Ägypten

Der Wunsch nach frohen Ostern

Eine Kirche im Koptenviertel von Kairo
Eine Kirche im Koptenviertel von Kairo © dpa / pa / Gintenreiter
Von Anna Osius |
Als die Muslimbrüder in Ägypten an der Macht waren, fürchteten viele koptische Christen um ihre Sicherheit und verließen das Land. Jetzt hoffen sie auf eine friedlichere Zukunft. Unterwegs mit einem muslimischen Taxifahrer durch das Christenviertel von Kairo.
Verkehr. Ohrenbetäubendes Chaos. Abgaswolken, die bleiern über dem Nil hängen. Willkommen in Kairo. Um 10 Uhr morgens geht gar nichts mehr. Eine dreispurige Schnellstraße wird kurzerhand zu einer sechsspurigen erklärt, kreuz und quer kriechen die Autos durch das Blechgetümmel, drängen sich gegenseitig ab. Alles passiert gleichzeitig – von links schiebt sich ein Laster heran, von rechts ein Bus, in der Mitte rennt ein Sesamkringel-Verkäufer, ein Diplomaten-Mercedes versucht es mit Vollgas, ein Motorradfahrer nimmt den Bürgersteig und umkurvt die Menschenmassen. Gehupt wird dabei nicht, um die anderen zu warnen. Gehupt wird aus Prinzip.
Die Gefahr, in Kairos Straßenverkehr umzukommen, ist um ein Vielfaches höher als die Wahrscheinlichkeit, bei Ausschreitungen zu sterben. Die Straße wird täglich zu einem gigantischen öffentlichen Autoscooter. Und wir stehen mittendrin.
Erhaben wie ein Pharao auf seinem Streitwagen chauffiert Taxifahrer Sayyed durch den Kairoer Verkehrswahnsinn. Er lenkt links, hupt rechts, schlängelt sich durch, bremst scharf, lässt ein anderes Taxi vorbei, schickt dem Fahrer noch lachend einen Fluch hinterher – und schafft es ohne einen Kratzer durch das Getümmel.
"Ich liebe den Kairoer Verkehr, ich hab mich dran gewöhnt. Das ist halt Ägypten. Wenn es kein Chaos gibt, wenn nicht gehupt wird – dann bist du nicht in Kairo!"
Sayyed ist Taxifahrer aus Leidenschaft. Er ist stolzer Vater und auch bereits Großvater, ein freundlicher Mittfünfziger mit Karohemd und Knopfaugen. Sein Ein-und-alles ist ein chinesischer Kleinwagen: Er wischt den Wüstensand von der Windschutzscheibe und jammert bei jedem Steinschlag und Schlagloch. Das Taxi ist Fortbewegungsmittel Nummer 1 in Kairo – selbst Auto zu fahren grenzt an Selbstmord. Und Taxis sind spottbillig: Eine Fahrt quer durch die halbe Stadt kostet weniger als einen Euro. Mit voll aufgedrehter arabischer Schnulzen-Musik von Schlagloch zu Schlagloch hoppeln, eingenebelt im Zigarettenqualm des Fahrers stundenlang im Stau stehen, versunken in roten Plüschsitzen, der Fahrer rezitiert lautstark den Koran – das ist Taxifahren in Kairo.
Heute fährt Sayyed. Und er zeigt seine Stadt, seine Welt: Sein Kairo. Er hat Ägypten erst einmal in seinem Leben verlassen – und will eigentlich auch gar nicht weg. Das Chaos ist sein Zuhause.
Kinder baden im Nil, Tuk-Tuks kurven durch die engen Gassen
Treffpunkt ist auf der Nilinsel Zamalek, dem reichen Diplomaten- und Botschaftsviertel. Stuckverzierte Villen reihen sich aneinander. Wer etwas auf sich hält oder aus Europa kommt, wohnt meist in Zamalek. Die Folgen: Völlig überteuerte Mieten, ein manchmal leicht versnobtes Ambiente und das latente Gefühl, für alles viel zu viel zu bezahlen. Sayyed mag das nicht.
"Zamalek ist nicht Kairo. Hier wohnen nur die Reichen, die meinen, sie wären was Besseres. Hier kennt man seinen Nachbarn nicht mal!"
