nicht gelten: Das Internet sei ein natürlicher Filter, es werde "von gigantischen Datenmassen und –mengen, die jeden Tag hinzukommen", überlagert. "Das ist die schöne Dialektik daran, dass über diese Explosion der Datenmenge am Ende Privatsphäre doch wiederhergestellt werden kann", sagt Lobe.
"Wir wollten doch nur gruscheln"
Er hat das Gefühl einer Schwellengeneration anzugehören, die sich ein bisschen zwischen den Stühlen befand. "Auf der einen Seite das analoge Rüstzeug, das uns die Eltern mitgegeben haben, auf der anderen Seite die neue, schöne, digitale Welt, die auf uns zukam."
Elterngeneration, Politik, Lehrer: Die alten, analogen Autoritäten hätten das nicht verstanden, sie hätten das Internet für eine "vorübergehende Erscheinung" gehalten und eher gewarnt nach dem Motto: „Passt bloß auf, wer sich in diesen digitalen Bahnhofskneipen herumtummelt.“ Dieses Verbotene habe aber auch den Reiz ausgemacht, so Lobe.
"Die Überwachungsmöglichkeiten sind viel größer"
Natürlich habe sich "das Internet" verändert. "Allein für den Familienfrieden ist ISDN oder DSL ein Segen, weil man nebenbei telefonieren kann oder auf Netflix unterwegs sein kann", sagt Adrian Lobe. Auf der anderen Seite verspürt der Journalist durchaus Wehmut, "weil die Überwachungsmöglichkeiten viel größer sind".
Die Anonymität des Internets, die von Anfang an da war, sei auch eine Gefahr. In den Anfangstagen ist seiner Einschätzung nach, der Ton aber noch nicht so gereizt gewesen: „Da spiegelt das Internet sicherlich auch die gesellschaftlichen Entwicklungen, die Individualisierung, den ökonomischen Druck, der sich sicher auch im Tonfall niederschlägt.“
(ros)