"Sie wollen einen Staat, der funktioniert"
Heute gehen die beiden Kandidaten um das Präsidentenamt in Afghanistan in die Stichwahlen. Patrick Kuebart von der Max-Planck-Stiftung wertet die Wahlbeteiligung als wichtiges Signal für den Wunsch der Bevölkerung nach Frieden und einem funktionierenden Staat.
Ute Welty: So geschmeidig sein Auftreten war, seine Politik blieb oft genug erfolglos, seine Verbindungen undurchsichtig. Hamid Karzai ist die längste Zeit, nämlich ganze 13 Jahre, afghanischer Präsident gewesen. Über seine Nachfolge entscheidet heute eine Stichwahl. Die Afghanen können für den ehemaligen Außenminister Abdullah stimmen oder für den früheren Weltbankexperten Ghani, wobei Abdullah als Favorit in die Wahl geht. Ob er auch die beste Wahl für Afghanistan ist, das ist eine Frage, die ich jetzt mit Patrick Kuebart besprechen kann. Er kennt das Land durch seine Arbeit bei Caritas International, hat zwei Jahre in Kabul gelebt und zeichnet inzwischen verantwortlich für das Projektmanagement Afghanistan bei der Max-Planck-Stiftung für internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit. Guten Morgen!
Patrick Kuebart: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Wenn Sie Afghane wären, wem würden Sie Ihre Stimme anvertrauen – Abdullah oder Ghani?
Kuebart: Hui, das ist eine sehr schwierige Frage. Beide Kandidaten haben natürlich Vorteile und Nachteile, Sie haben es gerade erwähnt. Aschraf Ghani hat lange für die Weltbank gearbeitet, ist also Experte, was vor allem wirtschaftliche Fragen anbelangt, ein Thema, das in Afghanistan sehr viel Beachtung erfahren muss in Zukunft. Gleichzeitig ist Abdullah Abdullah jemand, der lange Zeit für die Mudschahedin gekämpft hat, er ist also tief verwurzelt in diesen konservativen islamischen Kreisen und hat dadurch sicherlich sehr viel mehr Gefolgsleute und Potenzial auch, Erneuerungen voranzutreiben.
Welty: Was hoffen und was befürchten die Afghanen für die Zeit nach der Wahl? Die Probleme im Land sind ja nicht gerade klein und reichen von der Korruption über die Anschläge bis hin zu Drogenanbau und Drogenkonsum.
"Frieden steht ganz oben auf ihrer Wunschliste"
Kuebart: Ich denke, für die Afghanen selber ist natürlich erst mal wichtig ein gewisses Maß an Stabilität beizubehalten. Frieden steht ganz oben auf ihrer Wunschliste. Nach mehr als drei Jahrzehnten Krieg sind sie natürlich kriegsmüde. Sie wollen nicht mehr weiter kämpfen, sie wollen einem friedlichen Leben nachgehen und ich denke, das steht ganz oben auf ihrer Liste. Gleichzeitig sind natürlich solche Themen wie Korruption auch sehr wichtig für die allgemeine Bevölkerung. Sie wollen also einen Staat, der funktioniert.
Welty: Und welche Rolle kann internationale Unterstützung dabei spielen, einen funktionierenden Staat herzustellen? Welche Rolle muss sie spielen, vor allem, wenn es um die USA und um Deutschland geht?
Kuebart: Ich denke, was die internationale Gemeinschaft anbelangt, ist es sehr, sehr wichtig, weiterhin im afghanischen Staat verbunden zu sein, vor allem finanzielle Unterstützung bereitzuhalten. Wir können nicht erwarten, dass in zehn Jahren ein wohl funktionierender Staat aufgebaut wird bei der ganzen Problemlage, die man 2001 vorgefunden hat. Ich denke, das wäre sehr, sehr wichtig. Was für Organisationen wie die Max-Planck-Stiftung natürlich sehr wichtig ist, ist, Kapazitäten auszubilden. Wir sind im rechtsstaatlichen Bereich tätig, wir arbeiten mit Richtern, wir arbeiten mit der Verwaltung. Wir wollen dabei unterstützen, den Staat greifbarer zu machen, den Staat kompetenter zu machen, solche Dinge wie Korruption eben zu vermeiden.
