Die Feinde in den eigenen Reihen
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Das Thema der Abgrenzung zu Extremen begleitet Jörg Meuthen seit seinen Anfängen. Der AfD-Chef lässt vieles zu, wenn es ihm gerade gelegen kommt, werfen ihm gemäßigtere, aber auch radikalere Abgeordnete aus der eigenen Partei vor. Wohin führt ihn sein Kurs?
Bad Krozingen, südlich von Freiburg, im Breisgau. Im Kurpark picknicken ältere Frauen, kein Hinweis darauf, dass drinnen in einem holzvertäfelten Saal eine AfD-Veranstaltung stattfindet.
Jörg Meuthen freut sich auf die erste Präsenzveranstaltung seit langem, schüttelt schon wieder Hände, rund 40 Menschen sind gekommen. Ein Heimspiel für den AfD-Vorsitzenden.
"Er wirkt einfach nicht aggressiv. Er ist jemand der die Menschen mitnimmt, und sie nicht ausgrenzt, das finde ich sehr gut", sagt Martina Böswald, die Kreisvorsitzende der AfD Breisgau-Hochschwarzwald. Eine Frau, die den gemäßigten Kräften um Meuthen zugerechnet wird.
Auf dem Teppich vor dem Saal – zufällig – einzelne dicke rote Streifen. Die roten Linien in der Politik, die Abgrenzung zu Extremen – ein Thema, das Jörg Meuthen von Beginn an begleitet.
"Ich würde die Positionen, die ich vertrete, als rechtskonservativ-freiheitlich bezeichnen. Da war ich damals, und da bin ich heute auch. Damals war mir alles Extremistische abhold, und das ist es heute auch. Da hat sich nichts geändert."
"Der Adler wird von den Krähen bekackt"
Auch Silvia Bachmann-Perathoner ist eine Frau der ersten Stunde in der AfD, die es seit 2013 gibt. Meuthen findet sie "großartig" – den rechtsextremen Flügel dagegen: "frech".
"Meiner Meinung nach wäre es besser, die würden ihre eigene Sache machen und uns in Ruhe lassen! Sagen wir mal, es ist so: Der Adler wird von den Krähen bekackt. Und so geht es uns auch."
Im März 2016 war noch nicht klar, wie heftig die "Flügel-Kämpfe" werden würden. Wahlparty der AfD in einem Stuttgarter Hotel. Der Saal verdunkelt und in blaues Licht getaucht. Meuthen und seine Anhänger feiern den Einzug in eines der ersten Parlamente in Deutschland.
"Ich habe im Wahlkampf wieder und wieder versichert, dass Fremdenfeindlichkeit, Hass und Hetze überhaupt kein Thema sind. Wir sind eine weltoffen-patriotische Kraft."
15 Prozent – und das in einem westdeutschen Flächenland. Ein Erfolg, der eng mit dem Spitzenkandidaten Jörg Meuthen verbunden ist. Die AfD wird größte Oppositionsfraktion im Landtag von Baden-Württemberg. Ein Erfolg, der schnell in Gefahr gerät. Meuthen bekommt die Extremisten in der eigenen Fraktion nicht in den Griff.
Holocaust-Leugnung? Das geht Meuthen zu weit
Der Abgeordnete Wolfgang Gedeon fällt mit Schriften voller antisemitischer Muster und Klischees auf, und mit kruden Reden im Landtag. Dass Gedeon meint, man müsse den Holocaust leugnen dürfen, geht Meuthen dann doch zu weit.
"Ich möchte in meiner Fraktion niemand haben, der Holocaust-Leugner wäre. Das geht nicht, das ist eine ganz klar antisemitische Position und das wäre in unseren Reihen nicht tragbar."
Der Streit eskaliert. Es ist Meuthen selbst, gerade noch Vorsitzender der größten Oppositionsfraktion, der mit 13 der 21 Abgeordneten austritt und vorübergehend eine zweite Fraktion bildet, um sich abzugrenzen.
Alle Versuche, die Spaltung zu verhindern scheitern. Mehrere Monate erheben zwei Fraktionen den Anspruch, die AfD im Landtag von Baden-Württemberg zu vertreten. So etwas gab es noch nie.
