Punkten mit Abschiebungen
Im niederbayerischen Deggendorf ist die AfD sehr erfolgreich. Bei der Bundestagswahl zog sie hier sogar in einem Wahlbezirk mit mehr als 30 Prozent an dem Platzhirschen CSU vorbei. Was macht die Rechtspopulisten hier so erfolgreich?
Die Stimmenkönigin des westdeutschen AfD-Triumphes ist blond, blauäugig und trägt einen roten Sommermantel mit aufgestelltem Kragen. An einem sonnigen Donnerstagnachmittag sitzt Katrin Ebner-Steiner in einem Straßencafé in der Stadtmitte von Deggendorf und lächelt versonnen in den Tag. Der Frühling ist da, die Leute kommen raus.
Eigentlich ein idealer Moment, zufrieden zu sein. Doch Ebner-Steiner geht es um mehr – ihr geht es um die Zukunft. Und genau darum ist die Bilanzbuchhalterin und Mutter von vier Kindern in der Politik.
Katrin Ebner-Steiner: "Ich habe einfach Sorgen gehabt um die Zukunft meiner Kinder und deswegen engagiere ich mich in der AfD. Wenn ich mir die unkontrollierte Masseneinwanderung ansehe, dann habe ich einfach Angst, dass meine Kinder und auch alle anderen bayerischen Kinder hier die Minderheit darstellen. Und das möchte ich nicht."
Die überforderte Bevölkerung
Gegen Einwanderer war die 39-Jährige nicht immer, sagt sie. Katrin Ebner-Steiner: "Ich komme aus dem Bayerischen Wald, und da waren zum Beispiel Pakistani mal da, die Asylbewerber. Die haben mit uns Fußball gespielt, und so weiter. Da gab es nie ein Problem, weil das einfach nicht viele waren. Die haben sich eigentlich hier ganz gut integriert. Das war kein Problem. Aber jetzt sind es einfach zu viele geworden. Das überfordert die Bevölkerung."
Ihren Erfolg erklärt sich Katrin Ebner-Steiner so: "Ich habe einfach einen sehr bürgernahen Wahlkampf geführt. Ich war hier in Deggendorf über 60 Mal mit Infoständen unterwegs. Und mein Motto war: Katrin Ebner-Steiner hört zu. Ich habe wirklich mit den Menschen gesprochen, habe mir ihre Sorgen, Ängste und Nöte angehört, habe das aufgeschrieben und natürlich jetzt an unsere Abgeordneten geschickt, die Mappe, die ich da erstellt habe. Und ich denke, das ist ganz wichtig. Weil die Leute so eine gewisse Politikverdrossenheit verspüren. Und die sind es gar nicht gewöhnt, dass Politiker mal zuhören..."
Emsige AfD-Politiker mit Infoständen mag es an vielen Orten in Deutschland geben. Doch wie konnte die Partei hier am Rand des Bayerischen Walds so viele Stimmen bekommen? 19 Prozent im Wahlkreis. In einem Wahlbezirk in Deggendorf sogar mehr als 30 Prozent – und damit deutlich mehr als die CSU?
Ein politisch gewordener Minderwertigkeitskomplex
Der langjährige Deggendorfer Journalist und Kenner der Region, Michael Westerholz, versucht zunächst eine ethnologische Deutung:
"Das hängt mit der Mentalität der Niederbayern zusammen, die zum Einen sagt: Mia san mia, und zum Anderen: Was wollt ihr eigentlich von uns? Und drittens: Überhaupt. Die Oberbayern, die Münchner, die neigen halt dazu, die Niederbayern zu den Dummen des Landes zu rechnen. Sie sagen das ja auch – schon allein, wenn der Ausdruck dann fällt: Na ja, es ist halt Niederbayern..."
Gegenüber dem vor Selbstbewusstsein strotzenden Oberbayern ist Nieder-Bayern gewissermaßen wörtlich zu nehmen. Ein politisch gewordener Minderwertigkeitskomplex. Der allerdings sehr wohl seine sozioökonomischen Wurzeln hat.
Michael Westerholz: "Niederbayern ist jetzt eine Aufsteiger-Region. Aber das war es vor 10, 15, 20 Jahren nicht. Und insbesondere in der Zeit der Weimarer Republik zum Beispiel nicht. Es hat hier dermaßen viele Pendler gegeben, es hat hier dermaßen viele Arme gegeben. Und es schien so, als würde sich kein Mensch dafür interessieren. Also haben die jemanden gewählt, der gesagt hat: Ich kümmere mich jetzt um euch. Ich mach jetzt was für euch."
