Ägypten unter einem Dach
Einen Helden gibt es in diesem atemberaubenden "Roman aus Ägypten" nicht, sondern deren mehrere. Sie sind Vertreter verschiedener sozialer Schichten und bestimmter Denkweisen, sie sind Typen. Aber sein Autor, der Kairoer Zahnarzt Alaa al-Aswani, der kein überragender Konstrukteur, aber ein großartiger Personenzeichner ist, macht aus diesen Typen lebendige Menschen.
Darauf weist auch der Übersetzer Hartmut Fähndrich in seinem kleinen Nachwort völlig zurecht hin: Al-Aswanis Personen sind "gleichzeitig auch ausgearbeitete Individuen". Wir lesen "eine Art Geschichtsbuch Ägyptens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts", es ist ein Panorama der ägyptischen Gesellschaft, früher hatte man noch ein schönes, passendes Wort dafür: ein Sittengemälde.
Vorn im Buch - ein guter Einfall - werden die tragenden Personen genannt und charakterisiert. Wir begegnen einem Kleinadligen, der 1952 durch die nassersche Revolution enteignet wurde, aber noch immer ein alter Beau und Schürzenjäger ist, und seiner zeternden, weil neidischen Schwester und seinem koptischen und geschäftstüchtigen Butler; einem halbfranzösischen homosexuellen Journalisten und seinem verheirateten Freund; einem ehemaligen Schuhputzer, der durch dubiose Geschäfte jetzt in Geld schwimmt; und zwei sogenannten geistigen Führern, der eine auf Seiten des Regimes, der andere ein Hassprediger, der den Frust junger Leute ausnutzt und sie zum Terrorismus bringt.
Was sie alle eint, ist ihr Wohnort. Dass ein Haus (wahlweise ein Dorf) zum Brennspiegel eines Landes und einer Zeit gemacht wird, ist ein beliebter literarischer Kunstgriff. Manche solcher Orte sind erfunden, diesen hier gibt es wirklich. Das Haus mit der lateinischen Neoninschrift "Jakubijan" mitten in der Kairoer Innenstadt wurde 1934 von italienischen Architekten entworfen, Bauherr war der Armenier Jakubijan.
Atemberaubend ist dieser Roman wegen seiner mutigen Klarheit, es ist ein ägyptischer Glasnost-Roman, allerdings ein inoffizieller. Unaussprechliches wird ausgesprochen, politische Skandale werden benannt, religiöse Gebote als Vorwand für Wahnsinnshandlungen entlarvt.
Dies ist auch die vielleicht brisanteste Episode, die uns nolens volens am meisten interessiert, die von Taha, dem gottesfürchtigen jungen Mann, der kein Polizeioffizier werden kann, weil sein Vater bloß Türhüter ist (und deshalb wahrscheinlich die Jury nicht schmieren kann), und dem Hassprediger verfällt und dann von den Polizisten gefoltert wird, denen er selbst angehören wollte, aber nicht durfte, ein Teufelskreis das ganze; arme, gebeutelte, gefährliche arabische Welt. Aber das Buch: ein aufklärerisches, kämpferisches Meisterwerk.
Rezensiert von Peter Urban-Halle
Alaa al-Aswani: Der Jakubijan-Bau
Roman aus Ägypten. Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich
Lenos Verlag, Basel 2007.
372 Seiten. 19,90 Euro.
Vorn im Buch - ein guter Einfall - werden die tragenden Personen genannt und charakterisiert. Wir begegnen einem Kleinadligen, der 1952 durch die nassersche Revolution enteignet wurde, aber noch immer ein alter Beau und Schürzenjäger ist, und seiner zeternden, weil neidischen Schwester und seinem koptischen und geschäftstüchtigen Butler; einem halbfranzösischen homosexuellen Journalisten und seinem verheirateten Freund; einem ehemaligen Schuhputzer, der durch dubiose Geschäfte jetzt in Geld schwimmt; und zwei sogenannten geistigen Führern, der eine auf Seiten des Regimes, der andere ein Hassprediger, der den Frust junger Leute ausnutzt und sie zum Terrorismus bringt.
Was sie alle eint, ist ihr Wohnort. Dass ein Haus (wahlweise ein Dorf) zum Brennspiegel eines Landes und einer Zeit gemacht wird, ist ein beliebter literarischer Kunstgriff. Manche solcher Orte sind erfunden, diesen hier gibt es wirklich. Das Haus mit der lateinischen Neoninschrift "Jakubijan" mitten in der Kairoer Innenstadt wurde 1934 von italienischen Architekten entworfen, Bauherr war der Armenier Jakubijan.
Atemberaubend ist dieser Roman wegen seiner mutigen Klarheit, es ist ein ägyptischer Glasnost-Roman, allerdings ein inoffizieller. Unaussprechliches wird ausgesprochen, politische Skandale werden benannt, religiöse Gebote als Vorwand für Wahnsinnshandlungen entlarvt.
Dies ist auch die vielleicht brisanteste Episode, die uns nolens volens am meisten interessiert, die von Taha, dem gottesfürchtigen jungen Mann, der kein Polizeioffizier werden kann, weil sein Vater bloß Türhüter ist (und deshalb wahrscheinlich die Jury nicht schmieren kann), und dem Hassprediger verfällt und dann von den Polizisten gefoltert wird, denen er selbst angehören wollte, aber nicht durfte, ein Teufelskreis das ganze; arme, gebeutelte, gefährliche arabische Welt. Aber das Buch: ein aufklärerisches, kämpferisches Meisterwerk.
Rezensiert von Peter Urban-Halle
Alaa al-Aswani: Der Jakubijan-Bau
Roman aus Ägypten. Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich
Lenos Verlag, Basel 2007.
372 Seiten. 19,90 Euro.