Ästhetik des Grauens
Kriege, Aufstände und Naturkatastrophen: In der alljährlichen "World-Press-Photo"-Ausstellung ziehen die Schrecken der vergangenen zwölf Monate noch einmal vorbei. Mehr als 100.000 Bilder begutachtete die Jury dieses Mal, um am Ende 63 Fotografen in zehn Themenkategorien mit dem "World-Press-Photo-Award" auszuzeichnen.
24. Juni 2009: Aus den Fenstern der Teheraner Häuser strömt Licht in die Nacht. Nur auf den Dächern ist es dunkel. Dort haben sich Frauen versammelt, um – im Schutz der Finsternis - ihren Protest in die Straßen zu rufen: "Allah ist groß" und "Tod dem Diktator". Synonyme für ihren Zorn auf den Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, der – wie sie glauben – das Wahlergebnis zu seinen Gunsten manipuliert hat.
"Es war eine unglaubliche Atmosphäre. Von überall hörte man Stimmen, Echos. Woher sie kamen, war kaum zu sagen. Viele der Frauen versteckten sich, weil sie Angst hatten, von der Straße aus gesehen zu werden","
übersetzt eine Dolmetscherin Pietro Masturzos Erinnerungen an die Nacht, in der er das "World Press Photo 2010" schoss.
""Ich habe dann aber auch ein paar Leute entdeckt, die mutiger waren und an den Brüstungen ihrer Dächer standen. Die habe ich fotografiert. Es war wirklich eine sehr spezielle, fast surreale Atmosphäre."
Die hell erleuchteten Fenster, die dunklen, verschwommenen Figuren – aufgenommen mit extrem langen Belichtungszeiten: Dieser Gegensatz verleiht dem Bild eine feierliche, fast sakrale Atmosphäre.
Volker Lensch: "Aber auch da ist zum Beispiel sehr stark mit Photoshop gearbeitet worden."
Volker Lensch, Leiter der "Stern"-Bildredaktion und Mitglied der Vor-Jury des "World-Press-Photo-Award", ist aufgefallen, dass die eingereichten Bilder 2010 – sehr viel mehr als in den Vorjahren - digital bearbeitet waren:
"Ich glaube, die Fotografen sind eher unsicher mit ihrer Arbeit. Sie wissen nicht genau, haben sie nun was Gutes geleistet, sind die Bilder aussagestark genug aus ihrer Sicht? Und deshalb - hab ich den Eindruck - gehen viele dazu über, mit Photoshop sozusagen das Bild zu intensivieren. Die Nachricht wie – als würden Sie in einem Text Teile unterstreichen, um den Lesern zu sagen: Das ist wichtig, das musst du jetzt lesen. So kommt mir das vor, so wird mit Photoshop gearbeitet."
Heißt das: Wir können uns weniger als je zuvor darauf verlassen, dass die Fotos die Realität abbilden? Volker Lensch glaubt das nicht. Die Jury habe vor allem Bilder ausgewählt, bei denen Photoshop nur in Maßen zum Einsatz gekommen sei. Im Übrigen hält der "Stern"-Bildchef digitale Nachbearbeitung für ein völlig legitimes Mittel:
"Früher wurden auch Sachen nachbelichtet, verstärkt im Labor. Früher wurde ein Foto, auf dem zwei Leute zu weit auseinanderstanden, das wurde durchgeschnitten, die Kante wurde gerissen, der Retuscheur hat das zusammengeklebt, ist da mit seiner Spritzpistole drübergegangen. Und Sie haben's im Druck nachher nicht gesehen. Also das war auch alles möglich."
Preisträger Pietro Masturzo gibt freimütig zu, die Abendstimmung auf seinen Bildern digital verstärkt zu haben. Für ihn gilt:
"Die Bearbeitung darf das Original, das man geschossen hat, nicht verfälschen. Alles, was dieses Bild manipuliert, sollte für einen Fotojournalisten nicht infrage kommen."
Mit einer Fotoserie über den verwüsteten Gazastreifen hat Meiko Herrmann den dritten Preis in der Kategorie "Reportagen" gewonnen. Eine seiner Schwarzweiß-Aufnahmen zeigt einen Palästinenserjungen, der durch ein Tor zwischen zwei Mauerpfeilern tritt. Mehr ist von dem Haus, in dem seine Familie lebte, nach dem israelischen Bombardement nicht übrig geblieben.
Herrmann: "Da kann man schwer über den Friedensprozess nachdenken, wenn man so etwas sieht. Vor allem muss man ja wissen, dass es 300 tote Kinder gab und 4000 Kinder und Jugendliche wurden dabei schwer verletzt. Das ist ne ganze Generation, die da traumatisiert ist - und die natürlich den Friedensprozess nicht fördert. Auch in der Zukunft nicht."
Aber nicht nur die Katastrophen des vergangenen Jahres ziehen auf den ausgezeichneten Bildern vorbei. Die "World-Press-Photo"-Ausstellung präsentiert auch großartige Porträts, Naturaufnahmen und mitreißende Fotografien von Sportereignissen. Für den skurrilsten Beitrag sorgt in diesem Jahr der Italiener Tommaso Ausili, der drei Lämmchen fotografiert hat. Durch die Tür eines umbrischen Schlachthofes betrachten sie enthäutete Schafskollegen, die an Haken von der Decke hängen.
