"Ästhetik hat noch nie geschadet"
Was bedeutet die Energiewende in Deutschland für die ästhetische Wahrnehmung von energieerzeugenden Anlagen, zum Beispiel von stillgelegten Atommeilern oder neu entstehenden Windkrafträdern und Biogasanlagen? Die "Industriearchäologie" kommt zu einem ambivalenten Urteil.
Katrin Heise: Vielleicht erinnert sich der eine oder andere ja noch an die Plakataktion der Atomindustrie, mit der die deutschen Atomkraftwerke beworben werden sollten, als es noch um die Laufzeitverlängerung ging. Da standen sie, erhaben in schönster Landschaft in der Morgendämmerung aufgenommen, wirkten fast wie – na ja, wie Monumente moderner und ach so sauberer Energieproduktion. Inzwischen gab es ja eine Zeitenwende: Was gestern High Tech war, wird in einigen Jahren abgeschaltet, aber die Meiler, die stehen dann ja trotzdem noch in der schönen Landschaft herum – eingerahmt wahrscheinlich von tausenden von Windrädern, Solar- und Biogasanlagen, und die findet nun auch nicht jeder hübsch. Wie verändern Energiewenden die Stadt- und Landarchitektur? Wie unsere ästhetische Wahrnehmung, unseren Umgang mit Architektur und Natur, darüber möchte ich sprechen mit Norman Pohl. Er arbeitet am Institut für Wissenschafts- und Technikgeschichte der technischen Universität Bergakademie Freiberg. Herr Pohl, schönen guten Tag!
Norman Pohl: Einen schönen guten Tag, Frau Heise!
Heise: Berühmte Architekten haben Fabriken entworfen; ich erinnere zum Beispiel an die Fagus-Werke in Alfeld an der Leine, für die Walter Gropius ja damals verantwortlich zeichnete als Architekt, und die zum Weltkulturerbe vorgeschlagen werden. Die Windräder dagegen, die wir jetzt verstärkt in unsere Landschaft stellen, das sind ja reine Nutzbauwerke und werden vielfach ja auch beschimpft, als Spargel beschimpft. Glauben Sie, Herr Pohl, dass die mal das Zeug zum bewunderten Industriedenkmal haben?
Pohl: Ja, ich hoffe, dass sie noch lange brauchen, bevor sie zum Denkmal werden, aber wir streben ja in der Industriekultur und Industriearchäologie auch immer an, dass wir Denkmäler in Arbeit und im laufenden Prozess haben. Windräder, so wie wir sie jetzt kennen, sind sehr wohl außerhalb von Europa schon in ästhetischer Kombination vorhanden, das heißt, man hat sich zum Beispiel in den Vereinigten Staaten darum auch bemüht, geometrische Anlagen zu schaffen. Und wenn man die betrachtet, dann sieht das schon sehr geordnet, regelmäßig und im Sinne vielleicht einer mathematischen Ästhetik aus. Das Problem für die optische Wahrnehmung entsteht ja immer nur daran, wenn viele dieser Anlagen relativ ungeordnet und dann auch nicht im gleichen Takt sich bewegend in der Landschaft auftauchen, und da kann man schon davon ausgehen, dass sich das eine oder andere Auge dann gestört fühlt, aber das …
Heise: Das heißt, in Amerika hat man das extra gemacht, dass man da auf die Ästhetik geachtet hat?
Pohl: Nein, das hatte rein funktionelle Gründe. Das ist genau so, wie wenn man in Deutschland oder in der EU einen Weinberg anlegt. Da ist der Abstand zwischen jeder Rebe genauestens ausgemessen, und auf diese Art und Weise kommen dann diese geometrischen Figuren in der Landschaft zustande.
Heise: Aus der Geschichte wissen wir ja, dass die Zechen und Schornsteine zu ihrer aktiven Zeit ja auch nun nicht wegen ihrer Schönheit geliebt wurden. Wenn ich Sie richtig verstehe, braucht es aber eigentlich nicht immer einen zeitlichen Abstand, um die Ästhetik zu erkennen.