Sagt er, gibt Gas und fährt über die Nilbrücke ins Nachbarviertel – in seine Heimat: Imbaba. Auch wenn die beiden Stadtteile nur eine Brückenlänge entfernt sind, trennen sie doch Welten. Imbaba ist eine arme Gegend, wenn auch nichtmal die Ärmste. Kinder baden im Nil, weil sie kein fließend Wasser kennen. Die Straße ist unter der Dreck- und Staubschicht kaum zu sehen. Frauen verkaufen Obst, das auf Decken auf dem Boden ausgebreitet ist, nebenan stapelt sich der Müll. Esel und Pferde ziehen Karren mit Haus- und Unrat. Straßenkinder betteln. Und überall Tuk-Tuks, kleine schwarz-gelbe, dreirädrige Gefährte, vorne Moped, hinten Taxi, gesteuert von Kindern, die eigentlich noch mit Spielzeugautos spielen sollten. Das ist Imbaba – und Sayyed liebt es.
"Hier wurde mir Benehmen und Moral beigebracht. Auf die Alten zu hören, zu lernen und mein Wissen den Jüngeren weiterzugeben. Hier helfen sich die Leute noch. Wenn du eine Hochzeit feierst und bei deinem Nachbarn stirbt jemand, dann wird die Hochzeit verschoben. Die Menschen lieben und stützen einander."
Während Sayyed sein Auto durch die engen Gassen lenkt, wird er überall freundlich gegrüßt, am Straßenrand winken Kinder. Je weiter wir in das Viertel eintauchen, desto ärmer wird es. Hier beginnen die Asch-uwa-ei-jas, die illegalen Siedlungen, Kairos Elendsviertel. Es sind Slums aus Backsteinen, riesige Rohbauten, schnell hochgezogen, für Fenster, Putz oder ein richtiges Dach reichte das Geld nicht. Jede Etage der halbfertigen Häuser ist dicht besiedelt, die Gassen so eng, dass kaum ein Auto durchpasst, geschweige denn, wenn es brennt, die Feuerwehr.
Hier beginnt eines der Müllviertel Kairos – vor allem Christen leben hier und sortieren den Müll der Millionenmetropole. Ursprünglich konnten sie Schweine halten, die den Unrat fraßen – doch nach Ausbruch der Schweinegrippe wurden alle Tiere gekeult – die Menschen sind seitdem noch ärmer geworden. Und immer wieder hört man von Übergriffen, von Unruhen zwischen Christen und Muslimen. Taxifahrer Sayyed macht das traurig.
"Muslime und Christen sind Brüder. Meine besten Freunde sind Christen. Meine Religion, der Islam gebietet mir, sei gut zu Christen, denn sie sind ein Teil von dir."
Sayyed will zeigen, dass christliches Leben selbstverständlich zu Ägypten gehört. Und so fährt er dahin, wo das Christentum in Kairo seinen Ursprung hat, quer durch die Stadt – ins alte, koptische Kairo.
Am Eingang des Christenviertels passieren wir mehrere Kontrollposten, hochgesichert mit Stacheldrahtrollen, Soldaten patrouillieren mit Maschinengewehren. Die Angst vor Anschlägen ist groß, seit im vergangenen Sommer der islamistische Präsident Mohammed Mursi vom Militär gestürzt und die Proteste der Muslimbrüder blutig niedergeschlagen wurden. Seitdem häufen sich Angriffe auf Militärposten, Polizeiwachen und auch christliche Einrichtungen. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis an kulturell wichtigen Stätten wie dieser die erste Autobombe hochgeht. Sayyed nimmt die Kontrollen trotzdem gelassen
"Schau, sie sind nervös, sie haben Angst vor Anschlägen, sie haben Angst vor dem Tod. Ich glaube nicht, dass etwas passiert. Ich habe keine Angst."
Alt-Kairo und seine tausendjährige Geschichte
Von der Straße biegen wir zu Fuß ab in eine Art Kellerschacht. Wir steigen eine steile Treppe hinunter, gehen durch einen steinernen Torbogen und einen dunklen Gang. Dahinter öffnet sich eine andere Welt: Alt-Kairo – tieferliegend als der Rest der Stadt, mit einer tausendjährigen Geschichte. Eine Kirche neben der anderen - wir sind im Herzen des orientalischen Christentums.
