Handzahm und regierungstreu
Ägypten hat seit gestern wieder ein Parlament. Bisher hatte Präsident al-Sisi vor allem mit Dekreten regiert. Nun muss er die Volksvertretung in die Gesetzgebung einbinden. Ändern wird sich dadurch aber nicht viel, meint der Politologe Jan Völkel.
Zwei Drittel der Abgeordneten im neuen ägyptischen Parlament gehören keiner Partei an, erläutert der Politologe Jan Völkel, der an der Universität in Kairo lehrt. Rund 400 der 596 Volksvertreter hätten sich aber bereits in einem Block zusammengefunden, der den amtierenden Präsidenten al-Sisi unterstützen will. Weitere hundert Abgeordnete hätten ebenfalls ihre Kooperationsbereitschaft signalisiert. So sind rund 90 Prozent der Volksvertreter der Regierung gewogen. Völkel spricht deswegen von einer "Gewaltenverschränkung" – statt einer Gewaltenteilung.
Das Gespräch im Wortlaut:
Nana Brink: Seit Juni 2014 regiert in Ägypten der ehemalige Armeechef Abdel Fattah al-Sisi als Staatsoberhaupt, und er regiert autoritär. Die Frage ist, ob das so bleibt.
Denn gestern, dreieinhalb Jahre nach der Auflösung des letzten Parlaments, ist erstmals eine neue Volksvertretung zusammengetreten, insgesamt 596 Abgeordnete gehören ihr an. Die sind größtenteils von Oktober bis Dezember letzten Jahres gewählt worden und ein Großteil der Parlamentarier, so kann man sich das ungefähr vorstellen, gehört Bündnissen an, die ja diese autoritäre Regierung unterstützen.
Aber ist das wirklich so? Und welche Rolle spielt da eigentlich auch noch die Muslimbruderschaft? Die durften ja bei den Wahlen nicht dabei sein, wurden verboten. Aufklärung hat jetzt für uns Jan Völkel, er lehrt Wirtschafts- und Politikwissenschaft an der Cairo University. Schönen guten Morgen, Herr Völkel!
Jan Völkel: Guten Morgen!
Brink: Bevor wir jetzt über die Regierung von al-Sisi sprechen und diesen potenziellen Machtverlust vielleicht, welchen Einfluss das neue Parlament hat: Wer sitzt denn da genau drin jetzt?
Völkel: Also, wie Sie ganz richtig gesagt haben, es sind 596 Abgeordnete, die sind nach einem sehr komplizierten Wahlsystem gewählt worden. Wichtig ist, dass 448, also zwei Drittel der Abgeordneten unabhängige Kandidaten waren, also sprich offiziell keiner Partei angehört haben.
Parteien spielen in Ägypten derzeit keine große Rolle
Das dominiert nun auch die Zusammensetzung. Parteien in unserem Verständnis spielen nur eine sehr geringe Rolle. Es hat sich aber über die Wahlkampfzeit und auch jetzt in den konstituierenden Zeiten des Parlaments herausgebildet, dass sich ein Block von Parlamentariern, gut etwa 400, zusammengefunden hat, die ganz klar die Unterstützung Sisi angekündigt haben.
Hinzu kommen noch etwa weitere 100 Abgeordnete, die ebenfalls Sisi unterstützen wollen, sodass wir davon ausgehen müssen, dass pi mal Daumen 90 Prozent des Parlaments per se den Präsidenten unterstützen möchten.
Brink: Also kann man dann sagen, es wird sich nichts ändern? Denn interessant ja, bislang hat ja al-Sisi, das Staatsoberhaupt, per Dekret regiert. Muss er jetzt das Parlament irgendwie einbinden und wird das, wie Sie ja die Zusammensetzung geschildert haben, dann überhaupt etwas ändern?
Völkel: Ja, also, natürlich muss Präsident Sisi nun das Parlament einbinden in die Gesetzgebung, in die Politikgestaltung des Landes. Es wird in der Realität aber nicht sehr viel ändern, weil – das ist zu befürchten – das Parlament auch in Zukunft, also so, wie es in der Vergangenheit schon war, weitgehend die Entscheidung der Regierung, des Präsidenten abnickt und kaum wirklich auf Konfrontation zur Regierung gehen wird.
Brink: Es wird also nicht das, was wir hier bei uns haben, eine Gewaltenteilung geben? Also den Unterschied zwischen Legislative und Exekutive, kann man damit nicht rechnen?
Völkel: Nein, es ist eher eine Gewaltenverschränkung, wenn man so möchte. Der gestern gewählte Präsident des Parlamentes, Ali Abdel Al, hat schon klargemacht, dass Parlament und Präsident nicht etwa konkurrieren sollten, sondern eher kooperieren sollten. Und damit ist die Marschrichtung eigentlich vorgegeben.