Pohl: Ja, vor allem aber hat sich auch das ästhetische Empfinden über die Jahrhunderte hinweg gewandelt. Es gab auch eine Phase, in der vor allem der rauchende Schornstein eine ungeheure ästhetische Wirkung entfaltet hat. Man ging damals davon aus – vor etwa 150, 200 Jahren –: Wenn der Schornstein raucht, dann geht es den Menschen gut, denn dann finden viele Arbeit. Und ein nicht rauchender Schornstein galt geradezu als Sinnbild des Verfalls. Auf der anderen Seite ist es auch so, dass am Anfang, als die Mechanisierung und dann später die Maschinisierung in der industriellen Produktion einsetzte, der Schornstein auch sehr ambivalent gesehen wurde, denn natürlich sind viele Leute auch entlassen worden, als dann dieses Sinnbild des Industriezeitalters ganz am Anfang angefangen hat, zu arbeiten.
Heise: Sollten die jetzt zur Energiewende notwendigen dezentralen Heizkraftwerke beispielsweise, die Biogasanlagen, die Solarzellen, die Windräder, eigentlich ihrer Meinung nach aufgehübscht werden, um akzeptiert zu werden, oder wird der wirtschaftliche Erfolg schon von alleine dafür sorgen?
Pohl: Ästhetische Maßnahmen sind sicherlich immer zu begrüßen, allerdings ist der Erfolg der Technik ja nicht dadurch bedingt, dass es jetzt besonders schön aussieht, sondern, dass es funktional ist, dass die Erwartungen, die entweder die Erbauer an die Technik haben, erfüllt werden, beziehungsweise auf der anderen Seite die Gesellschaft an die entsprechende Technik hat, dass diese Erwartungen erfüllt werden. Im Übrigen gibt es auch schon Beispiele, wo Ästhetik oder ästhetische Maßnahmen, sagen wir mal, Akzeptanz versucht zu erreichen. Ich darf vielleicht erinnern an die Müllverbrennungsanlage in Wien-Spittelau, die von Hundertwasser gestaltet worden ist – mittlerweile ein Touristenmagnet der österreichischen Hauptstadt –, und mit dieser Maßnahme, einen berühmten Architekten zu engagieren, hat man damals auch über sprachliche Umdeutungen hinweggeholfen. Man sagt jetzt nicht mehr, dass es eine Abfallverbrennungsanlage oder eine Müllverbrennungsanlage ist, sondern das ist ein Müllheizkraftwerk geworden, und wenn das dann architektonisch veredelt ist, dann tut es im Blick gleich ganz anders wirken, als wenn wir eine rein technische Anlage haben. Also, etwas Ästhetik hat noch nie geschadet.
Heise: Würden Sie denn sagen, dass so ein reiner Zweckbau doch vielleicht sogar im Gegenteil eher ein Zeichen von mangelndem Selbstbewusstsein ist, so nach dem Motto: Bloß nicht mehr auffallen als nötig?
Pohl: Ich denke, das hat eigentlich reine Kostengründe. Wenn wir durch unsere Industrieregionen oder die Gewerbegebiete, die ja auch als Parks umschrieben werden, hindurch fahren, da ist die Welt sozusagen voll von Zweckbauten, und die sind einfach nur kostengünstig, funktional, und das ist die Hauptsache, oder der Hauptbeweggrund, nach dem sie errichtet werden. Die Zeiten, in denen berühmte Architekten auch aus Gründen des Selbstverständnisses herangezogen worden sind, um derartige Dinge zu kreieren, und in denen das Gebäude praktisch das teuerste gewesen ist, was der Firma gehört hat, die scheinen doch vorbei zu sein.
Heise: Die Energiewende aus ästhetischer Sicht. Im Deutschlandradio Kultur hören Sie dazu Norman Pohl vom Institut für Wissenschafts- und Technikgeschichte Freiberg. Herr Pohl, sind Windräder Ihrer Meinung nach ein Symbol für das Ende der bisherigen Industrialisierung?