AfD in Deggendorf: Potenzial auf 16 Prozent
Bis heute haben rechte Geister in der Stadt ihren Platz. Ein Republikaner sitzt im Stadtrat. Die NPD Bayern hält in einem Deggendorfer Gasthaus Jahr für Jahr ihren Aschermittwoch ab. Die rechtsradikale Partei III. Weg hetzt hier immer mal wieder mit Flugblättern gegen Geflüchtete und ihre Helfer.
Von diesen Rechtsextremisten distanziert sich AfD-Politikerin Katrin Ebner-Steiner. Auch wenn das im Wahlkampf wohl gar nicht so einfach war.
Katrin Ebner-Steiner: "Na ja, die haben quasi ihre Plakate an meine drangeheftet. Und ich wollte das entfernen. Also, diese NPD-Aufkleber an unseren Plakaten – und dann bin ich von Bürgern fotografiert worden, ja, weil die dachten, ich möchte ein AfD-Plakat zerstören."
Im Bundestagswahlkampf musste Ebner-Steiner noch für eine Parteifreundin kämpfen. Für den Landtag ist der bayerischen Vizeparteivorsitzenden aber wohl schon ein guter Listenplatz sicher, wenn sich der Bundestrend auch auf die Landtagswahlen im kommenden Herbst übertragen lässt. Derzeit liegt die AfD bayernweit bei zehn Prozent, das Potenzial sieht Katrin Ebner-Steiner bei 16 Prozent.
Statt Integration: Transitzentrum
Glaubt man dagegen dem CSU-Landrat Christian Bernreiter, ist das Phänomen AfD schon gegessen:
"Ich bin überzeugt, dass wir viele zurückgewinnen können. Ich habe auch gerade nach der Bundestagswahl mit vielen Menschen gesprochen. Es ist mir auch immer ins Gesicht gesagt worden, dass das eine Denkzettelwahl war. Und wir müssen insgesamt die Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, dann werden wir auch entsprechend wieder die Ergebnisse einfahren können."
Der Landrat hat ein rundes Gesicht, ein mildes Dauerlächeln. Ein echter Kümmerer, der noch dazu Präsident des Bayerischen Landkreistags ist. An ihm, so macht er klar, kann es nicht liegen. Mit knapp 75 Prozent wählten ihn die Landkreisbürger ins Amt. 2015 machte er mit scharfer Kritik an der Asylpolitik von Kanzlerin Angela Merkel von sich reden.
Christian Berneiter: "Bei uns wurde ja die Flucht hautnah miterlebt. Die Autobahn war geschwindigkeitsbeschränkt, weil täglich so und so viele Flüchtlinge gekommen sind. Deggendorf war am Anfang die Drehscheibe. Und darum war bei uns am Anfang eine große Diskussion."
Wie alle Landräte im Grenzgebiet managte Bernreiter die Ankunft – er holte dafür auch die Erstaufnahmeeinrichtung nach Deggendorf. Das kreiden ihm viele AfD-Wähler an. Und doch lobt sich Bernreiter heute für den Deal:
"Man muss ja mal die nackten Zahlen anschauen. Während in dem relativ kleinen Landkreis Regen zurzeit 1.700 bis 1.800 anerkannte Asylbewerber sind – in Deggendorf haben wir Stand heute 651 Flüchtlinge im Transitzentrum mit allen Dependancen. Wir haben keine dezentrale Unterbringung, haben natürlich genauso die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge zu versorgen. Aber wir haben uns damals rausgehandelt, dass wir nur das System Erstaufnahme haben."
Während also andere Landkreise für die anerkannten Geflüchteten tief in die Tasche greifen, um Sprachkurse und Kinderbetreuung zu stemmen, sind die Kosten für Deggendorf geringer. Und laut Bernreiter auch der soziale Stress.
Christian Bernreiter: "Bürgermeisterkollegen sagen jetzt im Nachhinein, natürlich, das war eine goldrichtige Entscheidung, weil wir viele Probleme, die jetzt im Nachgang im Land mit der Integration zwangsläufig vorhanden sind, eigentlich nur, ja, rudimentär kennen."
Erstaufnahme mit geringer Bleibeperspektive
Erstaufnahme – das klingt nach Durchgangsverkehr, um den man sich nicht groß kümmern muss: 2015 war das noch so. Doch inzwischen heißt der große, blitzsauber sanierte Wohnkomplex am Deggendorfer Bahnhof offiziell Bayerisches Transitzentrum. Und das bedeutet: Erstaufnahme zur Abschiebung.
Nach Deggendorf kommen mittlerweile nur noch Asylbewerber aus Sierra Leone und Aserbaidschan. Ihre Bleibeperspektiven sind sehr gering. Und der Frust ist groß. Ibrahim Touré lebt seit acht Monaten in der Unterkunft. Ernst hockt er in einem Bushäuschen.