Brink: Die Muslimbruderschaft – ich hatte es ja auch schon erwähnt – haben ja die Wahlen 2011 gewonnen. Die wurden verboten und durften zur Wahl gar nicht erst antreten. Welche Rolle spielen die noch?
Wer sich zu den Muslimbrüdern bekennt, wird als Terrorist gebrandmarkt
Völkel: Ja, die Muslimbrüder sind in Ägypten als Terrororganisation erklärt worden, also, jeder, der sich zu den Muslimbrüdern bekennt, steht in Gefahr, als Terrorist gebrandmarkt zu werden.
Die einzigen politischen Islamisten, die noch im Parlament mit vertreten sind, sind ganze elf Abgeordnete der salafistischen Al-Nur-Partei. Da sieht man aber schon, mit elf Personen kann man per se ja keinen Einfluss auf die Mehrheitsgestaltung kriegen.
Und für die Islamisten im Parlament ist auch die größte Gefahr, dass sie selber in die Gefahr kommen, dass sie als Terroristen oder als Unterstützer der Muslimbrüder gebrandmarkt werden und sich deswegen vermutlich eher zurückhalten werden.
Brink: Gibt es denn irgendwelche liberalen Kräfte, sagen wir mal in Anführungszeichen, die zumindest, wenn sie auch nicht das Geschehen politisch beeinflussen können, aber doch sich Gehör verschaffen können?
Völkel: Also, es gibt ... Liberal in unserem deutschen Sinne ist vielleicht der falsche Begriff, aber es gibt natürlich Leute, die an die Ideale der Revolution 2011 nach wie vor glauben, als es darum ging, Husni Mubarak als Langzeitdiktator zu beseitigen, die auch die Macht des Militärs kritisch sehen. Aber die werden sich in der Masse nicht durchsetzen können. Die Mehrheit der Abgeordneten wird die Marschrichtung Ägyptens unterstützen, die heißt: Wir müssen den Terror bekämpfen, wir müssen das Land stabilisieren und dazu müssen wir den Präsidenten uneingeschränkt unterstützen.
Brink: Das führt mich dann auch unweigerlich zu der Frage: Al-Sisi ist ja auch in weiten Teilen der Bevölkerung beliebt, zumindest kommt das bei uns hier so an. Seine autoritäre Art zu regieren hat ja seinem Ansehen, so scheint's, gar nicht geschadet. Wollen die Ägypter überhaupt ein Parlament?
Völkel: Das ist eine sehr schwierige Frage, ob die Ägypter ein Parlament wollen. Man muss ja sehen: Die Muslimbrüder waren von vornherein ausgeschlossen von den Wahlen und die Unterstützung der Muslimbrüder ist sicher noch da. Das lässt sich aber nicht empirisch belegen, weil wir keine verlässlichen Umfragen dazu haben. Es würde sich auch kaum jemand trauen, das öffentlich zu bekennen.
Auch die revolutionäre Jugend wird im neuen Parlament nicht repräsentiert
Und dann ist eine weitere große Personengruppe weitgehend ausgeschlossen vom neuen Parlament, das sind die revolutionären Jugendlichen, die also 2011 auf dem Tahrir-Platz standen und für eine bessere Zukunft des Landes demonstrierten, ihr Leben aufs Spiel setzten. Und die sind quasi nicht repräsentiert. Ob diese Leute wirklich dem Parlament Vertrauen entgegenbringen, bezweifele ich sehr. Aber was die Mehrheitsmeinung in Ägypten ist diesbezüglich, ist sehr schwierig empirisch herauszufinden.
Brink: Nun ist ja uns vor allen Dingen auch in Deutschland an Sicherheit, auch an Sicherung der Grenzen gelegen. Heute kommt der ägyptische Außenminister nach Berlin. Was wird er mitbringen, was schätzen Sie ein? Stabilität, das Versprechen?
Völkel: Das Versprechen wird er sicher mitbringen. Ob er wirklich Stabilität dann auch liefern kann, ist die zweite Frage, da bin ich eher skeptisch bei dem, was in Ägypten so über die letzten Monate und Jahre passiert ist im Zusammenhang mit Angriffen auf Staatseinrichtungen, auf dem Sinai beispielsweise, die jüngsten Angriffe auf Touristen in unterschiedlichem Ausmaß. Das ist sicher ein Thema, was Ägypten noch lange beschäftigen wird.
Was der Außenminister mitbringt nach Berlin, sind nach meiner Kenntnis vor allen Dingen die wirtschaftlichen Fragen im Nachgang zur Investorenkonferenz im letzten März in Scharm el-Scheich, als zum Beispiel Siemens einen großen Vertrag unterzeichnen konnte. Und da geht es nach meinem Kenntnisstand darum, das jetzt zu konkretisieren und eventuelle Fragen da auszuräumen.
Brink: Der Politikwissenschaftler Jan Völkel, er lehrt an der Cairo University. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Völkel!
Völkel: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.