Pohl: Na ja, die Industrialisierung fährt damit vielleicht sogar zu ihren Ursprüngen zurück. Wenn wir an den Don Quichotte denken und …
Heise: … die Windmühlen?
Pohl: … den Kampf gegen die Windmühlenflügel, die seinerzeit dann für finstere Riesen oder die Boten von finsteren Riesen gehalten wurden, dann hat sich eigentlich die Menschheit seit mehreren hundert Jahren natürlich grundsätzlich an Windmühlen gewöhnen können. Die Dimension ist heute natürlich eine andere, denn so wie früher die Windmühle zum Teil die Landschaft geprägt hat, war das doch aber auf einem sehr engen Raum begrenzt, wo man sie optisch wahrgenommen hat. Man hat die Mühle eigentlich sogar mehr gehört, als dass man sie gesehen hat. Wenn wir heute Windräder in der Landschaft haben, dann ist halt immer die Frage, an welche Stelle werden sie denn gebaut? Und das scheint mir eher der Kern zu sein, der häufig wenig bedacht wird. Es gibt in Deutschland genügend Flächen, auf denen man Windkraftanlagen errichten kann, wo das eigentlich niemanden letzten Endes stört und wo das auch keine Nachbarn stört – Niemand mag einen Schlagschatten in seiner Küche oder in seinem Wohnzimmer haben und auch das Rotationsgeräusch dabei –, aber Deutschland hat genügend Autobahnen, Bundesstraßen, Industriebrachen und ähnliches, die man mit derartigen Anlagen durchaus versehen kann.
Heise: Und da pfeift der Wind auch ganz schön. Welche Erfahrung hat eigentlich der Studiengang Industriearchäologie oder auch Umwelthistorie an der Uni Freiberg damit, wie in der Vergangenheit bei Energiewenden mit den Hinterlassenschaften umgegangen wurde?
Pohl: Ja, das ist ein sehr weites Feld. Hauptsächlich würden wir uns da auf dem Gebiet vormaliger Kraftwerksbauten bewegen, und da gibt es architektonisch ansprechende Gebäude natürlich, die in den Zeiten, in denen städtische Repräsentation zum Beispiel über ein städtisches Kraftwerk durchgeführt worden ist, die aus den Zeiten stammen – so Anfang des 20. Jahrhunderts –, andererseits gibt es auch kleinere Anlagen – sagen wir mal, aus dem Montanwesen des 16. Jahrhunderts –, wo wir mit Wasserrädern – also in heutiger Sprache mit regenerativen Energiequellen wurde da gearbeitet, und wir sind sehr wohl dabei, dass wir diese frühen Zeugnisse des Gewerbes dokumentieren, aufnehmen, und gegebenenfalls auch Erhaltungskonzepte vorschlagen.
Heise: Was würden Sie denn sagen, welche Idee haben Sie, wie zum Beispiel mit stillgelegten Atommeilern umgegangen wird?
Pohl: Das ist natürlich ein kitzliges Thema, weil einen stillgelegten Atommeiler besichtigt man nicht so einfach wie ein stillgelegtes Kohlekraftwerk. Natürlich sind einige dieser Bauten aus architektonischer Sicht, also wenn wir so an Kalkar denken, natürlich bemerkenswert, andererseits steht da ganz klar im Vordergrund praktisch der sichere Rückbau der Teile, die mit radioaktiver Strahlung in Kontakt gekommen sind. Wir haben auf der anderen Seite auch das Phänomen, dass es Katastrophentourismus jetzt nach Tschernobyl zum Beispiel gibt, wo sich Touristengruppen freiwillig in verstrahlten Zonen dann aufhalten und das vielleicht als besonderen Kitzel empfinden, in einer ansonsten reizüberfluteten Welt, wo das Besondere fehlt. Ansonsten, wenn wir 17 weitere Denkmale in Deutschland dazubekommen – wer möchte, kann da sicherlich gerne Führungen organisieren. Die Erfahrung lehrt allerdings, dass derartige Beispiele dann von Investition oder auch – ja, ich will jetzt nicht sagen, gescheiterten Innovationen, aber das derartige Beispiele doch relativ schnell der Vergessenheit anheimfallen. Schon aus dem Interesse der Betreiber heraus!
