Abstimmung mit AfD
"Wir sind die Brandmauer" lautete das Motto von Protesten gegen das Abstimmungsverhalten der Union im Bundestag zur Migrationspolitik © imago / epd / Rolf Zöllner
Ein "Tabubruch" mit Folgen?
![Demonstranten von Greenpeace halten das Wort Brandmauer nach oben. Als Reaktion auf das Abstimmungsverhalten der Unions-Bundestagsfraktion zur Migrationspolitik gab es am 3. Februar beim CDU-Bundesparteitag Proteste. Demonstranten von Greenpeace halten das Wort Brandmauer nach oben. Als Reaktion auf das Abstimmungsverhalten der Unions-Bundestagsfraktion zur Migrationspolitik gab es am 3. Februar beim CDU-Bundesparteitag Proteste.](https://bilder.deutschlandfunk.de/6c/32/9c/01/6c329c01-fc6f-4893-81c4-e7de3fad73c5/proteste-afd-abstimmung-brandmauer-100-1920x1080.jpg)
Die gemeinsame Abstimmung von CDU und AfD im Bundestag hat bundesweit für Kritik gesorgt. Holocaust-Überlebende reagierten alarmiert, weil erstmals ein Antrag der Union mit Stimmen einer in Teilen rechtsextremen Partei eine Mehrheit erreichte.
Am 27. Januar jährte sich der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz zum 80. Mal. Zwei Tage später fand im Deutschen Bundestag aus diesem Anlass eine Gedenkstunde statt. Ausgerechnet an diesem Tag hat CDU-Chef Friedrich Merz mit seinem 5-Punkte-Plan zur Migrationspolitik erstmals eine Mehrheit mithilfe von Stimmen der in Teilen rechtsextremen AfD erlangt. Entgegen vorheriger Versprechungen, Mehrheiten nur mit Parteien der Mitte suchen zu wollen.
Vor dem Hintergrund der Verbrechen der NS-Diktatur galt unter den demokratischen Parteien bislang der Konsens, keine Mehrheiten mit einer Partei wie der AfD zu suchen, die in Teilen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird. Darüber hat sich der CDU-Chef nun hinweggesetzt.
Nur zwei Tage später nahm Merz erneut eine Mehrheit mithilfe der AfD in Kauf. Das von seiner CDU/CSU im Bundestag eingebrachte "Zustrombegrenzungsgesetz", das unter anderem den Familiennachzug von subsidiär Schutzbedürftigen abschaffen soll, scheiterte nur, weil Abgeordnete aus den eigenen Reihen sowie der FDP der Abstimmung fernblieben, sich enthielten oder dagegen stimmten.
Das Vorgehen des CDU-Vorsitzenden rief heftige Kritik und bundesweite Proteste hervor. Holocaust-Überlebende und Jüdinnen und Juden sind alarmiert. So warnte etwa die 82-jährige Auschwitz-Überlebende Eva Umlauf in der "Süddeutschen Zeitung" Merz davor, Rechtsextreme zu unterschätzen.
Was macht das Vorgehen der CDU mit Holocaust-Überlebenden?
Für den Holocaust-Überlebenden Albrecht Weinberg war die Bundestagsabstimmung vom 29. Januar ein Schock. Er kündigte an, aus Protest gegen die Politik der CDU sein Bundesverdienstkreuz zurückgeben zu wollen. Im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur berichtet Albrecht Weinberg, wie jüdische Bürgerinnen und Bürger während der Nazi-Diktatur entmenschlicht wurden. Er selbst habe drei Todesmärsche überlebt und zuletzt wohl nur noch 29 Kilogramm gewogen. Der Großteil seiner Familie sei ermordet worden.
Nach Kriegsende hatte sich Weinberg in den USA ein neues Leben aufgebaut und war erst 2012 nach Deutschland zurückgekehrt. Seither engagiert er sich als Zeitzeuge und wurde 2021 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Nach der gemeinsamen Abstimmung von CDU und AfD sei es ihm jedoch schwer geworden, die Auszeichnung zu tragen, sagte Weinberg nach Medienberichten.
Sein Freund, der Mannheimer Fotograf Luigi Toscano, der viele Holocaust-Überlebende ausfindig gemacht und porträtiert hat, will sein Bundesverdienstkreuz ebenfalls zurückgeben. Toscano zeigte sich nach der Abstimmung am 29. Januar „wütend und traurig“. Er hatte den Gedenktag mit Holocaust-Überlebenden in Auschwitz verbracht. Die Bilder von triumphierenden AfD-Abgeordneten hätten ihn entsetzt.
Viele der Überlebenden, mit denen er in Kontakt stünde, seien in großer Sorge. Auch damals, als Adolf Hitler an die Macht gekommen sei, „gab es diese Spielchen und Gelegenheiten“. Die Überlebenden fürchteten, „dass so etwas nochmal passiert“. Den Entschluss, das Bundesverdienstkreuz zurückzugeben, habe er in Absprache mit Weinberg getroffen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat beide zu einem Gespräch eingeladen.
