Ägypten braucht klare Rahmenbedingungen für Investitionen

Moderation: Ute Welty |
Die unsichere Situation in Ägypten ist aus Sicht der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer ein Investitionshemmnis. Der Geschäftsführer Rainer Herret sagte, Investoren wollten wissen, wie das neue Wirtschaftssystem aussehe – liberal, religiös oder sozialistisch: "Wenn man diese Rahmenbedingungen kennt, dann kann man Entscheidungen treffen."
Ute Welty: Wie gern hätte man diesem Land eine friedliche Zeit gewünscht, aber genau das Gegenteil scheint der Fall: Der ägyptische Präsident Mursi beansprucht für sich eine Machtfülle, die kaum mit demokratischen Spielregeln in Einklang zu bringen ist. Die Menschen protestieren auch heute dagegen. Peter Steffe.

Beitrag von Peter Steffe

Die Lage in Ägypten zusammengefasst von Peter Steffe. Und aus nächster Nähe beobachtet das alles auch Rainer Herret, Geschäftsführer der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer, der auch gerade geschäftlich unterwegs ist. Guten Morgen nach Kairo!

Rainer Herret: Ja, guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Wie fällt Ihre Beurteilung der Situation aus? Nicht wenige hier in der deutschen Berichterstattung sprechen ja von einem drohenden Bürgerkrieg.

Herret: Das ist sicherlich übertrieben, denn wenn sie allein schon die Zahlenverhältnisse sich vergleichen: In der Muslimbrüderschaft haben wir etwa 200.000 Mitglieder, die da organisiert sind, und das bei einem Volk von 83 Millionen – dass da jetzt Proteste sind, das sind Proteste, aber das ist bei Weitem kein Bürgerkrieg.

Welty: Inwieweit beeinträchtigt diese Unruhe Ihre Arbeit? Können Sie zurzeit überhaupt Kontakte knüpfen und Geschäfte machen?

Herret: Wir haben grundsätzlich das Problem, dass seit des Umsturzes und der Revolution eigentlich keine klaren politischen Vorgaben kommen, und insoweit hat sich ein Großteil unserer Arbeit verlagert. Wir sind tragender Teil mit der Transformationspartnerschaft zwischen der Bundesregierung und der ägyptischen Regierung, wir bauen Berufsausbildungszentren auf, wir haben ein Projekt, mit dem wir im Verbund mit unseren Mitgliedsfirmen Arbeitsplätze schaffen. Wir haben inzwischen etwa 10.000 neue Arbeitsplätze den Ägyptern zur Verfügung gestellt, aber die übliche Kammerarbeit, wo man Investitionsbetreuung macht, das ist natürlich deutlich in den Hintergrund getreten.

Welty: Was würden Sie sich denn für Klarheit, für Ansagen wünschen?

Herret: Man möchte natürlich wissen aus der Sicht der Investoren: Wird das neue Wirtschaftssystem liberal bleiben, wird es ein religiöses, wird es ein sozialistisches? Und wenn man diese Rahmenbedingungen kennt, dann kann man Entscheidungen treffen.

Welty: Geschäfte können ja nur dann gut laufen, wenn es den Partnern auf beiden Seiten einigermaßen gut geht, denn niemand kann etwas verkaufen, wenn keine Gegenleistung angeboten werden kann. In welcher Position sehen Sie da die ägyptische Wirtschaft zurzeit?

Herret: Wir haben da eine geteilte Konjunktur: Die Unternehmen, die nur für den lokalen Markt liefern, die leiden ganz erheblich unter dem Einbruch. Diejenigen, die im Exportgeschäft tätig sind, die haben sich schon fast wieder auf Vorrevolutionsniveau nach oben gerappelt. Und wir sehen das ganz klar auch bei den bilateralen Handelszahlen, dass die deutschen Ausfuhren nach Ägypten schon wieder um acht Prozent in diesem Jahr zugelegt haben.

Wo wir noch Defizite haben, das sind die typischen Investitionen, wo jemand kommt und eine Fabrik errichtet und mit Maschinen und Anlagen investiert. Aber wir haben verstärkt jetzt ein Engagement von deutschen Firmen, die Handelsniederlassungen hier errichten, weil sie davon ausgehen, dass spätestens im nächsten Jahr es dann doch wieder deutlich nach oben geht.

Welty: Welche Branche oder welche Branchen sind besonders betroffen? Ist das der Tourismus?