Heise: Wer weiß, vielleicht klettern wir irgendwann mal in Hochseilgärten zwischen Windrädern herum. Vom Schandfleck zum Kulturerbe – noch ist der Weg nicht vorgezeichnet. In unserer Reihe zur Energiewende war das Norman Pohl vom Institut für Wissenschafts- und Technikgeschichte Freiberg. Vielen Dank, Herr Pohl, für das Gespräch!
Pohl: Bitte, Frau Heise!
Norman Pohl: Einen schönen guten Tag, Frau Heise!
Heise: Berühmte Architekten haben Fabriken entworfen; ich erinnere zum Beispiel an die Fagus-Werke in Alfeld an der Leine, für die Walter Gropius ja damals verantwortlich zeichnete als Architekt, und die zum Weltkulturerbe vorgeschlagen werden. Die Windräder dagegen, die wir jetzt verstärkt in unsere Landschaft stellen, das sind ja reine Nutzbauwerke und werden vielfach ja auch beschimpft, als Spargel beschimpft. Glauben Sie, Herr Pohl, dass die mal das Zeug zum bewunderten Industriedenkmal haben?
Pohl: Ja, ich hoffe, dass sie noch lange brauchen, bevor sie zum Denkmal werden, aber wir streben ja in der Industriekultur und Industriearchäologie auch immer an, dass wir Denkmäler in Arbeit und im laufenden Prozess haben. Windräder, so wie wir sie jetzt kennen, sind sehr wohl außerhalb von Europa schon in ästhetischer Kombination vorhanden, das heißt, man hat sich zum Beispiel in den Vereinigten Staaten darum auch bemüht, geometrische Anlagen zu schaffen. Und wenn man die betrachtet, dann sieht das schon sehr geordnet, regelmäßig und im Sinne vielleicht einer mathematischen Ästhetik aus. Das Problem für die optische Wahrnehmung entsteht ja immer nur daran, wenn viele dieser Anlagen relativ ungeordnet und dann auch nicht im gleichen Takt sich bewegend in der Landschaft auftauchen, und da kann man schon davon ausgehen, dass sich das eine oder andere Auge dann gestört fühlt, aber das …
Heise: Das heißt, in Amerika hat man das extra gemacht, dass man da auf die Ästhetik geachtet hat?
Pohl: Nein, das hatte rein funktionelle Gründe. Das ist genau so, wie wenn man in Deutschland oder in der EU einen Weinberg anlegt. Da ist der Abstand zwischen jeder Rebe genauestens ausgemessen, und auf diese Art und Weise kommen dann diese geometrischen Figuren in der Landschaft zustande.
Heise: Aus der Geschichte wissen wir ja, dass die Zechen und Schornsteine zu ihrer aktiven Zeit ja auch nun nicht wegen ihrer Schönheit geliebt wurden. Wenn ich Sie richtig verstehe, braucht es aber eigentlich nicht immer einen zeitlichen Abstand, um die Ästhetik zu erkennen.
Pohl: Ja, vor allem aber hat sich auch das ästhetische Empfinden über die Jahrhunderte hinweg gewandelt. Es gab auch eine Phase, in der vor allem der rauchende Schornstein eine ungeheure ästhetische Wirkung entfaltet hat. Man ging damals davon aus – vor etwa 150, 200 Jahren –: Wenn der Schornstein raucht, dann geht es den Menschen gut, denn dann finden viele Arbeit. Und ein nicht rauchender Schornstein galt geradezu als Sinnbild des Verfalls. Auf der anderen Seite ist es auch so, dass am Anfang, als die Mechanisierung und dann später die Maschinisierung in der industriellen Produktion einsetzte, der Schornstein auch sehr ambivalent gesehen wurde, denn natürlich sind viele Leute auch entlassen worden, als dann dieses Sinnbild des Industriezeitalters ganz am Anfang angefangen hat, zu arbeiten.
