Ärztinnenbund fordert weiblichen Blick auf die Medizin
Ärztinnen verbinde über Kontinente hinweg, dass sie schwierige Arbeitsbedingungen sowie andere Bedürfnisse als ihre männlichen Kollegen haben, sagt Regine Rapp-Engels, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes. Bisher herrsche in der Forschung ein männlicher Blick. Das müsse sich ändern.
Jan-Christoph Kitzler: Das Gesundheitssystem ist wie ein großer Tanker schwer zu manövrieren, und dazu noch mit einer Mannschaft an Bord, deren Mitglieder in völlig unterschiedliche Richtungen steuern wollen. Da gibt es die Interessen der Pharmabranche, die Interessen der Versicherten, der Krankenkassen und der Arbeitgeber. Und auch die Ärzte haben so ihre Vorstellungen, und nicht einmal die sind eine in sich geschlossene Gruppe – da gibt es Klinikärzte und niedergelassene, Fachärzte und Hausärzte. Und es gibt Ärzte und Ärztinnen, mit dem speziell weiblichen Blick auf das Gesundheitssystem nicht nur in Deutschland beschäftigt sich ab heute in Münster der internationale Kongress des Weltärztinnenbundes, und darüber spreche ich jetzt mit Regine Rapp-Engels, der Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes. Schönen guten Morgen!
Regine Rapp-Engels: Guten Morgen!
Kitzler: Bleiben wir zunächst mal in Deutschland: Ein Problem, das Ärztinnen hierzulande haben, ist, dass es ziemlich lange dauert, bis man Studium und Spezialisierung hinter sich hat, und dass auf diesem Weg normalerweise keine Zeit bleibt, sich auch nur Gedanken an eine eigene Familie zu machen. Muss sich da etwas ändern?
Rapp-Engels: Ja, da muss sich auf jeden Fall etwas ändern, aber nicht nur für Frauen und die Ärztinnen, sondern auch für die Ärzte, denn beide können ja mal Eltern werden und wollen vielleicht auch Eltern werden, und der Beruf ist nun mal wirklich nicht besonders familienfreundlich und die Arbeitsbedingungen.
Kitzler: Die Ausbildung, die Spezialisierung nach der Universität läuft normalerweise in Krankenhäusern ab. Da gibt es eigentlich sehr wenige Teilzeitstellen, sondern in der Regel müssen die jungen Kollegen da eher Überstunden machen. Ist das das größte Problem?
Rapp-Engels: Ja, die Überstunden sind ein Problem, aber auch die Nichtplanbarkeit ist ein Problem, wenn man eben nicht weiß, wann man aufhört, wann man wieder nach Hause kommt, wann man die Kinder abholen kann, das ist ein großes Problem. Und man ist natürlich auch nicht so flexibel, wenn irgendwelche Termine anstehen. Also ein Kind wird krank und hat am anderen Tag eine große Operation, die man ja eigentlich auch gerne machen will, weil sie zur Ausbildung gehört, dann kommt man schon in die Zwickmühle.
Kitzler: Wie lässt sich das organisieren, muss man dagegen nicht etwas tun, auch um den Arztberuf generell attraktiver zu machen?
Rapp-Engels: Ja, es ist zunehmend als Problem erkannt, vor allem auch vor dem Hintergrund des drohenden Ärztemangels, sodass also viele Krankenhäuser da jetzt auch schon Lösungen anbieten. Es gibt welche, die eben so eine Kinderbetreuung haben, es gibt auch welche, die Notfallbetreuung anbieten, also auch eine Betreuung, die eben auch nachts stattfinden kann. Das ist ja gerade im Klinikbetrieb besonders wichtig, weil man eben auch Nachtdienste hat oder am Wochenende, wenn man einen Feiertagsdienst hat. Da gibt es, was jetzt die reine Kinderbetreuung angeht, durchaus Modelle, die aber natürlich in keiner Weise flächendeckend vorliegen.
Kitzler: Muss deswegen nicht auch die Politik umdenken?
