Wie man einen ganzen Film in einem Polizeilaster dreht
In einem Polizeiwagen lässt Mohamed Diab seinen Film "Clash" über die ägyptische Revolution spielen - Eröffnungsfilm der Reihe "Un Certain Regard" in Cannes. Über Drehbedingungen und Frauenfiguren reden der Regisseur und seine Hauptdarstellerin Nelly Karim im "Vollbild"-Interview.
Susanne Burg: Es gab einen erfolgreichen Dokumentarfilm von Jehane Noujaim, "The Square", bei dem sie die Proteste auf dem Tahrir-Platz von 2011 bis 2013 gefilmt hat. Sie konzentrieren sich in Ihrem Spielfilm auf einen Tag im Jahr 2013. Warum diese Entscheidung?
Mohamed Diab: Ich wollte einen Film über die Revolution machen. Fünf Jahre brauchten mein Bruder und ich, bis wir die richtige Idee hatten. Dabei war wichtig, dass der Film nicht meine Meinung wiedergibt. Ägypter sind sehr gespalten, was die Revolution angeht. Es war also fair, die verschiedenen Perspektiven wiederzugeben.
Susanne Burg: Sie haben eine sehr radikale Entscheidung getroffen, nämlich alles in einem Polizeiwagen spielen zu lassen, wo die verschiedenen Gruppenvertreter zusammenkommen. War Ihnen klar, dass das funktionieren könnte?
Mohamed Diab: Es war eine riesige Herausforderung, den ganzen Film in einem Polizeilaster spielen zu lassen, aber ich liebe Herausforderungen. Bei meinem letzten Film ging es um sexuelle Belästigung ägyptischer Frauen – "Cairo 678" – und das war sehr schwer. Aber was den Laster angeht, war es die beste Entscheidung für die Geschichte. Denn es drückt genau die Situation aus, in der sich Ägypten befindet.
Susanne Burg: Die Streitigkeiten, die finden sich in diesem Polizeiwagen wieder. Man streitet über Politik. Man wird handgreiflich, das Interessante ist aber auch, wann die Menschen zusammenfinden – und das ist zum Beispiel, wenn sie ganz basale Dinge müssen, wie auf die Toilette zu gehen. Wie sehr nähern sich die verschiedenen Gruppen im Laufe dieser Zeit an?
"Wir nennen uns plötzlich gegenseitig Mörder"
Mohammed Diab: Man kann einen solchen Filme auf zweierlei Art und Weise machen: man kann ganz utopisch sagen: Oh, sie werden sich am Ende alle lieben und mögen, aber das ist nicht realistisch. Ägypter sind so nicht. Bei uns beginnt häufig genug plötzlich ein politischer Streit und wir nennen uns gegenseitig Mörder. Familien sind gespalten. So sind Ägypter.
Susanne Burg: Es gibt auch zwei Frauen in dem Polizeiwagen. Nelly Karim, Sie spielen eine, die eigentlich eine Krankenschwester ist und ein bisschen das verbindende Element ist. Sind die Frauen diejenigen, die jenseits der politischen Auseinandersetzungen vereinen?
Nelly Karim: Sie ist eine Mutter. Sie ist besorgt um ihr Kind und würde alles tun. Am Ende wird sie fast zum Monster, weil sie beschließt, den Wagen nicht zu verlassen, weil sie draußen sterben würden. Das ist sehr typisch für Frauen, bis zum Ende für das eigene Kind zu kämpfen. Und ich glaube, Frauen sind in schwierigen Situationen einfach die stärkeren.
Susanne Burg: Sie haben auch sehr interessante Frauenrollen gespielt in den letzten Jahren. Eine Schmuckdesignerin, die Frauen über sexuelle Belästigung unterrichtet in Mohammed Diabs letztem Film "Cairo 678", eine ehemalige Drogenabhängige in einer Fernsehshow, "Under Control", jetzt diese Figur. Wie wichtig sind Ihnen denn solche starken Frauencharaktere?
"Im täglichen Leben sind Frauen sehr stark"
Nelly Karim: Ich habe in den letzten fünf, sechs Jahren versucht, ägyptische Frauen darzustellen, die näher an der Wirklichkeit dran sind. Gesellschaftlich mögen wir vielleicht nicht so gut da stehen, aber im täglichen Leben sind Frauen sehr stark.
Susanne Burg: Mohammed Diab, es ist ja nicht so, dass sich die politische Situation entspannt hätte. Regimekritiker werden auch jetzt verhaftet. Menschenansammlungen von mehr als fünf Personen werden verboten. Man sieht in Ihrem Film auch viele Szenen außerhalb des Polizeiwagens. Wie haben Sie überhaupt gedreht?
Mohammed Diab: Wir gingen anfangs davon aus, nur mit Kulissen zu arbeiten, weil es unmöglich schien, diese Szenen auf der Straße zu drehen. Aber nach einem Jahr Vorbereitung sagten wir uns, es soll so realistisch wie möglich aussehen. Es war ein bisschen wie ein Flashmob. Wir sind irgendwo aufgetaucht, haben gedreht und nicht aufgehört, bis uns jemand gestoppt hat. An einem Tag haben uns die Leute aus dem Viertel angegriffen, die Statisten sind aufeinander losgegangen und die Polizei aus ganz Kairo kam, weil sie dachte, wir wären eine echte Demonstration. Zum Glück haben von uns alle einfach mitgekämpft und nicht aufgehört, so dass wir fertig wurden mit der Szene. Wir hatten viel Glück. Und mein Team war toll. Mein Line Producer wurde entführt, sein Auto ging kaputt und ich habe mich entschuldigt. Er sagte: Ich würde es noch einmal tun.
Susanne Burg: Warum haben Sie weitergemacht?
Mohammed Diab: Nun ja, wichtig war, dass niemand Geld bekam. Nelly ist der größte ägyptische Star und sie hat nichts bekommen. Am Anfang gab’s keine Frauen im Film – und sie hat mir immer wieder Frauenfiguren vorgeschlagen. Jetzt ist sie in 75 Prozent der Szenen zu sehen. Sie musste ständig beim Dreh dabei sein. Das hätte sonst kein anderer Star gemacht. Alle haben an die Geschichte geglaubt.
Susanne Burg: Warum haben Sie weitergemacht, Nelly Karim?
Nelly Karim: Ich habe an Mohammed geglaubt. Sein letzter Film hat mir gezeigt, wie ein ägyptischer Film aussehen kann, der international erfolgreich ist. Ich liebe mein Land und es hat mir weh getan zu sehen, dass wir lange keine wirklich guten Filme gedreht haben – und dabei haben wir gute Regisseure, Drehbuchautoren und Schauspieler. Ich habe anfangs nur als Freundin Mohammeds Drehbuch gelesen. Und habe ihm gleich gesagt, dass das auf Festivals laufen wird. Nach einem harten Drehtag war für mich klar: Wir werden nach Cannes gehen. Gestern habe ich ihn daran erinnert und wir haben gelacht. Wir haben’s geschafft. Wir sind in Cannes.