AfD im Bundestag

"Keine Gefahr, sondern eher eine Chance"

Alexander Gauland, Spitzenkandidat der Partei Alternative für Deutschland (AfD) und Alice Weidel, Spitzenkandidat der Partei Alternative für Deutschland (AfD), jubeln am 24.09.2017 auf der Wahlparty ihrer Partei in Berlin.
Alexander Gauland und Alice Weidel, Spitzenkandidaten der AfD, am 24.09.2017 auf der Wahlparty ihrer Partei in Berlin. © picture-Alliance / dpa / Julain Stratenschulte
Wolfgang Merkel im Gespräch mit Dieter Kassel · 25.09.2017
Die AfD lässt die Fünf-Prozent-Hürde weit hinter sich und zieht erstmals in den Bundestag ein. Ist deshalb die Demokratie gefährdet? Nein, sagt Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel. Die Auseinandersetzung mit der AfD sei sogar eine Chance für die etablierten Parteien.
Dieter Kassel: Wie wird es bald zugehen im Deutschen Bundestag, wenn dort knapp 100 Abgeordnete der AfD sitzen? Das ist ja keine reine Spekulation, die Antwort auf diese Frage, Abgeordnete dieser Partei sitzen ja schon in 13 Landtagen, und unter anderem dort, aber auch bei parteiinternen Veranstaltungen waren in den letzten Wochen Äußerungen wie diese hier von prominenten Vertretern der AfD zu hören:
Alexander Gauland:
Sagt ihr, was spezifisch deutsche Kultur ist, danach kommt sie hier nie wieder her und wir werden sie dann auch Gott sei Dank in Anatolien entsorgen können!
Björn Höcke:
Wir Deutschen – und ich rede jetzt nicht von euch Patrioten, die sich hier heute versammelt haben –, wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat!
Beatrix von Storch:
Die einzige Person, die Menschen an Grenzen erschießen lässt, ist Frau Merkel.
André Poggenburg:
Linksextreme Lumpen sollen und müssen von deutschen Hochschulen verbannt und statt einem Studiumsplatz lieber praktischer Arbeit zugeführt werden!
Dieter Kassel: Das waren Äußerungen der AfD-Politiker Alexander Gauland, Bernd Höcke (gemeint ist Björn Höcke/ Anmerkung der Redaktion) Beatrix von Storch und André Poggenburg. Den Letztgenannten hörten wir mit einem Ausschnitt einer Äußerung vor dem Landtag in Sachsen-Anhalt. Werden bald auch im Bundestag solche Reden zu hören sein? Denn zwei der gerade Gehörten, Gauland und von Storch, ziehen ja als Abgeordnete dort nun bald ein. Fragen dazu jetzt an Wolfgang Merkel, Professor für Vergleichende Politikwissenschaft und Demokratieforschung an der Berliner Humboldt-Universität und Direktor der Abteilung Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin. Herr Merkel, schönen guten Morgen!
Wolfgang Merkel: Guten Morgen, Herr Kassel!
Dieter Kassel: Wird bei Reden im Deutschen Bundestag künftig stets darauf zu achten sein, ob alles was gesagt wird, auch vereinbar ist mit der Verfassung?
Wolfgang Merkel: Natürlich wird darauf geachtet werden und das ist auch Teil des parlamentarischen Streits. Diese Äußerungen, die wir gerade gehört haben von Gauland, Höcke und Co sind sicherlich ganz schwer erträglich. Das völkische Element dringt nur so durch. Aber, sage ich dazu, wir sollten deshalb nicht in politische Panik verfallen. Das ist eine Partei, die hat 12,6 Prozent der Stimmen gewonnen und wird im Parlament geschnitten werden und stark kritisiert – von allen Parteien.

"Diese Partei ist schwer erträglich"

Dieter Kassel: Das heißt, eine solche Zäsur, eine Zeitenwende, ein Ende der Demokratie, wie wir sie bisher kannten, das sehen Sie in diesem Ausmaß nicht?
Wolfgang Merkel: Das ist völlig abstrus von einem Ende zu sprechen. Ich sehe nicht einmal eine substanzielle Gefahr. Noch einmal ganz klar, diese Partei ist schwer erträglich, ihre Aussagen noch schwerer. Aber wir müssen die Kirche im Dorf lassen. Wir haben in Westeuropa in nahezu allen Ländern rechtspopulistische Parteien, die keineswegs appetitlicher sind und die zum größten Teil deutlich stärker sich an den Wahlurnen präsentieren können.
Dieter Kassel: Da meinen Sie sicherlich neben anderen Ländern, wie Frankreich, Österreich, Ungarn, auch die Niederlande, mit der Geert Wilders Partei.
Wolfgang Merkel: Sogar die Schweiz und Dänemark.
Dieter Kassel: Natürlich!
Wolfgang Merkel: Also die besten Demokratien.
Dieter Kassel: Oder Schweden auch. Wobei bei Schweden und Dänemark bin ich mir persönlich nicht sicher, aber bei den anderen Ländern, die wir beide schon erwähnt haben, sind das rechte Parteien, bei denen man doch den Eindruck haben muss, die sind gekommen, um zu bleiben. Bei der AfD sagen ja manche, die werden sich in der Bundestagsfraktion ganz, ganz schnell zerlegen. Rechnen Sie damit auch?