Ibrahim Touré: "Die Situation im Lager ist sehr schwierig, meine Familie und ich können nicht mehr schlafen. Sogar das Schließen der Tür ist ein Problem, weil wir fürchten, dass die Polizei uns um Mitternacht abholt und uns nach Italien abschiebt – wovor die Kinder und ich sehr viel Angst haben."
Im Dezember 2017, kurz vor Weihnachten, demonstrierten die Geflüchteten in der Innenstadt. Friedlich, aber laut genug, um der AfD in ihrer Ablehnung recht zu geben. Und offensichtlich nicht nur der AfD...
Christian Bernreiter: "Also ich und viele Mitbürger verstehen nicht, warum man hier am Deggendorfer Christkindlmarkt eine Flüchtlingsdemonstration organisiert, weil die Unterbringung und das Essen schlecht ist."
Auch die AfD ist der Meinung, es sei um Missstände in der Unterkunft gegangen. Darauf angesprochen schüttelt Touré bestimmt den Kopf.
Ibrahim Touré: "Nein, wir haben nie für Essen oder bessere Unterbringung demonstriert. Essem ist nicht unser Problem. Unser Problem ist: Wir wollen uns in die deutsche Gesellschaft integrieren – und wollen versuchen, Deutschland zu einer Super-Weltmacht zu machen wie Amerika, oder noch größer. Das ist unser Ziel für Deutschland."
Doch das Transitzentrum, gut bewacht von Security-Männern, es wirkt wie eine Mauer zwischen ihnen und den Deggendorfern. Hartnäckig hält sich die Legende von den undankbaren Afrikanern. Und manch anderes:
"Die wollen ja mal einen Führerschein, die wollen ein Auto. Wer soll das alles finanzieren?"
"Ich denke da eher an die älteren Leute, die vielleicht auch Hilfe bräuchten und von Deutschland wenig Hilfe erwarten. Und das ist meine Meinung, und die darf ich sagen."
"Ich denke da eher an die älteren Leute, die vielleicht auch Hilfe bräuchten und von Deutschland wenig Hilfe erwarten. Und das ist meine Meinung, und die darf ich sagen."
Erfahrungsaustausch neuer und alter Flüchtlinge
Im Viertel St. Martin, rund um das Deggendorfer Transitzentrum, hat am 24. Oktober jeder Dritte sein Kreuz für die AfD gemacht – und damit gegen die Neuankömmlinge, von denen die meisten im Transitzentrum auf ihre Abschiebung warten.
Dabei waren viele, die hier wohnen, selbst mal neu in Deggendorf. Um daran zu erinnern, ruft die katholische Gemeinde St. Martin an einem Abend zum Erfahrungsaustausch. Verschiedene Generationen von Zuwanderern sollen hier ihre Geschichte erzählen.
Darunter auch Altoberbürgermeister Dieter Görlitz:
"Ich bin in Deggendorf polizeilich am 1. März 1945 gemeldet. Ich komme aus Niederschlesien, ich komme aus dem Landkreis Glogau...."
Der einst einflussreicher Landtagskandidat der CSU ist ein 80 Jahre alter eleganter Herr mit offenem Hemdkragen. Selbst Ex-Flüchtling mit Vertriebenenhintergrund, sitzt Görlitz auf einem Podium mit anderen Nicht-Ur-Deggendorfern, die hier mehr oder weniger erfolgreich Fuß fassten: Iraker, Russen und eine Koreanerin.
Görlitz erzählt von seiner Flucht im Kohlenwaggon. Bald wird klar: Viele Gemeinsamkeiten mit seiner Fluchtgeschichte und derjenigen der Afrikaner sieht er nicht.
Dieter Görlitz: "Wir haben den Bürgersteig freigehalten, damit die alten Leute vorbei können. Heute ist es manchmal schwierig, wenn Sie durch die Stadt gehen, wenn Sie Gruppen sehen: zwei, drei. Die gehen nicht weg, wenn eine Mutter mit Kinderwagen kommt. Die muss um diese Leute herumfahren. Ich halte das für nicht richtig. So kann man sich nicht von Anfang an integrieren...."
Die Ratschläge, sofern sie als solche gemeint sind, kommen nicht an bei den Bewohnern des Transitzentrums. Sie wurden vorsichtshalber gar nicht eingeladen. Man wolle eine Eskalation vermeiden, heißt es – mit Verweis auf die lautstarke Demo im Winter.
Russlanddeutsche und die AfD
Mitvertreten sind auch zwei russlanddeutsche Frauen. Die Gruppe stellt mit geschätzten 3.000 Einwohnern ein Zehntel der Bevölkerung Deggendorfs. Gerade rund um die Unterkunft wohnen viele von ihnen. Haben sie die AfD-Zahlen nach oben getrieben? Elena Roth, 48 Jahre alt, blond, dicke Perlenketten an den Handgelenken, glaubt das nicht.
