Adrian Tomine: "Eindringlinge"
Aus dem Englischen von Björn Laser
Reprodukt Verlag, Berlin 2016
120 Seiten, 24,00 Euro
Lebensdramen in knapper Form
In seiner Graphic Novel "Eindringlinge" erzählt der US-Amerikaner Adrian Tomine über die Liebe und die Angst vorm Leben. Was seine Geschichten vereint, ist der melancholische und leise Ton.
Adrian Tomines Buch "Eindringlinge" bringt zwei Welten zusammen: den Comic und die große Tradition der US-amerikanischen Short Story. Tomine erzählt in diesem Buch sechs Geschichten in Comics, die alle zeigen, dass dieser Zeichner auch von Schriftstellern wie Raymond Carver gelernt hat.
Der 1974 geborene Tomine hat sich schon bei seinem Debüt als Spezialist für die kürzere Form vorgestellt. Mit gerade mal 20 Jahren hat er bei einem angesehener Comic-Verlag sein erstes Buch veröffentlicht und ist damit sofort zu einer wichtigen Stimme in der unabhängigen Comic-Szene geworden. Bekannt wurde Tomine auch mit seinen Coverillustrationen für den "New Yorker" und mit Unterstützung des britischen Autors Nick Hornby, der 2002 über Tomines Buch "Sommerblond" geschrieben hat, das sei "ein Comic, lohnend wie ein guter zeitgenössischer Roman."
Mit "Eindringlinge" hat Adrian Tomine sein neuntes Buch veröffentlicht und sich dafür ein neues Personal gesucht. Bisher hat Tomine vor allem von Menschen erzählt, die so leben wie er selbst, die so alt sind wie er und in angesagten Vierteln irgendwas mit Kultur machen. Die Figuren in seinem jüngsten Buch kommen nun aus ganz verschiedenen Welten, ein Gärtner ist dabei, ein älterer Rauschgiftdealer, eine 14-Jährige. Die Geschichte dieses Mädchens ist ein herausragendes Beispiel für Tomines extrem lakonisches Erzählen: Die stotternde Jesse will ausgerechnet Stand Up Comedian werden und stürzt ihre Eltern damit in den Konflikt zwischen Bestärken und Beschützen-Wollen.
Zeichnungen in verhangenen Farben
Nur in ganz wenigen Details zeigt Tomine, dass Jesses Mutter auch einen anderen Kampf führen muss. Auf einem Bild sieht man sie ohne Vorankündigung mit einem Kopftuch, offenbar hat sie ihre Haare verloren. Kurz danach fehlt ein Bild, eine Leerstelle, die ohne ein Wort klar macht, dass die Mutter gestorben ist und Jesse mit ihrem Vater alleine weiterleben muss.
Auch in der stärksten Geschichte dieses Bandes - "Übersetzt aus dem Japanischen" - geht es um eine kleine Familie. In einem Brief an ihre Tochter erzählt hier eine Frau, wie sie sich einmal fast vom Vater der Tochter getrennt hätte. Ausschnitte aus dem Brief sind der einzige Text zu einer ungewöhnlichen Folge von Bildern, die eine Reise der Frau mit ihrer noch ganz kleinen Tochter zeigen. Auf den Bildern sind jedoch nie die Frau oder die Tochter zu sehen, sondern immer nur Details um sie herum, ein Flugzeugsitz, ein Plüschtier, eine Menschenmenge. Diese Zeichnungen in verhangenen Farben wirken wie eingefroren, wie Stillleben, und weil man die Hauptfiguren nie zu sehen bekommen, scheinen die Bilder ein Geheimnis zu bewahren.
Adrian Tomine hat jede seiner sechs Geschichten in einer anderen Art gezeichnet, mal provisorischer, skizzenhafter, flüchtiger, mal mit einer klassischen ligne claire, die allen Elementen eine präzis umrissene Form gibt. Was die Geschichten in ihrer so verschiedenen Optik vereint, ist der melancholische und leise Ton der Lebensdramen, die Tomine in einer auf das Allernötigste verknappten Form erzählt.
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