Adom Getachew: „Die Welt nach den Imperien“
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Entwürfe einer anderen Globalisierung – und ihr Scheitern
06:11 Minuten
Adom Getachew
Aus dem Englischen übersetzt von Frank Lachmann
Die Welt nach den Imperien. Aufstieg und Niedergang der postkolonialen SelbstbestimmungSuhrkamp, Berlin 2022448 Seiten
34,00 Euro
Aus ungewohnter Perspektive: Die äthiopisch-amerikanische Politologin Adom Getachew erzählt von den Unabhängigkeitsbewegungen im 20. Jahrhundert. Antikoloniale Intellektuelle kämpften für eine neue Wirtschaftsordnung, die nie Wirklichkeit wurde.
In den gegenwärtigen Lesarten des Postkolonialismus kommen die einstigen Vordenker einer postkolonialen Welt nur selten vor. Hierzulande nahezu vergessen sind die Visionen von Kwame Nkrumah, Julius Nyerere oder Nnandi Azikiwe für ein postkoloniales Afrika und von Eric Williams für die Karibik.
Nahezu unbekannt ist hierzulande der schwarze US-Bürgerrechtler W.E.B. DuBois (1868-1963), der den Entkolonialisierungsprozess mit zahlreichen Schriften begleitete. Von ihm stammt die These, das zentrale (und globale) Problem des 20. Jahrhunderts sei die „color line“: die Trennlinie entlang der Hautfarben.
Auf solche Stimmen stützt sich die äthiopisch-amerikanische Forscherin Adom Getachew in ihrer historischen Untersuchung des Antikolonialismus. Allerdings liegt ihr Fokus dabei auf dem „Black Atlantic“, also dem südlichen, anglofonen Afrika und der Karibik. Die weltweite französische, portugiesische und holländische Kolonialherrschaft spart sie fast ganz aus.
Imperium der Ungleichheit
Beginnend mit der Gründung des Völkerbunds 1920 untersucht sie die Bewegungen des antikolonialen Nationalismus, die gegenüber den Imperien ihre Kernforderungen nach Selbstbestimmung und einer gerechten globalen Umverteilung formulierten.
Getachew definiert „Imperium“ hier als „Bündel von Prozessen einer ungleichen globalen Integration, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert eine zunehmend rassifizierte Form angenommen haben“.
Es war dieses „Imperium“, das die vollwertigen Mitglieder des Völkerbunds definierte. Die nach Unabhängigkeit strebenden Staaten mussten bis zur offiziellen Ächtung des Kolonialismus durch die Vereinten Nationen in der berühmten Resolution 1514 noch lange warten: Erst 1960 wurde Nkrumahs Ghana unabhängig, zahlreiche Staaten Afrikas und der Karibik folgten.
Neokoloniale Abhängigkeit
Doch, so führt Getachew aus, es ging eben nicht nur um die juristische Unabhängigkeit, sondern auch um eine faktische „Nichtbeherrschung“. Um der Abhängigkeit der „Peripherie“ von den „Zentren“ – so der damalige Sprachgebrauch – entgegenzuwirken, setzten Nkrumah, DuBois und Williams ihre Hoffnung auf große Föderalstaaten nach dem Vorbild der USA. Solche Gebilde hätten ausreichend Gewicht, um den Gefahren neokolonialer Abhängigkeit zu begegnen.
Es ist hochinteressant, wie Getachew die Kühnheit und die Visionen des postkolonialen Aufbruchs schildert. Noch in den 1970ern kämpften die unabhängigen Staaten um einen realen Ausgleich ihrer ökonomischen Schwäche durch eine „Neue Weltwirtschaftsordnung“.
Aber stattdessen bekamen sie ein marktkonformes Weltwährungssystem und Strukturanpassungen. Und zwar jeder Staat für sich allein, denn auch die regionale Integration brachte nicht mehr hervor als eher schwache Institutionen.
Regionale Vereinzelung
Die Ursachen dieses Scheiterns werden, was den globalen Maßstab betrifft, hier sehr gut nachvollziehbar. Was auf nationaler Ebene in den entkolonialisierten ethnisch und religiös heterogenen Staaten mit unterschiedlichen Zielsetzungen geschah und letztlich den regionalen Zusammenschluss verhinderte, wird weniger deutlich.
Doch in „Die Welt nach den Imperien“ vermittelt Adom Getachew einen sehr wichtigen Aspekt, der in den europäischen Debatten um Raubkunst und Wiedergutmachung oft fehlt: dass der Aufbruch der antikolonialen Nationalisten vor hundert Jahren mit dem kühnen Entwurf einer guten Weltgestaltung einherging.