Rainer Kampling, geboren 1953 im Münsterland. Studium der Katholischen Theologie, Lateinischen Philologie und Judaistik. Seit 1992 Professor für Biblische Theologie und Neues Testament an der Freien Universität Berlin, Initiator und Leiter des Ernst-Ludwig-Ehrlich-Masterstudiengangs Geschichte, Theorie und Praxis der Jüdisch-Christlichen Beziehungen.
Wenn Religionspolitik das Grundgesetz verletzt
Die AfD definiere als politische Partei, wie Muslime, Juden und Christen in Deutschland Glaube und Religion zu verstehen hätten. Dadurch verletze sie Freiheitsrechte des Grundgesetzes, warnt der Berliner Theologe Rainer Kampling.
Da bis auf einige, bereits außerhalb des gesellschaftlichen Konsenses Agierende wohl Niemand klaren Verstandes bestreiten wird, dass das Grundgesetz zu Deutschland gehört, sei doch wenigstens zitiert, was es zur Religionsfreiheit zu sagen hat.
In Artikel 4 heißt es: "(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet."
Zwar gab es immer schon Debatten darüber, wie die Mitglieder von Religionsgemeinschaften an gesellschaftlichen Prozessen partizipieren sollten, aber ein etwaiger Ausschluss war eingedenk nationalsozialistischer und kommunistischer Verfolgungen von Glaubenden undenkbar.
Mehr als fremdenfeindliche Krawallmentalität
Zumal eine Partei, die sich den christlichen Werten verpflichtet weiß, diese Republik nicht unmaßgeblich mitgestaltet. Bisher hat es auch zu keinen größeren Verwerfungen geführt, dass seit dem Beitritt der DDR eine noch größere Zahl von Bürgern zur bundesrepublikanischen Gesellschaft gehört, die nicht nur individuell ohne religiöse Bindung leben, sondern denen es auch an Kenntnissen einer religiös geformten Kultur gebricht.
Nun aber hat sich das Blatt gewendet. Durch das Auftreten der AfD wird ein völlig neuer Ton in die Debatte getragen, die sie übrigens weitgehend selbst produziert hat. Sie bestreitet, dass der Islam zu Deutschland gehört.
Nun könnte man das Ganze als fremdenfeindliche Krawallmentalität bezeichnen. Doch geht es um mehr. Eine politische Gruppe nimmt sich das Recht, Religion zu definieren. Allen Ernstes verlangt sie, Muslime müssten auf den Koran und die Scharia verzichten. Nun wäre das so, als wolle man von Christen fordern, sie sollten sich von der Bibel oder den zehn Geboten lossagen.
AfD zimmert sich Islam aus islamistischen Versatzstücken
Freilich hat die Absurdität Methode: Nicht die Gläubigen beschreiben ihren Glauben, sondern Außenstehende, deren Kompetenz durch keinerlei Wissen belastet ist. Sie zimmern sich Islam und Muslime aus Versatzstücken aller Art. Daraus entsteht bezeichnenderweise das Bild einer Religion, wie man es sonst nur bei radikalen Islamisten kennt.
Diese Geistesverwandtschaft wird dann zur Farce, wenn einem muslimischen Mann, der Umgang mit Frauen hat, die kein Kopftuch tragen, unterstellt wird, er halte sich nicht an muslimische Vorschriften. Dass der Islam nur ein Versuchsfeld ist, lässt sich am Grundsatzprogramm der AfD ablesen. Auch wenn das Schächten auf biblische Zeit zurückgeht, werden Juden nach 3000 Jahren darüber belehrt, dass es nicht zur jüdischen Religion gehöre.
Bei diesen Übergriffen handelt es sich um mehr als die Verletzung religionspolitischer Neutralität. Es geht um einen Angriff auf die Freiheit der Religionsausübung. Indem man eine politische, möglichst staatlich bestätigte Deutungshoheit über Religion und deren Inhalte anstrebt, will man Glauben und Gläubige entmündigen, für sie entscheiden, ob sie dazugehören oder "raumfremd" seien.
AfD verteidigt Werte, die sie nicht benennt
Wo sich Kirchen und Christen zu Wort melden, wird ihnen unterstellt, Einfluss nehmen zu wollen. Eine merkwürdige Auffassung für eine angeblich demokratische Partei. Gleichwohl gibt sie sich als Verteidigerin christlicher Werte, ohne aber zu erklären, was damit gemeint ist.
Man kann es ihr sagen: Wer die Not von Fliehenden mit einem Wasserrohrbruch vergleicht und sich von grausamen Bildern nicht anrühren lassen will, teilt den zentralen Wert der Nächstenliebe gewiss nicht. Er träumt vielleicht von einer rein deutschen Gesellschaft, aber nicht von einer humanen und christlichen.