Rollende Arztpraxis in Hessen
Die rollende Arztpraxis Medibus soll gegen den Ärztemangel auf dem Land helfen. © picture alliance / dpa / Christoph Soeder
Medicus im "Medibus"
07:02 Minuten
Ärztemangel auf dem Land – allein in Hessen gehen aktuell rund 1000 Hausärzte auf die Rente zu und Nachfolgerinnen und Nachfolger sind vor allem in den Dörfern schwer zu finden. In Osthessen entlastet der „Medibus“ die verbliebenen Praxen.
„Da thront der Fahrer normalerweise und kriegt natürlich Kaffee gereicht, wenn er oft er ruft.“ Ulrich Paul geht voran durch den Reisebus der Deutschen Bahn, der zu einer rollenden Arztpraxis umgebaut wurde.
Paul ist der Allgemeinmediziner, der an diesem Nachmittag im Bus Dienst hat: „Ich sage immer gerne: Das ist so auf Wohnmobil-Basis. Das hört sich so charmant an, ist es auch. Aber letzten Ende ist alles drin, was eine Arztpraxis mindestens in der Allgemeinmedizin in dem Fall haben sollte. Wir können alles machen: von Akut-Labor, über Ultraschall, moderne EKG-Schreibungen, Defibrillator, Platzwunden. Letzte Woche habe ich zwei Platzwunden vernäht, das können wir alles machen hier.“
Patienten müssen draußen vor dem Bus warten
Ulrich Paul läuft weiter durch den Bus, passiert den Arbeitsbereich der beiden medizinischen Fachangestellten und den Laborbereich. Die Patienten können durch die Mitteltür eintreten und gelangen dann im hinteren Teil des Busses in die eigentliche Arztpraxis. „Hier ist dann die eigentliche Sprechstunde. Wobei der Doktor dann in dem Fall seine Formalitäten selber schreibt und druckt. Man kann immer die Türen zuschieben, die sind natürlich nicht so schalldicht wie normale Türen, insofern kann immer nur eine Person drin sein.“ Damit der Datenschutz gewahrt bleibt.
Die anderen Patienten müssen draußen vor dem Bus warten. Auch an diesem Nachmittag in der alten Bergarbeitergemeinde Cornberg bei Bebra in Osthessen warten schon einige Leute geduldig. Denn in der 1300-Einwohner-Gemeinde gibt es keinen Arzt mehr: „Hier war mal ein Arzt, der hat aufgehört, und da ist kein neuer gekommen", sagt eine alte Dame aus dem Ort, die ungenannt bleiben will.
Sie hat einen Hausarzt in einem Nachbarort, der allerdings gerade im Urlaub ist: „Und ich bin jetzt das zweite Mal erst hier. Das erste Mal ist schon lange her. Und dann sagt mein Lebenspartner: 'Mensch, der Medibus ist da, geh' jetzt runter. Und dann bin ich jetzt runtergegangen.“
Beim Hausarzt geht es nicht, der ist voll
Seit drei Jahren hält der Medibus auf seiner Tour durch Osthessen montags und mittwochs vor dem Gemeindehaus von Cornberg. Die Patienten reisen teilweise bis zu 30 Minuten mit dem Auto an, um das mobile Arztangebot zu nutzen: „Weil man kurzfristig einen Termin bekommt, ohne Voranmeldung, weil halt die Beschwerden da sind. Und beim Hausarzt geht es nicht, der ist voll.“
„Ja, ich war auch schon zweimal dort, es ist eigentlich alles da. Es geht schnell, es ist gut. Und beim Hausarzt bekommt man nicht so schnell einen Termin und ich brauche für die Schule ein Attest. Das ist ganz praktisch mit dem Medibus.“
Vom Ministerium für drei Jahre gefördert
Lisa Probst ist bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen die Projektleiterin des Medibusses. Der vom hessischen Gesundheitsministerium zunächst für drei Jahre mit 1,4 Millionen Euro gefördert wurde. Diese Förderung wurde nun noch einmal verlängert, weil es eben auf dem Land einen eklatanten Ärztinnen- und Ärztemangel gibt. Der Bus bietet spürbar Entlastung, so Lisa Probst:
