AfD und Judentum

"Ein einseitig instrumentelles Verhältnis zum Antisemitismus"

Der AfD-Politiker Björn Höcke
Der AfD-Politiker Björn Höcke © imago / Jacob Schröter
Von Igal Avidan |
Wie steht die AfD zum Judentum? Von einer entschiedenen Gegnerschaft zum Antisemitismus bis hin zu demonstrativen Solidaritätsbekundungen mit Israel ist einiges vorhanden. In den jüdischen Gemeinden herrscht jedoch Unbehagen angesichts der nationalistischen Sprüche eines Björn Höcke.
Ein Davidstern und ein Thorabuch schmückten Anfang April einen Post der AfD als Reaktion auf antisemitische Attacken auf einen 14-jährigen jüdischen Schüler in Berlin durch arabisch- und türkischstämmige Klassenkameraden. Auf Facebook verkündete die Alternative für Deutschland:
"Wir stehen als AfD an der Seite der jüdischen Gemeinde in Deutschland".
Diese Sympathie für Juden und für Israel ist für Robert Lambrou, Mitglied der AfD im Wiesbadener Stadtparlament, selbstverständlich:
"Ich würde mir einen engen Kontakt der AfD zur jüdischen Gemeinde und zu Israel wünschen… Und ich bin mir relativ sicher, dass das, was Frauke Petry gesagt hat, dass die AfD ein Garant für jüdisches Leben in Deutschland ist, dass die absolute Mehrheit der Mitglieder hinter einem solchen Satz steht."
Petrys Ehemann Markus Pretzell, AfD-Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen, sagte in einer Rede in Koblenz im Januar:
"Israel ist unsere Zukunft, meine Damen und Herren, in der Form, wie man mit dem Islam umgeht! Wer den politischen Islam, wer den Islamischen Staat wirklich bekämpfen will, der sollte Israel unterstützen."

Relativierung der Shoah

In der Regel freuen sich Juden in Deutschland über Sympathiebekundungen für Israel. Aber die gleichen Juden ärgern sich über antisemitische Äußerungen oder die Relativierung der Shoah. Zum Beispiel Juri Goldstein, stellvertretender Vorsitzender der jüdischen Landesgemeinde Thüringen.
Stefan Schröder, ein Mitarbeiter der AfD-Landtagsfraktion in Thüringen, stimmte auf Facebook dem Vergleich zwischen der Bombardierung von Dresden und dem Holocaust zu. Juri Goldstein verlangte Schröders Entlassung und wollte wissen, wie die Thüringer AfD zu dieser Gleichsetzung steht.
Der Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion, Stefan Möller, der in seiner Antwort die Judenvernichtung mit der Bombardierung von Dresden verglich, lehnte Schröders Entlassung ab, versicherte jedoch:
"Wir, die AfD, haben ein entspanntes und auch praxiserprobtes Verhältnis zu unseren jüdischen Mitbürgern und Israel."
Zum Glück erhielt der jüdische Funktionär Juri Goldstein auch ermutigende Antworten von Politikern der "Alternative für Deutschland":
"Ich habe auf diesen Korrespondenzwechsel mit Thüringen drei Zuschriften bekommen von anderen AfD-Funktionären aus anderen Bundesländern, die mir sehr wohl gesagt haben: ‚Wir hätten auf Ihre Anfrage ganz klare Antworten gefunden und es tut uns leid, dass es so läuft.‘."

Solidaritätsbekundungen wecken keine Freude

Einer dieser AfD-Funktionäre war Robert Lambrou aus Wiesbaden. Aber bevor Juri Goldstein sich darauf freuen konnte, hielt am 17. Januar* Björn Höcke, Landesvorsitzender der AfD Thüringen, seine "Dresdner Rede" – kurz nach dem gescheiterten NPD-Verbot.
"Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat."
In seiner Rede kritisierte Björn Höcke, dass man in den Schulen nicht die positive Geschichte Deutschlands unterrichtet. Stattdessen werde die deutsche Geschichte nur mies und lächerlich gemacht:
"Und diese dämliche Bewältigungspolitik, die lähmt uns heute noch viel mehr als zu Franz Josef Strauß' Zeiten. Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad."
Juri Goldstein verstand Höckes Äußerung folgendermaßen:
"Für mich war das nicht nur tief antisemitisch, sondern auch null Bewusstsein zum Problem. Man versucht dadurch die unangenehmen Teile der deutschen Geschichte auszuradieren und nur das Positive nach Hause zu tragen. Man versucht zu sagen, dass es entweder alles nicht war oder jetzt reicht es, jetzt muss man nach vorne gucken. Nimm es am besten aus den Geschichtsbüchern raus."

