Der Hausbesetzer
Mit einer spektakulären Schau des Künstlers Adrián Villar Rojas feiert das Kunsthaus Bregenz sein 20-jähriges Bestehen. Der Argentinier hat in Bregenz das gesamte Gebäude in eine Art Betonbunker verwandelt - die Frage ist, ob sich der immense Aufwand lohnt.
So hat man das Kunsthaus in Bregenz noch nie gesehen. Das Erdgeschoss: komplett leergeräumt. Der Kassentresen: weg. Durch die Glasfassade fällt farbiges Licht wie in einen Kirchenraum, der Fußboden ist komplett bedeckt mit einer riesigen Kopie der "Madonna del Parto" des italienischen Renaissancemeisters Piero della Francesca aus dem 15. Jahrhundert.
Gehilfen des Künstlers Adrián Villar Rojas haben das Motiv auf Holzplatten gemalt, 450 Quadratmeter groß. Das Holz hat Wunden, Risse, Schrunden – das sind die Spuren der Zeit, denn es geht hier um Geschichte. Und dass man auf einer schwangeren Madonna herumtrampelt, merkt man erst allmählich, das Bild als Ganzes sieht man nämlich nicht.
Aber es kommt noch besser. Im Stockwerk darüber wähnt man sich in einer höhlenhaften Unterwelt. Die Wände sind vollgekritzelt, an der Decke wuchert Grünzeug, und der gesamte Boden ist ausgelegt mit bräunlichen Marmorplatten, in die Ammoniten eingeschlossen sind. Tonnenweise hat der Künstler das Gestein aus den marokkanischen Bergen herbeischaffen lassen, seine Helfer haben zusätzlich künstliche Versteinerungen herausgemeißelt: Schnecken, Muscheln, stabförmige Fossilien. Die Relieflandschaft soll uns hineinversetzen in eine Phase der Evolution vor 400 Millionen Jahren. Kunsthaus-Kurator Thomas Trummer ist ziemlich stolz auf das Szenario.
"Sie werden hineingezogen und Sie sind wie in einem Terrarium, wo Sie eine Welt umgibt, die Sie einnimmt. Sie werden verschluckt wie Jonas vom Wal."
Erinnert an eine Filmkulisse
Trotzdem erinnert das Ganze sehr an eine künstliche Filmkulisse oder eine perfekte Simulation in einem Naturkundemuseum.
"Das ganze Kunsthaus ist ein Szenario, ein postapokalyptisches Szenario. Es geht darum, wie die Welt aussieht, wenn wir als Menschen nicht mehr da sind."
Auch im 2. Obergeschoss waren Fliesenleger fleißig am Werk. Der Boden ist ausgelegt mit polierten schwarzen Marmorplatten, aus denen weiße Ammoniten hervorblitzen. Das einzige Licht rührt von einer Feuerleiste, über deren Flammen eine Kopie von Picassos Antikriegsbild "Guernica" von 1937 hängt. Und es ist ordentlich warm hier.
Hinter dem Picasso versteckt sich noch ein wandgroßes Gemälde mit Dinosauriern; für mystische Stimmung sorgt auch ein runder Glastisch nebst fünf Sesseln aus massivem Marmor, bekrönt von einer Art Lüster aus rostigem Eisen. Die Szene könnte aus einem Fantasy-Film stammen, in dem böse Männer bei einer kultigen Konferenz das Schicksal der Welt bestimmen.
Das Obergeschoss endlich ist licht und hell, der Boden eine makellose weiße Fläche, 450 Quadratmeter nahtlos gegossen an einem Stück – man staunt, dass sowas technisch möglich ist. Auf einer kreuzförmigen Rampe in der Mitte steht eine Marmorkopie der Beine von Michelangelos "David"; sein Körper, scheint es, ist zu einer Himmelfahrt entschwunden.
Kalt und leblos wirkt das, doch in dem klinischen Ambiente krabbelt eine ferngesteuerte schwarze Spinne ziellos durch den Raum. Auch dieses Leben ist nur künstlich, ein Cyberwesen. Die Evolution ist wohl am Ende.
Nun gut, wir sind schon ordentlich beeindruckt von der Schau, die rein logistisch eine Meisterleistung ist. Adrián Villar Rojas ist ein genialer Organisator, sagt auch der Kurator:
"Es ist unglaublich. Sein Perfektionsgrad, sein hoher Perfektionsgrad hat sich mit unserem gemessen, und wir haben uns ein Match geliefert und eine unglaubliche Schau hingelegt."
Braucht es diese Gigantomanie?
Eine "Show", darf man ruhig sagen. Und es scheint, als habe man dem Künstler für seine museale Hausbesetzung jeden Wunsch erfüllt und dabei jeden Maßstab verloren.
"Vielleicht ist diese Kunst auch näher dem Theater und näher der Literatur, näher auch zu dem Film, zu dem er große Nähe hat. Und er sieht sich auch als Regisseur, und seine Mitarbeiter nicht nur als Helfer, sondern auch als Akteure, wie er sagt."
Adrián Villar Rojas ist ein Künstler ohne Atelier, ein global agierender Nomade, der mit seinen Helfern unermüdlich Kunstwelten entwirft – surreal, phantastisch, apokalyptisch – und der gelegentlich auch bedenklichen Fantasy-Kitsch produziert. Es ist eine Kunst, die sich, wie hier in Bregenz, hauptsächlich aus Zitaten speist: Piero della Francesca, Höhlenmalerei, Picasso, Michelangelo, das Feuer von Jannis Kounellis, die Spinne von Louise Bourgeois. Nur: was er uns damit erzählen will, mag sich nicht recht erschließen.
Doch braucht es dazu diese Gigantomanie, den geradezu irrwitzigen Einsatz an materiellen Ressourcen, all die rekordverdächtigen Effekte? Die Schau ist eine Demonstration künstlerischen Größenwahns und musealer Megalomanie, ein Beispiel für eine überhitzte Event-Kultur, die auf Superlative und Spektakel setzt und ihre Erwartungen immer höher schraubt, bis sie am Ende ihren Reiz verliert.
Es gibt andere Künstler, die haben größere Geschichten erzählt und brauchten dafür ein einziges Bild. Das eben ist die Kunst.