Lensch: "Also das hat natürlich 'ne gewisse Ästhetik des Grauens. Man bekommt wirklich Mitleid mit den Tieren und sagt einfach: Hört auf mit dem Schlachten, wir werden alle Vegetarier (lacht)."
Service:
Die Ausstellung "World Press Photo" ist noch bis zum 6. Juni im Gruner-und-Jahr-Pressehaus in Hamburg zu sehen. Anschließend wandert sie weiter in mehrere deutsche Städte - darunter Berlin, München, Köln, Frankfurt und Stuttgart.
"Es war eine unglaubliche Atmosphäre. Von überall hörte man Stimmen, Echos. Woher sie kamen, war kaum zu sagen. Viele der Frauen versteckten sich, weil sie Angst hatten, von der Straße aus gesehen zu werden","
übersetzt eine Dolmetscherin Pietro Masturzos Erinnerungen an die Nacht, in der er das "World Press Photo 2010" schoss.
""Ich habe dann aber auch ein paar Leute entdeckt, die mutiger waren und an den Brüstungen ihrer Dächer standen. Die habe ich fotografiert. Es war wirklich eine sehr spezielle, fast surreale Atmosphäre."
Die hell erleuchteten Fenster, die dunklen, verschwommenen Figuren – aufgenommen mit extrem langen Belichtungszeiten: Dieser Gegensatz verleiht dem Bild eine feierliche, fast sakrale Atmosphäre.
Volker Lensch: "Aber auch da ist zum Beispiel sehr stark mit Photoshop gearbeitet worden."
Volker Lensch, Leiter der "Stern"-Bildredaktion und Mitglied der Vor-Jury des "World-Press-Photo-Award", ist aufgefallen, dass die eingereichten Bilder 2010 – sehr viel mehr als in den Vorjahren - digital bearbeitet waren:
"Ich glaube, die Fotografen sind eher unsicher mit ihrer Arbeit. Sie wissen nicht genau, haben sie nun was Gutes geleistet, sind die Bilder aussagestark genug aus ihrer Sicht? Und deshalb - hab ich den Eindruck - gehen viele dazu über, mit Photoshop sozusagen das Bild zu intensivieren. Die Nachricht wie – als würden Sie in einem Text Teile unterstreichen, um den Lesern zu sagen: Das ist wichtig, das musst du jetzt lesen. So kommt mir das vor, so wird mit Photoshop gearbeitet."
Heißt das: Wir können uns weniger als je zuvor darauf verlassen, dass die Fotos die Realität abbilden? Volker Lensch glaubt das nicht. Die Jury habe vor allem Bilder ausgewählt, bei denen Photoshop nur in Maßen zum Einsatz gekommen sei. Im Übrigen hält der "Stern"-Bildchef digitale Nachbearbeitung für ein völlig legitimes Mittel:
"Früher wurden auch Sachen nachbelichtet, verstärkt im Labor. Früher wurde ein Foto, auf dem zwei Leute zu weit auseinanderstanden, das wurde durchgeschnitten, die Kante wurde gerissen, der Retuscheur hat das zusammengeklebt, ist da mit seiner Spritzpistole drübergegangen. Und Sie haben's im Druck nachher nicht gesehen. Also das war auch alles möglich."
Preisträger Pietro Masturzo gibt freimütig zu, die Abendstimmung auf seinen Bildern digital verstärkt zu haben. Für ihn gilt:
"Die Bearbeitung darf das Original, das man geschossen hat, nicht verfälschen. Alles, was dieses Bild manipuliert, sollte für einen Fotojournalisten nicht infrage kommen."
Mit einer Fotoserie über den verwüsteten Gazastreifen hat Meiko Herrmann den dritten Preis in der Kategorie "Reportagen" gewonnen. Eine seiner Schwarzweiß-Aufnahmen zeigt einen Palästinenserjungen, der durch ein Tor zwischen zwei Mauerpfeilern tritt. Mehr ist von dem Haus, in dem seine Familie lebte, nach dem israelischen Bombardement nicht übrig geblieben.
Herrmann: "Da kann man schwer über den Friedensprozess nachdenken, wenn man so etwas sieht. Vor allem muss man ja wissen, dass es 300 tote Kinder gab und 4000 Kinder und Jugendliche wurden dabei schwer verletzt. Das ist ne ganze Generation, die da traumatisiert ist - und die natürlich den Friedensprozess nicht fördert. Auch in der Zukunft nicht."
Aber nicht nur die Katastrophen des vergangenen Jahres ziehen auf den ausgezeichneten Bildern vorbei. Die "World-Press-Photo"-Ausstellung präsentiert auch großartige Porträts, Naturaufnahmen und mitreißende Fotografien von Sportereignissen. Für den skurrilsten Beitrag sorgt in diesem Jahr der Italiener Tommaso Ausili, der drei Lämmchen fotografiert hat. Durch die Tür eines umbrischen Schlachthofes betrachten sie enthäutete Schafskollegen, die an Haken von der Decke hängen.
Lensch: "Also das hat natürlich 'ne gewisse Ästhetik des Grauens. Man bekommt wirklich Mitleid mit den Tieren und sagt einfach: Hört auf mit dem Schlachten, wir werden alle Vegetarier (lacht)."
Service:
Die Ausstellung "World Press Photo" ist noch bis zum 6. Juni im Gruner-und-Jahr-Pressehaus in Hamburg zu sehen. Anschließend wandert sie weiter in mehrere deutsche Städte - darunter Berlin, München, Köln, Frankfurt und Stuttgart.