Drei Jahre Haft für eine Karikatur
Knapp fünf Jahre nach dem Beginn des Arabischen Frühlings sitzen Tausende Regimekritiker in Ägypten im Gefängnis. Mitunter reicht es schon, eine Karikatur von Präsident al-Sisi zu veröffentlichen, wie im Fall des Zeichners Amr Selim.
Auf dem Foto ist ein grinsender Präsident Abdel Fattah al-Sisi. Rechts und links über seinen normalen Ohren wachsen ihm schwarze Mickey-Mouse-Ohren aus den akkurat gelegten, ebenso schwarzen Haaren. Das ist das Foto, das Amr Nohan auf Facebook gepostet hat und für das er nun im Borg al-Arab-Gefängnis in der Nähe von Alexandria sitzt. Seine Familie habe Kontakt zu ihm, sagt Amr Nohans Anwalt, Mohamad Hafiz. Er selbst habe ihn seit der Urteilsverkündung Anfang Oktober nicht besuchen dürfen. Für Anwalt Hafiz ist es völlig unverständlich, dass der Fall überhaupt vor Gericht landete.
"Wenn ich meine Meinung über die Autoritäten in einer Satire oder einer Karikatur ausdrücke, sollte das im Rahmen der Meinungsfreiheit sein. Ägypten hat dies in seine Verfassung geschrieben und in internationalen Abkommen unterzeichnet. Es gehört zur erlaubten Kritik."
Das Berufungsverfahren steht noch aus
Doch das sah das Gericht anders: Amr Nohan veröffentlichte das Bild im August – nur wenige Tage vor dem Ende seines Militärdiensts. Deshalb musste sich der 28-Jährige – inzwischen ehemalige Soldat – vor einem Militärgericht verantworten. Der Richter verurteilte ihn zu drei Jahren Gefängnis, weil er die Staatssymbole beleidigt und die innere Sicherheit Ägyptens sowie das Militär angegriffen habe. Nun wartet Amr Nohan darauf, dass das Urteil schriftlich vorliegt. Danach will er Berufung einlegen, sagt Anwalt Mohamad Hafiz.
"Das Bild selbst hat nichts mit seinem Militärdienst zu tun. Es ist ein politisch motiviertes Urteil. Ich glaube, dass es die Oppositionsgruppen in Ägypten abschrecken soll. Es ist eine Drohung an jeden, der seine Meinung äußert. Wenn sie den Herrschenden nicht gefällt, wird er verfolgt."
Vom ägyptischen Informationsministerium war auf Anfrage keine Stellungnahme zu dem Fall zu erhalten. Auch nicht dazu, ob es für Medien offiziell eine rote Linie gebe.
Die Gesellschaft duldet keine Kritik am Präsidenten
Fast fünf Jahre nach Beginn der Umbrüche in Ägypten sitzen abertausende Regimekritiker im Gefängnis – Anhänger der Muslimbruderschaft und Islamisten genauso wie die jungen Demokratieaktivisten, die 2011 als erste gegen Langzeitmachthaber, Hosni Mubarak, auf die Straße gingen. Medien, die sich kritisch äußern, gibt es wenige.
In seinem Büro nicht weit vom symbolträchtigen Kairoer Tahrir-Platz zeichnet Amr Selim die letzten Striche an einer Karikatur. Morgen soll sie in der privaten Tageszeitung "Al-Masri Al-Youm" erscheinen. Amr Selim ist Chefkarikaturist der Zeitung.
"Glauben Sie mir," sagt er, "es gibt keine rote Linie. Das Problem, dem die Karikaturisten heute gegenüberstehen, ist, dass die Gesellschaft jegliche Kritik an Sisi nicht duldet. Aber eine Einschränkung der Freiheit – nein, die gibt es nicht. Die Ägypter haben das Gefühl, dass Sisi sie gerettet hat vor den Muslimbrüdern. Dieses Phänomen erleben wir zum ersten Mal in der Geschichte Ägyptens."
Trotzdem fühlt sich der Karikaturist sicherer als unter Mursi
Amr Selim ist eine Größe unter den ägyptischen Karikaturisten. Als erster nahm er 2005 mit seinem Stift Mubarak aufs Korn. Auch Sisi würde er jederzeit zeichnen, sagt er. Erst am Vortag habe er es getan. Doch die Karikatur spottet nicht über Sisi, sondern über die islamistische Nour-Partei. Amr Selim ist schon oft für seine Karikaturen angegriffen worden. Als Mohammed Mursi von der Muslimbruderschaft Präsident war, habe er sogar Todesdrohungen erhalten.
"Ich habe im Internet gelesen, was sie über mich geschrieben haben. Einige haben gesagt: Lasst uns sehen, wie dieser Hund aussieht, lasst uns seine Adresse herausfinden, damit wir ihn töten und nicht die ganze Zeitung in Brand setzen."
Genau das habe er weder davor noch danach erlebt, sagt Amr Selim. Seit Mursi im Sommer 2013 nach Massenprotesten abgesetzt wurde, könne er wieder ohne Angst von der Arbeit nach Hause gehen. Im Gegensatz zu vielen Journalisten fühle er sich nicht eingeschränkt – denn seine Sprache seien harmlose Bilder, keine Worte.
"Natürlich hat ein Karikaturist mehr Freiheit und mehr Fantasie – vor allem wenn er seine Mittel richtig einsetzt. Dann kann er viel Freiheit haben – aber es gibt auch solche, die das einfach nicht nutzen."