Heise: Sollten die jetzt zur Energiewende notwendigen dezentralen Heizkraftwerke beispielsweise, die Biogasanlagen, die Solarzellen, die Windräder, eigentlich ihrer Meinung nach aufgehübscht werden, um akzeptiert zu werden, oder wird der wirtschaftliche Erfolg schon von alleine dafür sorgen?
Pohl: Ästhetische Maßnahmen sind sicherlich immer zu begrüßen, allerdings ist der Erfolg der Technik ja nicht dadurch bedingt, dass es jetzt besonders schön aussieht, sondern, dass es funktional ist, dass die Erwartungen, die entweder die Erbauer an die Technik haben, erfüllt werden, beziehungsweise auf der anderen Seite die Gesellschaft an die entsprechende Technik hat, dass diese Erwartungen erfüllt werden. Im Übrigen gibt es auch schon Beispiele, wo Ästhetik oder ästhetische Maßnahmen, sagen wir mal, Akzeptanz versucht zu erreichen. Ich darf vielleicht erinnern an die Müllverbrennungsanlage in Wien-Spittelau, die von Hundertwasser gestaltet worden ist – mittlerweile ein Touristenmagnet der österreichischen Hauptstadt –, und mit dieser Maßnahme, einen berühmten Architekten zu engagieren, hat man damals auch über sprachliche Umdeutungen hinweggeholfen. Man sagt jetzt nicht mehr, dass es eine Abfallverbrennungsanlage oder eine Müllverbrennungsanlage ist, sondern das ist ein Müllheizkraftwerk geworden, und wenn das dann architektonisch veredelt ist, dann tut es im Blick gleich ganz anders wirken, als wenn wir eine rein technische Anlage haben. Also, etwas Ästhetik hat noch nie geschadet.
Heise: Würden Sie denn sagen, dass so ein reiner Zweckbau doch vielleicht sogar im Gegenteil eher ein Zeichen von mangelndem Selbstbewusstsein ist, so nach dem Motto: Bloß nicht mehr auffallen als nötig?
Pohl: Ich denke, das hat eigentlich reine Kostengründe. Wenn wir durch unsere Industrieregionen oder die Gewerbegebiete, die ja auch als Parks umschrieben werden, hindurch fahren, da ist die Welt sozusagen voll von Zweckbauten, und die sind einfach nur kostengünstig, funktional, und das ist die Hauptsache, oder der Hauptbeweggrund, nach dem sie errichtet werden. Die Zeiten, in denen berühmte Architekten auch aus Gründen des Selbstverständnisses herangezogen worden sind, um derartige Dinge zu kreieren, und in denen das Gebäude praktisch das teuerste gewesen ist, was der Firma gehört hat, die scheinen doch vorbei zu sein.
Heise: Die Energiewende aus ästhetischer Sicht. Im Deutschlandradio Kultur hören Sie dazu Norman Pohl vom Institut für Wissenschafts- und Technikgeschichte Freiberg. Herr Pohl, sind Windräder Ihrer Meinung nach ein Symbol für das Ende der bisherigen Industrialisierung?
Pohl: Na ja, die Industrialisierung fährt damit vielleicht sogar zu ihren Ursprüngen zurück. Wenn wir an den Don Quichotte denken und …
Heise: … die Windmühlen?