"Die Shoah ist mit nichts zu vergleichen"

Ist die Judenvernichtung eine Schande oder das Holocaust-Mahnmal? Und bedeutet eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad, dass nun die Shoah aus dem Schulunterricht verbannt und den Gedenkstätten die Fördergelder gekürzt werden? Vielleicht sogar die Entschädigung der letzten Überlebenden der Massenvernichtung? Leider war Björn Höcke nicht bereit, über solche Fragen zu sprechen. Ganz anders sein Parteikollege Robert Lambrou:
"Die Shoah ist mit nichts anderem zu vergleichen. Punkt. Ich denke, dass man sich schon fragen muss, wie viele Menschen ermordet werden müssen, bis man ein Mahnmal in der Hauptstadt an einem zentralen Platz aushält. Ich selber sage ganz klar: Ich bin mit diesem Mahnmal sehr zufrieden und ich halte es für absolut angemessen."
Der hessische AfD-Politiker Robert Lambrou will in der AfD die Probleme der Gegenwart lösen. Daher sind ihm Parteifreunde wie Höcke lästig, auch wenn er ihn nicht namentlich erwähnt:
"Ich glaube nicht, dass das Thema der Alternative für Deutschland die Jahre 1933 bis 1945 sind. Wenn Leute meinen, dass sie diese zwölf Jahre immer wieder thematisieren müssen, dann bringen sie aus der Sicht der Leute, die ich in Hessen kenne, sehr viel Unruhe in die Partei rein, weil es gar nicht unsere Themen sind. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum bestimmte Leute sich immer wieder um diese Zeit mit beschäftigen müssen."
Der Umgang der Deutschen mit der Nazi-Vergangenheit gehört zum Alltag der Historikerin Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU-Berlin. Wetzel erinnert, dass einige demokratische Länder sich ihrer dunklen Vergangenheit durch Mahnmale oder Museen stellen, zum Beispiel der Sklaverei in den USA, der Kollaboration mit den Nazis in den Niederlanden und der Ermordung der Deutschen in Serbien am Ende des Zweiten Weltkriegs:
"Und ich glaube auch nicht, wenn man sich mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust auseinandersetzt, dass das sozusagen die Entwicklung von Kindern, Jugendlichen beeinträchtigt, kein positives Gefühl für das eigene Land zu entwickeln. Ich glaube, es ist eher kontraproduktiv, wenn man ständig über irgendwelche Leitkulturen spricht."

Will die AfD nur Stimmung gegen Muslime erzeugen?

Nun zur deutschen Gegenwart. Antisemitismus bereitet Juden und Nichtjuden in Deutschland Sorgen. Auch die AfD warnt vor Antisemitismus.
Hat die AfD ein ehrliches Interesse an Übergriffen auf Juden oder werden diese nur instrumentalisiert, um Stimmung gegen Muslime zu erzeugen?
Antisemitismus-Experte Gideon Botsch erinnert, dass alle Parteien im Bundestag auf das Problem des Judenhasses unter Muslimen in Deutschland hinweisen, das dies auch im Antisemitismusbericht thematisiert wird.
"Es zeigt aber, dass die AfD ein einseitig instrumentelles Verhältnis zum Antisemitismus hat, der für die AfD immer nur dann wichtig wird, wenn er sich mobilisieren lässt gegen andere Minderheiten, insbesondere gegen muslimische Communities in Deutschland und gegen Flüchtlinge. Andere Facetten des Antisemitismus thematisiert die AfD nicht."
Zum Beispiel der Judenhass aus dem geistigen Umfeld mancher AfD-Politiker: laut Verfassungsschutzberichten wurden seit 2001 über 90 Prozent der antisemitischen Straf-und Gewalttaten von Rechtsextremisten verübt.
Matthias Quent, Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena, erklärt den Erfolg der AfD in Thüringen mit den starken anti-muslimischen Vorurteilen in der Bevölkerung.
"Rechtspopulisten inszenieren sich als Beschützer der Frauen, Beschützer von Juden, wenn das in der Konstruktion ihrer Feindbilder passt. Was da tatsächlich inhaltlich dahinter steht, wie ernst sie das meinen, sollte man sehr stark in Frage stellen, denn es geht immer um diese Inszenierung eines Opferstatus.
Wenn ich mich als Beschützer als einen angeblich bedrohten zum Beispiel einer deutschen Leitkultur, des Abendlandes… inszeniere, dann bin ich nicht mehr in der Rolle des Angreifers und meine Aggressionen werden nicht mehr als solche in Erscheinung treten, sondern erscheinen eher als legitim, als eine Handlung von Verteidigung."