Die rechtsextremen Kräfte in Meuthens Heimatverband sorgen weiter für Schlagzeilen. Die Abgeordnete Claudia Martin verlässt 2017 Partei und Fraktion, weil sie es nicht mehr aushält, wie sie sagt.
"Wer denkt, dass es Hassprediger nur im Islam gibt, der kennt die Facebook-Seite von Prof. Dr. Meuthen nicht", sagt sie.
"Und was natürlich bei einer rassistischen Partei nicht fehlen darf: Die Feststellung, dass Gas immer noch sehr effektiv in geschlossenen Räumen ist. Und das von ihnen unkommentiert trotz mehrmaliger Hinweise durch Leser."
Hartnäckige Widersacherin Meuthens
Meuthen lässt vieles zu, wenn es ihm gerade gelegen kommt, werfen ihm gemäßigtere, aber auch radikalere Abgeordnete vor. Ende des Jahres 2017 kündigt Meuthen seinen Rückzug an, um als Nachrücker ins Europaparlament zu gehen.
Die Abgeordnete Christina Baum aus Baden-Württemberg bekennt sich offen zum "Flügel", dessen Hauptvertreter Björn Höcke sie auch gerne nach Stuttgart einlädt. Sie vertritt Thesen vom drohenden Bevölkerungsaustausch durch Migration. Baum war immer eine der hartnäckigsten Widersacherinnen Meuthens im Landtag von Baden-Württemberg und darüber hinaus.
"Nach der Trennung, also nach der Spaltung der Fraktion haben wir wieder sehr gut zusammengearbeitet, und ich hatte auch immer das Gefühl, dass er unsere Richtung glaubhaft vertreten kann, das Gefühl habe ich jetzt nicht mehr."
Was Christina Baum und andere vom "Flügel" Meuthen bis heute übelnehmen: Die Rede von Heidenheim. Landesparteitag auf der Schwäbischen Alb, Anfang 2019.
"Die AfD ist nicht die Partei des Systemumsturzes und der Revolution. Wer hier seine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ausleben möchte, dem sagen wir klipp und klar: Sucht Euch ein anderes Spielfeld für Eure Neurosen. In der AfD seid Ihr damit falsch."
Viele sahen darin den Versuch, sich abzugrenzen von den radikalen Kräften in der Partei. Dabei hatte Meuthen vor gar nicht allzu langer Zeit Höcke noch als politischen Freund bezeichnet und mit ihm am Kyffhäuser-Treffen des radikalen Flügel-Umfelds teilgenommen.
Zerschnittenes Tischtuch zwischen Weidel und Meuthen?
Doch dort hat Meuthen massiv an Rückhalt verloren. Und jetzt hat er wieder die Konfrontation gesucht – ob ehrlich oder taktisch, bleibt unklar: Als er im Bundesvorstand den Ausschluss des Höcke-Freundes Kalbitz forderte, nahm Alice Weidel die Gegenposition ein, auch wenn sie formal argumentierte: Weidel hätte eine vorherige rechtliche Prüfung besser gefunden, sagte sie später.
Wenn es um Meuthen und Weidel geht, sprechen viele in der Partei inzwischen davon, dass das Tischtuch zerschnitten sei. Nur: Öffentlich sagen will das niemand.
Meuthen selbst sieht das Verhältnis zu Weidel im Vorstand so: "Gut und pragmatisch. Wir haben gerade am Freitag im Bundesvorstand ein gutes Gespräch gehabt, auch zusammen gelacht und Erfahrungen ausgetauscht. Wir haben einen Dissens in der Causa Kalbitz, aber das ändert nichts daran, dass wir in vielen anderen Dingen einer Meinung sind."
Und Weidel selbst? Der Frage, ob Meuthen noch der richtige Bundesvorsitzende ist, weicht sie aus. "Die Frage müssen Sie Herrn Meuthen stellen, nicht mir. Ich bin Fraktionsvorsitzende."
Viele halten sich derart zurück, nur wenige sprechen sich klar für Meuthen aus. Gut möglich, dass es auf einem der nächsten Parteitage doch auch wieder ums Personal geht. Aber das ist noch nicht ausgemacht – wie so vieles in der AfD.