Elena Roth: "Unsere Leute gehen einfach sehr selten wählen, da sie dem System nicht vertrauen."
Das mag für die vergangenen Wahlen auch stimmen, bei denen Deggendorf besonders niedrige Wahlbeteiligungen aufwies. Doch auch hier gingen 2017 deutlich mehr Menschen zur Wahl. Ein Zusammenhang zwischen Russlanddeutschen und dem AfD-Erfolg ist damit nicht ausgeschlossen.
Elena Roth leugnet nicht, dass manche aus ihrer Gemeinde auch rechtsradikalen Ideologien nachhängen. Sie arbeitet dagegen an. Schließlich kennt sie als Deutschlehrerin von Geflüchteten deren Situation ganz genau.
Elena Roth: "Ich musste zum Beispiel eine relativ radikale Familie, die bei uns in der Umgebung wohnt, die musste ich aufklären. Die haben an alles geglaubt, was die da irgendwo gehört, gelesen und mitgekriegt haben. Und die haben mir solche blöden Sachen erzählt, von wegen Geldern, die da in die Hand gedrückt werden, oder solche Vorurteile, typische Vorurteile."
Die Vorurteile dürften in der russlanddeutschen Gemeinde eigentlich bekannt sein, sagt Elena Roth:
"Für mich ist das die gleiche Situation, bloß von der anderen Seite. Die Angst, die jetzt manche haben, ist dieselbe Angst, die auch gegenüber Russland-Deutschen damals gekommen ist."
Mit einem interkulturellen Verein will sie mit anderen engagierten Russlanddeutschen die eigene Migrationserfahrung nutzen und vermitteln. Für mehr Verständnis für die Geflüchteten – und gegen Gerüchte von Rechts.
Skandalöse Abschiebungen
Samstagnachmittag auf dem Deggendorfer Stadtplatz. Rund 70 Geflüchtete stehen im Halbkreis und beten für den verstorbenen Lamine. Der Mann aus Sierra Leone wurde im Spätsommer 2017 nach Italien abgeschoben, obwohl bekannt war, dass der 20-Jährige an einer schweren Hepatitis litt. Er schaffte es zurück nach Deutschland – und verstarb kurz darauf in einem Passauer Krankenhaus. Einen erneuten Abschiebeversuch kurz vor dem Tod hatten Ärzte verhindern können.
Für Asylhelfer deutschlandweit ist der Fall ein Skandal. Viele Deggendorfer dagegen gehen unbekümmert weiter. Für den Geschäftsführer des kirchlichen Asylhelfer-Vereins, Matteo Stephan Reichel, ist dieses Verhalten eine Folge der neuen bayerischen Linie:
"Die ganze Problematik der Transitzentren ist eigentlich unverständlich, weil es gerade Bayern drei Jahre lang richtig gemacht hat. Sie haben die Menschen nach einer kurzen Erstaufnahme verteilt über die Dörfer und Städte im ganzen Land. Das hat hervorragend funktioniert, weil überall Helferstrukturen entstanden sind, auch kirchliche. Da hat alles funktioniert, die medizinische Versorgung, die Integration. Sie werden das sehen. Die Leute, die dezentral untergebracht waren, zumindest die meisten. Jetzt plötzlich dreht man das ganze um und fängt an, das zu zentralisieren mit allen Problemen, die das hat."
Tagtägliches Leid im Transitzentrum
Weder die Geflüchteten noch die Einheimischen könnten sich so einander annähern. In Deggendorf sei das Transitzentrum ein blinder Fleck. Deutschlehrerin Nermin Jenetzke sagt:
"Ich glaube, dass niemand weiß, was in dem Camp los ist."
Sie ist eine der wenigen, die überhaupt hineindürfen. Nermin Jenetzke:
"Ich erlebe leider tagtäglich dort Leid, persönliche Schicksalsschläge, über Trennungen von Mann und Frau, über Krankheiten. Selbst in der Klasse habe ich erlebt, wie ein Mädchen umgefallen ist. Das versetzt mich natürlich ein bisschen in Panik."
Doch all diese Zustände und Erfahrungen, sie bleiben verborgen hinter Bauzäunen und Security-Kontrollen. Und so regiert auch weiterhin das Misstrauen auf den Straßen des kleinen Städtchens – die Geflüchteten fühlen sich ignoriert in ihrer Trauer – und dieser Deggendorfer sieht vor allem die Ruhe gefährdet:
"Es ist schlimm, es reicht einmal in der Zeitung. Und das muss nicht eine Demonstration sein, das muss nicht drei-, viermal in der Zeitung stehen. Einmal reicht. Fertig."