Welty: Wie kann das denn gelingen in einem Land, das aus einer ganz anderen Tradition kommt?
"Die afghanische Gesellschaft ist sehr jung"
Kuebart: Ja, es gibt eine junge Generation – die afghanische Gesellschaft ist sehr jung. In den letzten zehn Jahren sind mehr Menschen zur Schule gegangen als je zuvor. Da steckt natürlich ein großes Potenzial drin, und es gibt viele Menschen, die Änderungen herbeiführen wollen, und ich denke, mit denen kann man durchaus bewirken, und da kann man viel ändern.
Welty: Wie beurteilen Sie das, was Deutschland bislang geleistet hat? Wer auch immer Innenminister war, er hat sich immer stolz in Masar-e Scharif mit afghanischen Polizisten fotografieren lassen, die von Deutschen ausgebildet wurden.
Kuebart: Ich denke, die Polizeiausbildung ist wichtig, denn das ist ja ein Arm des Staates, der auch für die Afghanen fühlbar und sichtbar ist. Es geht natürlich weit darüber hinaus. Es muss eben auch die Verwaltung aufgebaut werden, und ich denke, da kann man noch viel mehr tun. Die deutsche Regierung ist dabei tätig. Sie sind natürlich, wie Sie gerade angesprochen haben, im Norden aktiv, unterstützen aber auch unsere Projekte landesweit.
Welty: Die eigentliche Präsidentschaftswahl, die zur heutigen Stichwahl geführt hat, die haben Sie in Kabul miterlebt. Wie haben Sie die Menschen am Wahltag wahrgenommen?
"Das erste Mal, dass Macht anscheinend friedlich übergeben wird"
Kuebart: Also ich denke, auch vor der Wahl waren sie sehr aufgeregt. Sie waren zum Teil noch in Sorge, dass Hamid Karzai im letzten Moment noch einen Rückzieher machen würde und die Macht bei sich behalten wird. Das hat er nicht getan. Sie waren also sehr aufgeregt. Sie sind zum Teil auch hoffnungsfroh und gut gestimmt in die Wahl gegangen, weil es jetzt Veränderung geben wird. Es ist das erste Mal, dass Macht anscheinend friedlich übergeben wird. Das ist ein gutes Zeichen für Afghanistan und auch Demokratie in Afghanistan.
Welty: Was treibt die Menschen vor allem um? Ist es die Sorge um die Sicherheit, oder ist es auch der wirtschaftliche Druck, der ja immer weiter wächst?
Kuebart: Ich denke, das sind beides Gründe. Ich hatte sehr stark das Gefühl, dass auch ein Zeichen gesetzt werden soll für den afghanischen Staat, gegen die Insurgenz, gegen den Krieg. Denn wenn man wählen geht, obwohl die Taliban ganz klar gedroht haben, die Wahlen zu unterbinden und die Leute bedroht haben, daran nicht teilzunehmen, wenn man dann trotzdem rausgeht, ist das ein ganz, ganz klares Zeichen für den afghanischen Staat, und dass man eben Demokratie haben will und keinen Krieg mehr haben möchten.
Welty: Und was verbindet Sie inzwischen selber, persönlich mit Afghanistan? Sie verbringen ja nach wie vor viel Zeit dort.
Kuebart: Ja, ich hab zweieinhalb Jahre dort gelebt. Ich war sehr, sehr gerne dort, habe die Gastfreundschaft genossen. Es ist ein sehr, sehr interessantes Land. Es gibt viel Probleme, aber es gibt auch eben viel Hoffnung. Es gibt eine junge Gesellschaft, die das Land verändern möchte, es gibt eine immer stärker werdende Zivilgesellschaft, Pressefreiheit ist mittlerweile sehr weit ausgebreitet – das sind solche Dinge, die mich faszinieren an diesem Land. Und natürlich auch die geografischen Verhältnisse. Es ist ein wunder-, wunderschönes Land. Wenn man sich dort in den Bergen bewegen kann, ist das unglaublich schön.
Welty: Vor der Stichwahl, die über den nächsten afghanischen Präsidenten entscheidet, Einschätzungen von Patrick Kuebart, Projektmanager für Afghanistan bei der Max-Planck-Stiftung für internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit. Ich danke sehr für dieses Interview in der Ortszeit!
Kuebart: Sehr gerne!
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