Wie man junge Mediziner aufs Land lockt
In Ostwestfalen-Lippe fehlen Ärzte – nicht nur in den Praxen, sondern auch in den Krankenhäusern. Um das zu ändern, hat der Landkreis für Medizinstudenten ein attraktives Angebot entwickelt: Ausbildung mit reichhaltiger Praxis. Und das Konzept scheint aufzugehen.
Das ist das Highlight des Tages für David, Janes und Arne, Medizinstudenten im siebten Semester – und seit Oktober von Bochum in das Medizin-Campus-OWL umgezogen.
"Waren Sie schon mal im OP?
"Ja!"
"Wie ist es denn da?"
"Spannend! Es ist so ein bisschen eine eigene Welt, man muss sich am Anfang immer so insbesondere an die Schwestern halten, ist immer sehr wichtig."
Live dabei sein bei einer Darm-Operation, begleitet und betreut vom Direktor der Universitätsklinik Herford, Professor Günther Winde.
"Vielleicht noch mal die Klammerreihe zeigen. Blick auf die Leber, umliegende Organe, Gallenblase, Dickdarm."
"Die weißen Ablagerungen da auf dem Uterus – ist es auch wieder Fibrin?"
"Das ist ein bisschen Fibrin, ja."
"Ich denke, dass man beim ersten Mal schon so weiche Knie bekommt, und so viele Einflüsse und so viel Input, was man da so kriegt. Dass man das erst mal irgendwie verarbeiten muss. Aber man gewöhnt sich halt auch daran."
Seit Oktober des letzten Jahres absolviert David zusammen mit 63 anderen Medizinstudenten der Ruhruniversität Bochum sein Hauptstudium in Herford und Minden. Als die Universität im vergangenen Jahr nach zusätzlichen Ausbildungskrankenhäusern suchte, haben sich die Kliniken der beiden Städte zu einer Bietergemeinschaft zusammengeschlossen, mit einem Konzept beworben und den Zuschlag bekommen. Was hat überzeugt?
Ein Tutor und sechs Studenten
"Jeder Student hat seinen Arbeitsplatz, bei jeder Übung, wir versuchen also, dass jeder nicht auf den anderen warten muss, und aus dem Grund ist wirklich ein Tutor und sechs Studenten im Grunde ideal. Knotenkurs, Drainage legen oder an den Lübecker-Toolboxen minimalinvasive Chirurgie-Techniken – das ist einfach spannend, weil sie die Zeit, die sie nutzen können, jeder für sich hat. Und wir wollen vor allem vermitteln, dass die ne bessere Ausbildung bekommen als wir sie selber jemals hatten, die war lange nicht so praxisnah, das war tatsächlich so, dass Sie als Student ziemlich überflüssig waren."
Vorlesungen, praktische Übungen und Unterricht am Krankenbett – durchgeführt von Ärzten, die das zusätzlich zu ihrer normalen Arbeit tun. Eine Pionierleistung, die auch aus der Not heraus geboren wurde. Denn in Ostwestfallen-Lippe fehlen Ärzte – nicht nur in den Praxen, für die Nachfolger gesucht werden, sondern auch in den Krankenhäusern, erklärt Professor Carsten Gartung vom Klinikum in Minden und Mitbegründer des OWL-Medizin-Campus.
"Für uns ist es natürlich wichtig, dass wir jungen Leuten zeigen können, dass man hier an einem Haus wie in Minden und in Herford eben eine gute Ausbildung leisten kann, und dass die Gegend lebenswert ist und dass man vielleicht hier langfristig auch als Arzt tätig sein kann. Insofern sehe ich das auch als eine meiner Aufgaben an, den eigenen Nachwuchs heranzubilden, und das finde ich eine sehr motivierende Aufgabe."
Das Konzept scheint aufzugehen: die Studenten sind begeistert – und für David und Janes scheint es eine reale Option zu sein, hier ihr praktisches Jahr nach dem Studium zu absolvieren.
"Die Professoren geben sich alle Mühe, es ist ein direkter Kontakt vorhanden, es wird hier selbst von den Chefärzten unterrichtet, und das sind auch Sachen, die man nicht von jeder Uni kennt."
"Also wenn man sieht, wie die Ausbildung schon in Studienzeiten läuft, denk ich mal, ist es in den Assistenzarzt-Zeiten nicht viel schlechter, also wenn man so ne gute Basis hat – warum nicht?!"
Ein Kirchturm im Ort reicht nicht aus
Für die Attraktivität der Region ist die Ärzte-Versorgung ein entscheidendes Kriterium. Das hat eine aktuelle Umfrage der Industrie- und Handelskammer bei den Arbeitgebern in Ostwestfalen-Lippe ergeben. Die hiesigen Unternehmen benötigen Fachkräfte – und diese kommen nur, wenn die Infrastruktur stimmt. Für den Landrat des Kreises Herford, Jürgen Müller, ist deshalb der "Medizin-Campus OWL" ein zukunftsweisendes Modell.
"Für mich ist daran so gut, dass sich eben der Kreis Herford, der Kreis Minden-Lübbecke, die beiden Kliniken zusammengetan haben, und wir zusammen uns um die Fakultät bemüht haben. Allein als Kreis Herford, allein nur den Kirchturm zu sehen, werden wir im Kampf darum, als attraktive Region Menschen in unsere Region locken zu können, nicht bestehen können. Und auch wenn wir unser Angebot halten wollen vor Ort, werden wir einfach mehr in interkommunale Zusammenarbeit gehen müssen. Das ist ein erster Schritt, ein hervorragender Schritt, der beispielgebend ist für weitere Schritte, die wir gehen müssen."