Pohl: … den Kampf gegen die Windmühlenflügel, die seinerzeit dann für finstere Riesen oder die Boten von finsteren Riesen gehalten wurden, dann hat sich eigentlich die Menschheit seit mehreren hundert Jahren natürlich grundsätzlich an Windmühlen gewöhnen können. Die Dimension ist heute natürlich eine andere, denn so wie früher die Windmühle zum Teil die Landschaft geprägt hat, war das doch aber auf einem sehr engen Raum begrenzt, wo man sie optisch wahrgenommen hat. Man hat die Mühle eigentlich sogar mehr gehört, als dass man sie gesehen hat. Wenn wir heute Windräder in der Landschaft haben, dann ist halt immer die Frage, an welche Stelle werden sie denn gebaut? Und das scheint mir eher der Kern zu sein, der häufig wenig bedacht wird. Es gibt in Deutschland genügend Flächen, auf denen man Windkraftanlagen errichten kann, wo das eigentlich niemanden letzten Endes stört und wo das auch keine Nachbarn stört – Niemand mag einen Schlagschatten in seiner Küche oder in seinem Wohnzimmer haben und auch das Rotationsgeräusch dabei –, aber Deutschland hat genügend Autobahnen, Bundesstraßen, Industriebrachen und ähnliches, die man mit derartigen Anlagen durchaus versehen kann.
Heise: Und da pfeift der Wind auch ganz schön. Welche Erfahrung hat eigentlich der Studiengang Industriearchäologie oder auch Umwelthistorie an der Uni Freiberg damit, wie in der Vergangenheit bei Energiewenden mit den Hinterlassenschaften umgegangen wurde?
Pohl: Ja, das ist ein sehr weites Feld. Hauptsächlich würden wir uns da auf dem Gebiet vormaliger Kraftwerksbauten bewegen, und da gibt es architektonisch ansprechende Gebäude natürlich, die in den Zeiten, in denen städtische Repräsentation zum Beispiel über ein städtisches Kraftwerk durchgeführt worden ist, die aus den Zeiten stammen – so Anfang des 20. Jahrhunderts –, andererseits gibt es auch kleinere Anlagen – sagen wir mal, aus dem Montanwesen des 16. Jahrhunderts –, wo wir mit Wasserrädern – also in heutiger Sprache mit regenerativen Energiequellen wurde da gearbeitet, und wir sind sehr wohl dabei, dass wir diese frühen Zeugnisse des Gewerbes dokumentieren, aufnehmen, und gegebenenfalls auch Erhaltungskonzepte vorschlagen.
Heise: Was würden Sie denn sagen, welche Idee haben Sie, wie zum Beispiel mit stillgelegten Atommeilern umgegangen wird?
Pohl: Das ist natürlich ein kitzliges Thema, weil einen stillgelegten Atommeiler besichtigt man nicht so einfach wie ein stillgelegtes Kohlekraftwerk. Natürlich sind einige dieser Bauten aus architektonischer Sicht, also wenn wir so an Kalkar denken, natürlich bemerkenswert, andererseits steht da ganz klar im Vordergrund praktisch der sichere Rückbau der Teile, die mit radioaktiver Strahlung in Kontakt gekommen sind. Wir haben auf der anderen Seite auch das Phänomen, dass es Katastrophentourismus jetzt nach Tschernobyl zum Beispiel gibt, wo sich Touristengruppen freiwillig in verstrahlten Zonen dann aufhalten und das vielleicht als besonderen Kitzel empfinden, in einer ansonsten reizüberfluteten Welt, wo das Besondere fehlt. Ansonsten, wenn wir 17 weitere Denkmale in Deutschland dazubekommen – wer möchte, kann da sicherlich gerne Führungen organisieren. Die Erfahrung lehrt allerdings, dass derartige Beispiele dann von Investition oder auch – ja, ich will jetzt nicht sagen, gescheiterten Innovationen, aber das derartige Beispiele doch relativ schnell der Vergessenheit anheimfallen. Schon aus dem Interesse der Betreiber heraus!
Heise: Wer weiß, vielleicht klettern wir irgendwann mal in Hochseilgärten zwischen Windrädern herum. Vom Schandfleck zum Kulturerbe – noch ist der Weg nicht vorgezeichnet. In unserer Reihe zur Energiewende war das Norman Pohl vom Institut für Wissenschafts- und Technikgeschichte Freiberg. Vielen Dank, Herr Pohl, für das Gespräch!
Pohl: Bitte, Frau Heise!