Wie reagieren Jüdinnen und Juden in Deutschland?
Ein großer Teil der jüdischen Community in Deutschland sei wütend darüber, wie es möglich sei, im Anschluss an die Gedenkstunde an den Holocaust im Deutschen Bundestag den Jubel einer in Teilen als gesichert rechtsextrem geltenden Partei zu ermöglichen, sagt Hanna Veiler, Vorsitzende der jüdischen Studierendenunion (JSUD).
Der jüdische Publizist und langjährige Verbandsaktivist Michel Friedmann setzte unmittelbar ein Zeichen: Er trat aus Protest gegen Merz' Vorgehen aus der CDU aus.
Veiler berichtet jedoch auch, dass es in der jüdischen Community sehr viel Diskussion über die deutsche Migrationspolitik gebe, vor allem vor dem Hintergrund von Israel-bezogenem Antisemitismus durch Einwanderer. Dieser müsse mit der Härte des Rechtsstaats und durch Bildungsprogramme bekämpft werden.
Antisemitismus in Deutschland sei zudem längst nicht nur ein Problem migrantischer Communities. Deshalb könne er über eine härtere Migrationspolitik „ganz sicher nicht gelöst werden“, betont Veiler. Dies behaupte die AfD, während sie Antisemitismus für ihre eigene rassistische Agenda instrumentalisiere.
Die jüdische Studierende erinnert auch daran, dass 90 Prozent der Jüdinnen und Juden in Deutschland Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion sind. Viele von ihnen lebten in Deutschland mit befristeten Aufenthaltstiteln. Rassistische Debatten über Migrationspolitik könnten darum früher oder später auch sie treffen. Es sei deshalb wichtig, dass der Rechtsruck „so nicht weitergeht und die AfD auf keinen Fall an die Macht kommt“.
Wo liegen die Gefahren für die deutsche Erinnerungskultur?
Aus Sicht des Historikers Tillmann Bendokowski ist es bei der Abstimmung am 29. Januar und in der Bundestagsdebatte zwei Tage später nicht um eine inhaltliche Auseinandersetzung gegangen, sondern um Agitation. Das „agitatorische Zweckbündnis“ zwischen AfD und CDU werfe die Frage auf, „wie wir eigentlich unsere Gedächtnisarbeit in Zukunft fortsetzen wollen", so Bendokowski.
Man habe Jahrzehnte der Gedächtnispädagogik hinter sich, es gebe hervorragende Mitarbeitende in den Gedenkstätten. Doch bei der Bundestagsdebatte zwei Tage nach der Abstimmung sei versucht worden, die Grenze des Sagbaren zu verschieben und den Raum des Sagbaren zu erweitern. Das sei eine neue Qualität. Er sei lange dagegen gewesen, Parallelen zur Weimarer Republik zu ziehen. Das sehe er nun anders.
Der Historiker zielt damit einerseits auf die „Dramatisierung der Gegenwart“ ab, wie er es nennt, wenn etwa die AfD behauptet, dass „jetzt eine neue Epoche beginnt“. Er sieht auch eine Lust an Disruption bei manchen Politikern auf Bundesebene, eine „Militarisierung des Politischen, die von Friedrich Merz bis in bürgerliche Kreise reicht“.
Darüber hinaus erinnerten aber auch Alltagsphänomene wie Medienschelte, Anti-Intellektualismus, Aberglaube und eine Verschärfung im Ton an das Ende der Weimarer Republik.
Wie geht die CDU mit den Vorwürfen um?
Auf dem CDU-Parteitag am 3. Februar in der Woche nach der Abstimmung versprach Parteichef Friedrich Merz, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben werde, ebenso wenig wie eine Duldung oder Minderheitsregierung mit der AfD. Diese stehe „gegen alles, was unsere Partei und unser Land in den letzten Jahren und Jahrzehnten in Deutschland aufgebaut» habe, sie stehe gegen die Westbindung, den Euro, die Nato.
Der Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner rechtfertige das Vorgehen von CDU-Chef Merz bei der Abstimmung mit Umfragewerten. Im Deutschlandfunk sagte er, dass mittlerweile 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland weniger Flüchtlinge aufnehmen wollten, anders als noch vor zehn Jahren, wo nur 20 Prozent dieser Meinung gewesen seien. Und mehr als 80 Prozent seien über die Flüchtlingsverhältnisse in Deutschland beunruhigt.
Eine repräsentative Umfrage zeigt, dass gut die Hälfte der Deutschen kein Problem damit hat, dass die Union im Bundestag zur Durchsetzung ihrer Vorschläge zur Migrationspolitik eine Mehrheit mit der AfD in Kauf genommen hat, während 38 Prozent diese Meinung nicht teilen. Elf Prozent legten sich auf keine der beiden Antworten fest.
tha