Rapp-Engels: Na ja, es ist immer eine individuelle Lösung, weil man kann jetzt nicht so ein generelles Modell für alle Krankenhäuser schaffen. Und die Politik wird sicherlich oder ist auch schon hellhörig geworden, aber die kann natürlich den Krankenhäusern nicht vorschreiben, wie sie es händeln sollen.
Kitzler: Sie sind jetzt noch nicht ganz ein Jahr an der Spitze des Deutschen Ärztinnenbundes – als Sie angetreten sind, das habe ich gelesen, haben Sie sich ausgesprochen für eine Medizin, die nach Geschlechtern differenziert. Was ist damit gemeint?
Rapp-Engels: Ja, das ist das zweite große Thema des Deutschen Ärztinnenbundes, dass wir also neben der Verbesserung der Arbeitsbedingungen auch inhaltlich in der Medizin etwas verbessern möchten, und zwar dahingehend, dass man den Menschen nicht als neutrales Wesen betrachtet und nach bisheriger Forschungssicht auch in der Regel mit männlichem Blick betrachtet und eben rein männlich interpretiert, sondern dass Menschen Frauen und Männer sind und dass es da unterschiedliche Bedürfnisse gibt. Und wir wissen viel zu wenig, wo die Unterschiede liegen. Es gibt auch viele Gemeinsamkeiten, überhaupt keine Frage, aber es gibt eben auch deutliche Unterschiede.
Kitzler: Und deswegen muss es auch unterschiedliche Therapien dann geben?
Rapp-Engels: Ja, es muss unterschiedlich geforscht werden, also man muss beim Forschen bereits diesen differenzierenden Blickwinkel einnehmen, damit man eben nicht einen blinden Flecken hat, und dann die Erkenntnisse dann entsprechend auch in die Versorgung umsetzen.
Kitzler: Aber geht die medizinische Forschung da nicht inzwischen schon einen Schritt weiter in Richtung individualisierte Medizin, also unabhängig von den Geschlechtern, weil eben Menschen unterschiedlich krank sind und deswegen auch eine zugeschnittene, auf sie zugeschnittene Therapie brauchen?
Rapp-Engels: Das ist richtig, wobei man da, finde ich, den dritten Schritt vor dem zweiten tut. Also wir müssten eigentlich jetzt mal auch diese nach Geschlecht differenzierende Blickrichtung einnehmen. Es gibt die natürlich auch noch nach Ethnien, nach kulturellem Hintergrund, also gerade, wenn es um dieses psychosoziale Geschlecht geht, da spielen ja auch andere Faktoren, also kulturelle Faktoren eine Rolle, das sind ja nicht immer nur genetische Faktoren. Und diese individualisierte Medizin ist im Grunde auch nicht leistbar, weil also im Endeffekt müsste man dann molekulargenetische Untersuchungen machen und dann jedem sein passgenaues Medikament entwickeln. Das ist verführerisch, der Gedanke, aber ich denke, der ist unter den momentanen Bedingungen absolut nicht realisierbar.
Kitzler: Kommen wir noch mal zu Ihrem Kongress in Münster. Der thematische Schwerpunkt dieses Kongresses sind die Herausforderungen und die Chancen der Globalisierung in der Medizin. Inwieweit haben Ärztinnen denn da eine andere Sichtweise als ihre männlichen Kollegen?
Rapp-Engels: Ja, wie ich schon sagte, es geht dann einfach um den weiblichen Blick in der Medizin, und Ärztinnen verbindet dann über die Kontinente hinweg, dass wir einerseits eben so schwierige Arbeitsbedingungen haben, andererseits verbindet uns auch, dass wir zum Beispiel, nehmen wir mal das Thema Übergewicht, das ist ein Thema, was ja nicht nur Frauen angeht, aber wo Frauen vielleicht andere Bedürfnisse haben als Männer oder anders behandelt werden müssen als Männer. Und das dann noch kulturübergreifend, das ist schon eine weitere Herausforderung, da in Austausch zu treten.
Kitzler: Sie sprechen da die Herausforderungen an, was sind denn die größten Chancen?