"Nicht in furchtsame Panik verfallen"

Wolfgang Merkel: Nein, damit rechne ich nicht, Das ist wiederum überoptimistisch. Es gibt bestimmte Punkte, die sie aufgreifen, wie etwa die nicht geklärte Fragen: Wie wir in der Zukunft mit Flüchtlingen umgehen; wie wir mit Asylsuchenden umgehen; wie wir uns zu Europa positionieren. Da werden wir doch einen deutlichen Teil in der Bevölkerung haben, die mit den etablierten Lösungsvorschlägen nicht zufrieden sind. Also ich rechne eher damit, dass diese Partei im Bundestag auch vertreten sein wird, in der nächsten Legislatur. Aber noch einmal wir haben eine starke Gruppe von etablierten demokratischen Parteien. Da sollten wir jetzt nicht in furchtsame Panik verfallen.
Dieter Kassel: Nun sind wir natürlich wieder bei den Themen – oder dem Thema – das das große Thema der AfD ist. Aber wir hätten theoretisch auch andere Äußerungen von AfD-Politikern zusammenstellen können vor diesem Gespräch, das wir gerade führen, die vielleicht viel aufschlussreicher sind. Immer wieder haben AfD-Politiker auf Fragen, die andere Politikfelder betreffen ganz offen gesagt: Da haben wir noch keine Meinung zu, da haben wir kein Konzept. Rente zum Beispiel. Aber es gibt auch noch andere. Wäre es nicht sinnvoll, sich im Bundestag gerade darüber zu unterhalten? Und wirklich zu zeigen, das ist eine Partei, die hat nicht nur keine besseren Ideen als die anderen Parteien, sie hat eigentlich gar keine in vielen Bereichen.

"Warum nicht auf einen politischen Streit einlassen?"

Wolfgang Merkel: Sie wird mit Sicherheit keine besseren Ideen haben, in vielen Bereichen schlechtere. Aber gar keine Ideen? Das wird sich rasch ändern. Das ist eine Kinderkrankheit von ganz jungen Parteien, dass sie noch kein ausdifferenziertes politisches Programm haben. Das hatten die Grünen zu Beginn der 80er Jahre auch nicht. Das wird sich ändern. Man wird die AfD aber an der Substanz ihrer Politik fassen müssen, dort kritisieren müssen, bessere demokratische Vorschläge machen aber nicht jetzt glauben, die verschwinden, die sind nur Dilettanten, die werden sich zerlegen. Darauf ist nicht zu hoffen. Warum sollten wir uns nicht auf diesen politischen Streit einlassen? Und ich finde, dass wir das sollten. Denn die Erfolge der AfD sind auch damit verbunden, dass die etablierten Parteien zu leicht, ganz prekäre und problematische Themen ausgeklammert haben.
Dieter Kassel: Glauben Sie, dass wird sich einmal auch ganz jenseits der AfD jetzt ändern im Bundestag? Wir werden wahrscheinlich eine SPD als größte Oppositionspartei bekommen, wahrscheinlich ein Jamaika-Bündnis. Wie gesagt, mal jenseits der AfD die Stimmung im Bundestag, wird sich die Debattenkultur im Bundestag verändern?

"Das hält eine gute Demokratie wie die unsrige aus"

Wolfgang Merkel: Ich glaube schon, dass sie intensiviert werden wird, dass Sie vielleicht auch polemischer werden wird, aber auch das hält eine gute Demokratie wie die unsrige aus. Also das ist eher eine Belebung der parlamentarischen Debatte. Und wir haben so lange über die Politikverdrossenheit in diesem Land gejammert. Zu lange – wie es manche despektierlich genannt haben – eine Konsenssoße in großen Fragen gesehen. Warum jetzt nicht schärfer debattieren? Also ich sehe da keine Gefahr, sondern eher eine Chance, die die etablierten demokratischen Parteien nutzen sollten.
Dieter Kassel: Der Demokratieforscher und Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel über den Einzug jetzt bald in den deutschen Bundestag und die Folgen, die er haben wird und haben sollte. Was auch den Umgang mit der AfD angeht. Herr Merkel, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch.
Wolfgang Merkel: Ich danke Ihnen auch. Schönen Tag noch!
Dieter Kassel: Wünsche ich Ihnen auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. DLFKultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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