Einigen ist der Kampf gegen Antisemtismus ein Anliegen

Der AfD-Wirtschaftspolitiker Robert Lambrou wuchs als Sohn eines Griechen in Bielefeld auf und war der einzige Ausländer in seiner Schulklasse. Seine Sensibilität für Antisemitismus entwickelte er in Folge der anti-israelischen Demonstrationen während des Gazakriegs:
"Und ich habe dann 2014 völlig fassungslos gesehen, dass bei Demonstrationen in über 20 deutschen Städten über 100.000 Leute auf die Straße gegangen sind, fast überwiegend Moslems, IS-Flaggen in die Höhe gehalten haben und dass da, auch nicht nur vereinzelt, Rufe zu hören waren: ‚Alle Juden ins Gas‘… Ich bin 49 Jahre alt, ich bin noch aus einer Generation, die es gelernt hat, dass Deutschland eine besondere Verantwortung hat für Juden und für Israel aufgrund unserer Geschichte."
Um ein klares Zeichen gegen die Hamas-Demonstranten zu setzen, besuchte Robert Lambrou einige Wochen später eine Solidaritätskundgebung für Israel in Frankfurt.
Judenhass findet man nicht nur unter aufgebrachten Hamas-Anhängern, sondern in den Facebook-Posts des hessischen AfD-Mitglieds Gottfried Klasen, die im Juli 2016 publik wurden. Darin schrieb er zum Beispiel:
"Der Zentralrat der Juden hat die politische Meinungsbildungshoheit sowie die politische Kontrolle über Deutschland. Der Zentralrat infiltriert alle Parteien, auch die AfD, um diese Kontrolle nicht zu verlieren. Das Judentum ist eine steinzeitliche Religion. Terroristen des ‚Islamischen Staats‘ werden von Israel gesteuert."
Zugleich rief der AfD-Mann Gottfried Klasen zu einer Demonstration von Holocaustleugnern auf und lobte Björn Höckes umstrittene Dresdner Rede zur deutschen Erinnerungskultur. Dennoch durfte Klasen als Delegierter am AfD-Bundesparteitag in Köln teilnehmen. Erst als Reaktion auf die große Empörung darüber leitete die AfD endlich ein Parteiausschlussverfahren gegen das antisemitische Mitglied ein, das am 14. Mai seinen Austritt aus der AfD erklärte, wie mich Robert Lambrou informiert.
Solidarität mit Israel und einen lange geduldeten Antisemiten – wie geht das zusammen? Der israelische Botschafter in Deutschland Yakov Hadas-Handelsman:
"Eine Partei, wo es solche Aussagen gibt, oder Leute mit antisemitischen Meinungen eine Rolle spielen, ist nicht ein Partner für uns. Das ist sehr klar. Solange ihre Haltung vis-à-vis Israel nicht ganz geklärt ist, dann haben wir unsere Zweifel.
Man kann zehnmal sagen über Israel positive Dinge und dann kommt jemand und sagt, dass die Juden die Welt immer noch beherrschen – das geht nicht zusammen."