In einer der ältesten Kirchen, in der - der Legende nach - Maria und Josef auf ihrer Flucht durch Ägypten Zuflucht gesucht haben sollen, hält Pater Angelus gerade eine Messe. Danach begrüßt er uns persönlich. Er trägt einen langen schwarzen Bart mit grauen Strähnen und ein dunkles Gewand. In seiner Hand das goldene koptische Kreuz.
"Ostern feiern wir hier eine ganze Woche lang. Wir beten jeden Tag sechs Stunden in der Kirche, alle Priester und die gesamte Gemeinde. Das ist ein großes Fest. Alle denken immer, dass Weihnachten unser höchster Feiertag wäre, aber es ist Ostern, Christi Auferstehung. Ich freue mich schon darauf – es ist unser Ostern, hier in Ägypten!"
Die Christen gelten als glühende Anhänger der Militärherrschaft – sie feierten den Sturz der islamistischen Muslimbruder-Regierung. Im Gegenzug für ihre politische Treue werden sie von der Armee beschützt.
"Wir fühlen uns hier sicher, mittlerweile. Im letzten Sommer war die Situation sehr angespannt, als die Muslimbrüder überall demonstriert haben. Jetzt ist die Lage besser, wir Kopten und die Muslime arbeiten Hand in Hand."
Immer wieder küssen Gläubige die Hand von Pater Angelus, während er mit uns redet. Koptus heißt nichts anderes als Ägypten, erklärt er. Alle Ägypter waren einmal koptischen Glaubens, bevor 640 nach Christus das islamische Kalifat Ägypten eroberte und eine neue Religion mitbrachte – den Islam.
Vor dem Marienaltar kniet Sherif. Der 40-jährige Unternehmer aus Kairo ist zum Beten in die Kirche gekommen. In sich gekehrt geht der Christ von Ikone zu Ikone, küsst jedes Heiligenbild. Neben ihm recken sich kleine Kinder auf die Zehenspitzen, küssen ihre Hand und berühren damit die Bilder. Auch Sharif kennt die Probleme, die es immer wieder zwischen Christen und Muslimen gibt. Und sie ärgern ihn.
"Sehe ich anders aus? Woran erkennt man, dass ich Christ bin? Wir sind alle Ägypter. Die, die auf den Unterschieden beharren, die für Unruhe sorgen, haben Interessen – sie wollen Unfrieden säen. Das ist alles politisch gesteuert. Doch das hier ist ein Ort des Glaubens, der Spiritualität."
"Der gleiche Gott, ob wir ihn nun Allah nennen oder Gott"
Er deutet auf eine Tafel. In Stein gemeißelt bedanken sich Muslime für die heilende Kraft dieses Ortes. Schau, sagt Sherif, der Christ. Hier können auch Muslime ihren Glauben leben. Sayyed, der Muslim und Taxifahrer, ist einer davon.
"Die Kirche ist ein Gotteshaus, ich gehe in die Kirche und bete, und der Christ neben mir betet auch – es ist letztlich das gleiche Gebet. Denn es ist ja auch der gleiche Gott, ob wir ihn nun Allah nennen oder Gott, wir haben alle nur den einen Gott."
Zum Beweis fahren wir nur rund einen Kilometer weiter. Dicht neben dem christlichen Viertel, oben auf dem Berg über der Stadt, thront eines der Wahrzeichen Kairos – die Zitadelle mit der Alabastermoschee. Erhaben reckt sie ihre Minarette in den stahlblauen Himmel über Kairo, weiß leuchtet die Kuppel aus Alabaster.
Wir haben uns die Schuhe ausgezogen, spüren die kühlen Steine des Vorraums. Dann schreiten wir durch das Tor in den Gebetsraum und versinken in den weichen Teppichen. Über unseren Köpfen erhebt sich die riesige Kuppel mit feinen Mosaiken, kleine Fenster werfen gelbes Licht in das Halbdunkel. Es ist kein gelbes Glas, es ist geschliffener Alabaster.
