Es gibt nur eine Prognose: Bilderverbot!
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Seit der Vertreibung der Taliban 2001 hat sich in Afghanistan viel getan. Junge Filmschaffende mit international geschultem Blick traten an. Bis jetzt. Doch nun verlässt jeder, der kann, das Land. Christian Berndt prognostiziert das drohende Ende des afghanischen Kinos.
Unter der letzten Taliban-Herrschaft waren in Afghanistan Kino und Film verboten. Trotzdem wurden damals im Verborgenen weiter Filme geschaut und gemeinsame Vorführungen organisiert. Heute laufen afghanische Filme weltweit auf Festivals, im Herbst 2021 kommen gleich mehrere internationale Koproduktionen afghanischer Regisseurinnen und Regisseure in die deutschen Kinos.
Der afghanische Regisseur Aboozar Amini hat vier Nächte nicht geschlafen, er und andere versuchen, afghanische Filmschaffende aus Kabul herauszubekommen. Es sei die Hölle, sagt Amini. Der Regisseur lebt seit seiner Kindheit in Holland. Aber seinen Debütfilm "Kabul, City in the Wind", der im Herbst 2021 in die Kinos kommt, hat er in Afghanistan gedreht.
Seit den Sechzigern gibt es eine Filmproduktion in Afghanistan
Aminis Dokumentarfilm folgt dem Alltag von Menschen in Kabul – zum Beispiel dem zwölfjährigen Afshin, der für seine Geschwister sorgen muss. Wenn er mit seinem Bruder einkaufen geht, meidet er wegen der ständigen Selbstmordanschläge belebte Plätze. Der Terror ist in Kabul allgegenwärtig, und auch die Arbeit der Filmleute ist lebensgefährlich. Trotzdem drehte Amini bis vor Kurzem in Afghanistan, er gehörte zu den vielen Filmschaffenden, die dem Terror der Taliban trotzten.
Die jungen afghanischen Filmemacher, sagt Amini, hätten in den letzten 20 Jahren viel getan, um das Land wieder aufzubauen und die Geschichten Afghanistans zu erzählen.
Der afghanische Film hat bisher Bürgerkrieg, Besatzung und Terrorherrschaft überlebt, seit in den Sechzigerjahren die erste einheimische Filmproduktion entstanden war, erzählt Ingeborg Baldauf:
"Kinos waren das große Thema in den 1960er-, 1970er-Jahren. Da gab es sowohl Kinos, die wirklich zur Unterhaltung allein aufgemacht worden waren, oder eben auch solche, mit denen ein Bildungsanspruch verbunden war. Das wurde auch während der sowjetischen Interventionszeit eine Zeit lang weiter gepflegt, aber die erste Runde Taliban hat diese Kinos zerstören lassen."
Ingeborg Baldauf ist Professorin für Zentralasiatische Kulturen und hat Afghanistan seit den 1970er-Jahren regelmäßig besucht. Auch die Herrschaft der Taliban von 1996 bis 2001 habe den Film nicht völlig ausrotten können, sagt sie. Vielmehr sei es so, "dass junge Leute Kino noch gepflegt haben, als das gar nicht mehr erlaubt war. Sie haben sich das selber organisiert, haben dann Filme geguckt, irgendwo an einem für sie sicheren Ort unter Bedingungen, die wir uns schwer vorstellen können, einfach um Filme sehen zu können."
In vielen Städten verhaften die Taliban ihre Gegner
Heute habe das Kino nicht mehr diese Funktion, meint Baldauf, auch in Afghanistan wird viel online geschaut. Zwar sei das Internet nicht flächendeckend verfügbar, aber in den frühen 2000er-Jahren habe ein rasanter Ausbau des Mobilfunknetzes begonnen:
"Das ist wirklich ein Massenmedium, und das führt dazu, dass Kommunikation stattfinden konnte, die früher ganz leicht unterbunden werden konnte. Jemand verliebt sich in einen jungen Mann oder ein junges Mädchen und möchte gerne Kontakt aufnehmen. Das wäre früher einfach daran gescheitert, dass die sich nicht treffen können."
Baldauf glaubt nicht, dass sich diese gesellschaftlichen Veränderungen durch die Taliban wieder völlig zurückdrehen lassen.
Wesentlich düsterer sieht der afghanische Regisseur Jalal Hussaini, der seit sechs Jahren in Deutschland lebt, die Zukunft seiner Heimat. Den Erklärungen der Taliban, man werde Andersdenkende schonen, glaube dort niemand.
Hussaini hört von Freunden, dass die Taliban in verschiedenen Städten von Haus zu Haus gehen, um ihre Gegner zu verhaften. Nur in Kabul halte man sich noch zurück. Hussaini lebte als Kind im iranischen Exil. Nach dem Ende der ersten Taliban-Herrschaft kehrte die Familie nach Afghanistan zurück, Hussaini studierte Film an der Kabuler Universität.
Bedrohung nach seiner Filmveröffentlichung
Dort sei es großartig gewesen, meint Hussaini, er hätte Lehrer aus Frankreich, Deutschland und den USA gehabt. Es habe zwar keine staatliche Unterstützung, dafür aber Solidarität unter den jungen Filmschaffenden gegeben. Kinos gibt es in Afghanistan nur wenige, und Arthausfilme, wie sie Hussaini dreht, liefen dort nicht. Aber auf heimischen Festivals waren seine Filme zu sehen. Trotzdem verließ er das Land, denn Dreharbeiten seien kaum möglich gewesen, ohne Ziel von Anschlägen zu werden. Nachdem Hussaini 2012 seinen Kurzfilm "Outpost" gedreht hatte, war er besonders gefährdet.
Der Film antizipiert bereits die Taliban-Machtübernahme. Keiner traut dem anderen, die Taliban scheinen alles zu infiltrieren. "Outpost" konnte in Afghanistan gar nicht erst gezeigt werden und lief auf verschiedenen internationalen Festivals.
Alles, was in den letzten 20 Jahren erreicht wurde, sagt Regisseur Aboozar Amini, ist dahin – die neuen Farben verblassten wieder im Dunkel: "All the colours that we have made, we have found and we have collected for Afghanistan in the past 20 years has been faded into darkness and black."