Rapp-Engels: Ja, die Chancen sind natürlich, dass man durch diesen Austausch auch Ideen kriegt für das eigene Handeln und für das eigene Land. Und wir sind ja inzwischen auch nicht mehr nur Deutsche zum Beispiel hier, wir sind ja auch zunehmend multikulturell. Also unser Patientengut ist multikulturell, auch unsere Ärzte natürlich hier vor Ort, und ich denke, das ist auch von unschätzbarem Vorteil für die Behandlung von Patienten vor Ort, wenn man also zum Beispiel den Blick einer Afrikanerin dann mal etwas besser kennenlernt.
Kitzler: Ärztinnen, ihre schweren Arbeitsbedingungen und ihre Sicht auf das globale Gesundheitssystem. Das war Regine Rapp-Engels, die Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes. Vielen Dank dafür!
Regine Rapp-Engels: Guten Morgen!
Kitzler: Bleiben wir zunächst mal in Deutschland: Ein Problem, das Ärztinnen hierzulande haben, ist, dass es ziemlich lange dauert, bis man Studium und Spezialisierung hinter sich hat, und dass auf diesem Weg normalerweise keine Zeit bleibt, sich auch nur Gedanken an eine eigene Familie zu machen. Muss sich da etwas ändern?
Rapp-Engels: Ja, da muss sich auf jeden Fall etwas ändern, aber nicht nur für Frauen und die Ärztinnen, sondern auch für die Ärzte, denn beide können ja mal Eltern werden und wollen vielleicht auch Eltern werden, und der Beruf ist nun mal wirklich nicht besonders familienfreundlich und die Arbeitsbedingungen.
Kitzler: Die Ausbildung, die Spezialisierung nach der Universität läuft normalerweise in Krankenhäusern ab. Da gibt es eigentlich sehr wenige Teilzeitstellen, sondern in der Regel müssen die jungen Kollegen da eher Überstunden machen. Ist das das größte Problem?
Rapp-Engels: Ja, die Überstunden sind ein Problem, aber auch die Nichtplanbarkeit ist ein Problem, wenn man eben nicht weiß, wann man aufhört, wann man wieder nach Hause kommt, wann man die Kinder abholen kann, das ist ein großes Problem. Und man ist natürlich auch nicht so flexibel, wenn irgendwelche Termine anstehen. Also ein Kind wird krank und hat am anderen Tag eine große Operation, die man ja eigentlich auch gerne machen will, weil sie zur Ausbildung gehört, dann kommt man schon in die Zwickmühle.
Kitzler: Wie lässt sich das organisieren, muss man dagegen nicht etwas tun, auch um den Arztberuf generell attraktiver zu machen?
Rapp-Engels: Ja, es ist zunehmend als Problem erkannt, vor allem auch vor dem Hintergrund des drohenden Ärztemangels, sodass also viele Krankenhäuser da jetzt auch schon Lösungen anbieten. Es gibt welche, die eben so eine Kinderbetreuung haben, es gibt auch welche, die Notfallbetreuung anbieten, also auch eine Betreuung, die eben auch nachts stattfinden kann. Das ist ja gerade im Klinikbetrieb besonders wichtig, weil man eben auch Nachtdienste hat oder am Wochenende, wenn man einen Feiertagsdienst hat. Da gibt es, was jetzt die reine Kinderbetreuung angeht, durchaus Modelle, die aber natürlich in keiner Weise flächendeckend vorliegen.
Kitzler: Muss deswegen nicht auch die Politik umdenken?
Rapp-Engels: Na ja, es ist immer eine individuelle Lösung, weil man kann jetzt nicht so ein generelles Modell für alle Krankenhäuser schaffen. Und die Politik wird sicherlich oder ist auch schon hellhörig geworden, aber die kann natürlich den Krankenhäusern nicht vorschreiben, wie sie es händeln sollen.
Kitzler: Sie sind jetzt noch nicht ganz ein Jahr an der Spitze des Deutschen Ärztinnenbundes – als Sie angetreten sind, das habe ich gelesen, haben Sie sich ausgesprochen für eine Medizin, die nach Geschlechtern differenziert. Was ist damit gemeint?