„Das ist sehr wichtig. Das merken wir auch an den Fallzahlen. Der Medibus hat ähnliche Fallzahlen wie eine durchschnittliche Hausarztpraxis. Er wird sehr gut von den Patientinnen angenommen, er ist eine vollwertige Hausarztpraxis und unterstützt in jeglicher Hinsicht.“
Der Bedarf ist groß, obwohl gerade im Winter das Warten vor dem Bus nicht immer angenehm ist, berichtet die alte Dame aus Cornberg: „Was sehr wichtig ist: Ein Raum, dass wir uns also irgendwo aufhalten können, und das ist nicht hier. Wir haben das schon ein paar Mal gesagt, aber es ruckt nicht.“
Warten im Gemeindehaus – eigentlich
Das Gemeindehaus von Cornberg, an dem der Bus steht, ist heute zwar geöffnet. Doch im Corona-Lockdown war es ganz zu und auch heute ist nur ein kleiner, ungemütlicher Flur zum Unterstellen zugängig. Das sollte eigentlich anders sein, sagt Medibus-Projektleitern Lisa Probst: „Alle Medibus-Standorte verfügen über Gemeinderäume, mit Toiletten, mit Wartebereich. Das heißt: Niemand muss in der Kälte und im Regen stehen.“
Lisa Probst verspricht, zu klären, was in Cornberg möglicherweise verbessert werden kann. Grundsätzlich soll der Bus ohnehin nur eine Übergangslösung sein. Das Ziel der Kassenärztliche Vereinigung und der Politik ist es, wieder mehr Ärztinnen und Ärzte für den Praxisbetrieb auf dem Land zu gewinnen:
„Zu unserer großen Freude hat sich letztes Jahr eine Ärztin in Herleshausen niedergelassen, die wir auch intensiv betreut haben. Und das ist natürlich die langfristige Strategie auch des Medibusses: Dass wir jetzt in diesen Projektjahren die Ärzte so weit entlasten, dass sie wieder mehr Luft haben beispielsweise für Weiterbildung, für Vernetzung, um auch junge Weiterbildungsassistenten anzusprechen, die möglicherweise Praxisnachfolger sein könnten.“
Pflegeberatung und andere Hilfen
Auch der Medibus bekommt jetzt Verstärkung. Seit Anfang Juli ist neben Ulrich Paul ein zweiter Arzt im Einsatz. Außerdem wird der Bus nun freitags von der Diakonie der Region genutzt, um Pflegeberatung und andere Hilfen anzubieten, die über die medizinische Akutbetreuung hinausgehen, dazu gehören Informationen über Hospiz-Einrichtungen in der Region und auch Seelsorge.
„Wenn wir uns das Patientenklientel angucken, dann ist es auch ein großer Anteil älterer Patienten und so können wir durch dieses sektorenübergreifende Element mit der Diakonie einen guten Bogen finden, auch zu einer vollumfänglichen Beratung finden auf diese Klientel abgestimmt“, sagt Lisa Probst.
Dass der Medibus gerade für ältere und mobilitätseingeschränkte Menschen im ländlichen Raum mehr Lebensqualität bringt, betont noch einmal die alte Dame aus Cornberg, die ungenannt bleiben will: „Sehr wichtig, denn wir müssen den vor der Tür haben. Manche Frauen können gar nicht mehr laufen, und dann ist es schön, wenn der Bus hier ist. Nur zwei Tage aber ist wenig.“
Am zentralen Platz in Cornberg in Sichtweite der Medibushaltestelle hängt an einer Hauswand ein Plakat des Sozialverbandes VDK. Darauf gefordert wird eine ausreichende medizinische Versorgung vor Ort. Der letzte Satz ist größer gedruckt als der Rest des Plakattextes: „Bis dahin muss der Medibus erhalten bleiben.“