Demonstrativer Schulterschluss mit Netanjahu

So demonstriert AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry Solidarität mit Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, der Außenminister Sigmar Gabriel auslud, weil dieser sich mit israelischen Organisationen getroffen hatte, die die Menschenrechtsverletzungen in den palästinensischen Gebieten kritisieren. Petry schrieb:
"Die Absicht Sigmar Gabriels, sich mit diesen Organisationen zu treffen, ist ein absolutes NoGo. Ich begrüße das ausdrücklich, dass Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seine Ankündigung in die Tat umgesetzt hat, ihn auszuladen."
Der Antisemitismus-Experte Gideon Botsch:
"Dagegen finden wir in der AfD so auf allen Ebenen Hinweise von überdurchschnittlich hohen Affinitäten zum Antisemitismus. Und die AfD leistet sich als einzige Partei, die in Parlamenten nennenswert vertreten ist…, Abgeordnete, die offen anti-jüdische Positionen mobilisieren, wie etwa den Abgeordneten Gedeon in Baden-Württemberg."
Frauke Petry wollte den antisemitischen Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon, der die "Protokolle der Weisen von Zion" für echt hält, aus der AfD ausschließen. Nur gelang ihr das bisher nicht. Mehr noch: Gedeon durfte als Delegierter am Bundesparteitag der AfD in Köln teilnehmen.
Nun hatten auch andere Parteien in der Vergangenheit Probleme mit antisemitischen Äußerungen von Politikern. Im neuen Antisemitismusbericht findet man zum Beispiel den Namen des CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann, der daraufhin aus der CDU ausgeschlossen wurde. Seit 2016 ist Hohmann AfD-Mitglied.
Der unabhängige Expertenkreis, der den Bericht verfasste, hatte an die großen Parteien den gleichen Fragenkatalog verschickt. Die Experten fragten nach antisemitischen Vorkommnissen innerhalb der eigenen Partei oder dem Engagement gegen Antisemitismus.
Die Historikerin Juliane Wetzel hat das Kapitel zu Parteien und Antisemitismus im Bericht mitverfasst:
"Die AfD war die einzige Partei, die auf unser Anschreiben, was an Herrn Meuthen und Frau Petry ging, nicht geantwortet hat. Sie haben nicht einmal den Eingang dieses Schreibens quittiert, sondern sie haben gar nicht reagiert und haben uns natürlich auch die Fragen nicht beantwortet… Ich denke, weil sie sich der Frage nicht stellen wollen."
Trotzdem findet die AfD Anklang bei manchen Juden, weil die Partei regelmäßig vor dem muslimischen Antisemitismus warnt. Daher spielen auch jüdische AfD-Mitglieder den Antisemitismus in der eigenen Partei herunter und meinen, den gibt es in jeder Partei.

Die AfD sucht den Kontakt zu jüdischen Gemeinden

Juri Goldstein aus der jüdischen Gemeinde in Thüringen fühlt sich unwohl, wenn pro-palästinensische Demonstranten skandieren "Kindermörder Israel" oder Juden als Schweine beschimpfen. Aber den Schutz der AfD lehnt er ab:
"Ich sage mir immer, wer heute gegen Muslime hetzt, hetzt morgen gegen Juden. Das ist so ein Standardsatz, den ich immer parat habe, weil ich tatsächlich denke, dass es so wäre – bei der AfD."
In Erfurt sucht die AfD immer wieder Kontakt zur jüdischen Gemeinde, bisher vergeblich. Ein interreligiöser Dialog stattdessen besteht zur kleinen muslimische Ahmadiyya-Gemeinde. Nach jahrelanger Suche fanden die Muslime endlich ein Grundstück für ihre künftige Moschee. Unterstützung erhielten sie auch von der jüdischen Gemeinde, den Kirchen und fast allen Parteien. Allein die AfD startete eine massive Kampagne gegen den Moscheebau.
Weil sie dennoch den Dialog suchen, kamen Reporter des muslimischen Gemeinde-Senders zur Pressekonferenz der AfD in Erfurt, berichtet der Gemeindesprecher in Thüringen Suleman Malik:
"Zuerst hat die AfD nicht (damit) erwartet, dass wir zu dieser Pressekonferenz kommen. Als sie dann erfahren haben, wurde versucht uns nicht reinzulassen, also wir haben dann dort ein bisschen diskutiert. Wir wurden doch reingelassen."
Anschließend gab Björn Höcke ausgerechnet dem muslimischen TV-Sender ein kurzes Interview:
Höcke: "Ich hörte zum Beispiel davon, dass Sie getrennte Gebetsräume haben. Das sind alles Dinge, die wollen wir in Deutschland nicht. Das ist für uns nicht akzeptabel."
Reporter: "Bei Juden gibt es auch die Geschlechtertrennung in den Synagogen."
Höcke: "Ja. Wir haben noch im Judentum tatsächlich noch diese Relikte, aber trotzdem müssen wir konstatieren, dass das Judentum seit dem Mittelalter, fast schon seit 1000 Jahren im Mitteleuropa präsent ist. Wenn wir wirklich die Situation in Deutschland hätten, dass Millionen orthodoxer Juden nach Deutschland einwandern würden, dann hätten wir diese Fragestellung sicherlich auch im Hinblick auf das Judentum."
Derzeit erwartet Höcke jedoch keine massive jüdische Einwanderung nach Deutschland. Die jüdische Gemeinde in Erfurt heißt Juden aus aller Welt zu den Gottesdiensten willkommen: Männer und Frauen sitzen übrigens getrennt.
*In einer früheren Version wurde hier ein falsches Datum genannt.
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