Rapp-Engels: Ja, das ist das zweite große Thema des Deutschen Ärztinnenbundes, dass wir also neben der Verbesserung der Arbeitsbedingungen auch inhaltlich in der Medizin etwas verbessern möchten, und zwar dahingehend, dass man den Menschen nicht als neutrales Wesen betrachtet und nach bisheriger Forschungssicht auch in der Regel mit männlichem Blick betrachtet und eben rein männlich interpretiert, sondern dass Menschen Frauen und Männer sind und dass es da unterschiedliche Bedürfnisse gibt. Und wir wissen viel zu wenig, wo die Unterschiede liegen. Es gibt auch viele Gemeinsamkeiten, überhaupt keine Frage, aber es gibt eben auch deutliche Unterschiede.
Kitzler: Und deswegen muss es auch unterschiedliche Therapien dann geben?
Rapp-Engels: Ja, es muss unterschiedlich geforscht werden, also man muss beim Forschen bereits diesen differenzierenden Blickwinkel einnehmen, damit man eben nicht einen blinden Flecken hat, und dann die Erkenntnisse dann entsprechend auch in die Versorgung umsetzen.
Kitzler: Aber geht die medizinische Forschung da nicht inzwischen schon einen Schritt weiter in Richtung individualisierte Medizin, also unabhängig von den Geschlechtern, weil eben Menschen unterschiedlich krank sind und deswegen auch eine zugeschnittene, auf sie zugeschnittene Therapie brauchen?
Rapp-Engels: Das ist richtig, wobei man da, finde ich, den dritten Schritt vor dem zweiten tut. Also wir müssten eigentlich jetzt mal auch diese nach Geschlecht differenzierende Blickrichtung einnehmen. Es gibt die natürlich auch noch nach Ethnien, nach kulturellem Hintergrund, also gerade, wenn es um dieses psychosoziale Geschlecht geht, da spielen ja auch andere Faktoren, also kulturelle Faktoren eine Rolle, das sind ja nicht immer nur genetische Faktoren. Und diese individualisierte Medizin ist im Grunde auch nicht leistbar, weil also im Endeffekt müsste man dann molekulargenetische Untersuchungen machen und dann jedem sein passgenaues Medikament entwickeln. Das ist verführerisch, der Gedanke, aber ich denke, der ist unter den momentanen Bedingungen absolut nicht realisierbar.
Kitzler: Kommen wir noch mal zu Ihrem Kongress in Münster. Der thematische Schwerpunkt dieses Kongresses sind die Herausforderungen und die Chancen der Globalisierung in der Medizin. Inwieweit haben Ärztinnen denn da eine andere Sichtweise als ihre männlichen Kollegen?
Rapp-Engels: Ja, wie ich schon sagte, es geht dann einfach um den weiblichen Blick in der Medizin, und Ärztinnen verbindet dann über die Kontinente hinweg, dass wir einerseits eben so schwierige Arbeitsbedingungen haben, andererseits verbindet uns auch, dass wir zum Beispiel, nehmen wir mal das Thema Übergewicht, das ist ein Thema, was ja nicht nur Frauen angeht, aber wo Frauen vielleicht andere Bedürfnisse haben als Männer oder anders behandelt werden müssen als Männer. Und das dann noch kulturübergreifend, das ist schon eine weitere Herausforderung, da in Austausch zu treten.
Kitzler: Sie sprechen da die Herausforderungen an, was sind denn die größten Chancen?
Rapp-Engels: Ja, die Chancen sind natürlich, dass man durch diesen Austausch auch Ideen kriegt für das eigene Handeln und für das eigene Land. Und wir sind ja inzwischen auch nicht mehr nur Deutsche zum Beispiel hier, wir sind ja auch zunehmend multikulturell. Also unser Patientengut ist multikulturell, auch unsere Ärzte natürlich hier vor Ort, und ich denke, das ist auch von unschätzbarem Vorteil für die Behandlung von Patienten vor Ort, wenn man also zum Beispiel den Blick einer Afrikanerin dann mal etwas besser kennenlernt.
Kitzler: Ärztinnen, ihre schweren Arbeitsbedingungen und ihre Sicht auf das globale Gesundheitssystem. Das war Regine Rapp-Engels, die Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes. Vielen Dank dafür!