"Hier habe ich das Gefühl, am schönsten Ort der Welt zu sein. Sieh das schöne Dekor, die Kalligraphie. Die Luft ist gut, es ist so kühl hier drin, das macht der Alabaster. Und dann die hochwertigen Teppiche."
Erneute Großdemonstration gegen Präsident Mursi am Dienstagabend auf dem Tahrir-Platz in Kairo
Eine Großdemonstration gegen die Muslimbrüder auf dem Tahrir-Platz in Kairo© picture alliance / dpa / Mohamed Adel
Gerade läuft der Staubsauger. Bis auf zwei Spanierinnen und eine ägyptische Schulklasse gibt es keine Besucher. Wir haben einfach keine Touristen mehr, sagt Yousrin traurig. Die junge Frau bietet im Schatten der Zitadelle Literatur über das Bauwerk an.
"Ich liebe diesen Ort, diese Atmosphäre, er bringt einen in eine andere Zeit zurück, lässt einen in die Geschichte eintauchen. Es ist so ein tolles Bauwerk. Ich wünschte so sehr, es würden mehr Gäste kommen."
Sayyed stimmt ihr zu. Die Politik ist schuld, sagt er. Sie hat sein Land verändert.
Sayyed steuert den Ort an, der Symbol für die Umbrüche Ägyptens geworden ist – der Tahrirplatz. Der pulsierende Verkehr lässt kaum erahnen, wie viele Millionen hier demonstriert haben, wie viele Menschen gestorben sind. In der Mitte, wo bis vor kurzem nur eine verbrannte Palme stand, stumme Zeugin der Gewalt, haben die neuen Machthaber Ägyptens erneut Blumen pflanzen lassen, Rollrasen ausgelegt. Alles soll friedlich wirken.
Das Militär hat jetzt wieder die Macht im Staat
Doch am Straßenrand stehen die Panzer, und die Nebenstraßen sind abgesperrt: Meterhohe Mauern sollen verhindern, dass Demonstranten zum Tahrirplatz vordringen. Eine bizarre Atmosphäre, diese Gratwanderung zwischen gespielter Normalität und realer Bedrohung, die Bilder im Kopf sind immer noch da.
"Ich werde traurig, wenn ich den Tahrirplatz so sehe. Ich will wieder ein normales Leben, Touristen, Menschen, keine Panzer. Die Leute sollen sich wieder frei bewegen können, ohne Bedrohung und Mauern – das hier ist nicht mehr mein Ägypten."
Die Revolution sei gescheitert, sagt Sayyed, die Demonstranten umsonst gestorben. Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Pressefreiheit – alles mittlerweile hohle Worte, findet er. Das Militär hat die Macht im Staat, neuer Präsident wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Abdel Fattah al Sisi, ein alter Gefolgsmann von Ex-Diktator Mubarak. Sayyed deutet auf die abgebrannte Parteizentrale Mubaraks, die als schwarzes Mahnmal immer noch neben dem Tahrirplatz aufragt.
"Sie haben die Ruine nicht abgerissen. Denn jetzt ist Mubarak zurück. Er heißt nur anders, er heißt jetzt Sisi."
Die Diktatur hat nur eine Atempause genommen, sagt er. Sein Sohn will jetzt das Land verlassen, woanders sein Glück suchen, er findet in Ägypten keinen Job.
"Ich bin traurig, warum kann mein Sohn keine Arbeit in Ägypten finden? Er hat gut studiert, ich habe hart gearbeitet, um ihm das Studium zu bezahlen. Aber er würde in Ägypten nur Arbeit finden, wenn ich bei der Korruption mitmachen würde, entsprechende Kontakte hätte. Aber das mache ich nicht, niemals! Was wir in Ägypten brauchen, ist endlich Frieden, Stabilität, Sicherheit, damit die Touristen wiederkommen. Alle Ägypter wollen nur das."
Sayyed lenkt sein Auto weg vom Tahrirplatz, weg von der Politik, die seinem Land kein Glück gebracht hat. Er fährt zum Abschluss seiner Tour dahin, wo er selbst am liebsten ist: Zum Nil, der Mutter aller Flüsse, wie er sagt.
"Ich liebe den Nil. Es kostet nichts, hier zu sein, aufs Wasser zu schauen und alles zu vergessen."
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