Herret: Der Tourismus ist auch wieder auf Vorjahresniveau, was den Badetourismus anbelangt. Defizite gibt es da noch bei den Studienreisen. Also wenn Sie jetzt einen Tempel besuchen in Ägypten, dann haben Sie den quasi für sich ganz alleine, das ist natürlich für den Touristen schön, aber für die acht Millionen Ägypter, die im Tourismus arbeiten, eher schlecht.

Ansonsten sind betroffen vor allem so die Konsumgüterbranchen, weil die Menschen sparen und sich zurückhalten, und bei den Investitionsgütern, wie gesagt, die Firmen, die exportieren, die investieren auch und kaufen Maschinen.

Welty: Wie fällt der Vergleich aus mit dem Zustand von vor fünf Jahren, so lange sind Sie ja schon in Kairo?

Herret: Also die hervorragenden volkswirtschaftlichen Gesamtdaten, das hat sich deutlich verschlechtert, obwohl wir im letzten Monat wieder ein Plus von 5,2 Prozent im Wachstum hatten. Es war einfach ein geordnetes System, es waren berechenbare Rahmenbedingungen, aber was man damals übersehen hat, war, dass eben die langfristigen Perspektiven nicht gehalten haben. Und insoweit hofft man eben, dass es jetzt gelingt – welcher Regierung auch immer –, da bessere Zustände zu schaffen.

Welty: Wenn Sie von langfristigen Perspektiven sprechen, wie sehen die Perspektiven der Jugendlichen, der jungen Leute aus? Denn die Jugendarbeitslosigkeit ist ja erschreckend hoch.

Herret: Da haben Sie vollkommen Recht. Also es sind mindestens 40 Prozent, das wird geschätzt, der Jugendlichen, die arbeitslos sind. Und das ist die große Herausforderung für Ägypten und für die ganze Region, hier Arbeitsplätze zu schaffen, und da hat noch keine Regierung ein echtes Rezept gefunden. Das liegt aber auch daran, dass der Privatsektor hier keine verantwortliche Rolle tragen möchte.

Welty: Der erneute Zorn der Bevölkerung entzündet sich ja an der Person Mursi, der zwar seine Mitgliedschaft bei den Muslimbrüdern ruhen lässt und der Präsident aller Ägypter sein wollte. Er wurde aber auch von Anfang an mit einer gewissen Skepsis, gerade auch aus Europa gesehen, haben Sie auch befürchtet, dass sich die Dinge so entwickeln, wie sie sich gerade entwickeln?

Herret: Das konnte man in der Form nicht vorhersehen, denn ich glaube auch, der Präsident konnte nicht erwarten, dass sein Dekret so negative Folgen haben würde. Und eigentlich erlebt man jetzt doch, dass die Mehrzahl der Ägypter eben nicht fanatisch-religiös ist und dass sie mit großem Misstrauen gegenüber den Islamisten dasteht, und deswegen geht man jetzt geballt auf die Straße. Das ist eigentlich eine Form von Basisdemokratie, wenn man es so will. Also das, was Mursi bezweckt hat, sich da als Autokraten aufzuzwingen, das geht sicherlich nicht auf.

Welty: Wie lange können oder wollen Sie sich mit der gegenwärtigen Situation noch zufrieden geben?

Herret: Ich persönlich?

Welty: Ja.

Herret: Ich bin mit der Situation natürlich nicht zufrieden, also es ist ganz klar, wir möchten, dass sich hier die Dinge konsolidieren, dass Parlamentswahlen stattfinden, dass eine Verfassung in Kraft gesetzt wird. Auf der anderen Seite muss man realistisch sein: Wenn man 60 Jahre lang keine Demokratie hatte, dann kann man nicht innerhalb von 12 Monaten ein in sich gefügtes demokratisches System haben. Ich glaube, man ist gut beraten, dem Land die Zeit zu geben, die es braucht, aber die Leute auch in Ruhe zu lassen und ihren eigenen Weg zu gehen, und nicht von Außen ein System aufzuoktroyieren. Da sind wir manchmal auch etwas vorschnell.

Welty: Keine leichte Zeit für Ägypten und keine leichte Zeit für Rainer Herret von der deutsch-arabischen Industrie- und Handelskammer in Kairo. Ich danke sehr für Ihre Eindrücke und wünsche eine gute Reise!

Herret: Vielen herzlichen Dank! Alles Gute!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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