"Wir sind immer noch ein Notfall"
Unsere Korrespondenten haben in den letzten zwei Jahren fünf Afghanen durch ihren Alltag begleitet: Einen jungen Schriftsteller, einen Schüler, eine Menschenrechtlerin, einen Übersetzer und eine Geschäftsfrau.
Das nationale Pass-Amt in Kabul ist zum Symbol des Exodus geworden. Wer halbwegs legal raus will aus dem Land, muss erst hierher, den Pass beantragen. Anfang Oktober erreichte die Ausreisewelle einen vorläufigen Höhepunkt. In der Spitze kamen bis zu 8000 Antragsteller pro Tag, die Schlange vor der Behörde war kilometerlang.
Die vielen Straßenstände, die Kopierdienste anbieten und die Reisebüros, die sich rund um das Passamt angesiedelt haben, machten glänzende Geschäfte. Illegale Visa für die Türkei kosteten rund 6.000 Dollar. Das sind in vielen Fällen alle Ersparnisse einer Familie.
An einem sonnigen Tag in Kabul
Heute, an einem sonnigen Dezember-Vormittag, geht es nicht mehr ganz so hektisch zu. Es ist kalt geworden. Die Flucht nach Europa wäre jetzt im Winter viel schwieriger als noch im Spätherbst. Das wissen viele Afghanen. Aber schon jetzt gibt es kaum jemanden in Kabul, der nicht Verwandte, Freunde oder Kollegen kennt, die sich aufgemacht haben.
Es ist die größte Auswanderungswelle seit den 90er Jahren, als ein bitterer Bürgerkrieg die afghanische Hauptstadt in Schutt und Asche legte. Laut den Vereinten Nationen stammt jeder fünfte Flüchtling, der über das Mittelmeer in die EU gelangt, aus Afghanistan. Das wären bis Anfang Dezember 2015 fast 200.000 Menschen.
Taqi Akhlaqi, der Schriftsteller
Taqi Akhlaqi hadert mit sich. Die Frage "Bleiben oder Gehen" bestimmt seinen Alltag, seit er denken an. Taqi war selbst schon einmal Flüchtling. Seine Familie ist in den 90er Jahren vor dem Bürgerkrieg in den Iran geflohen und hat dort mehr als ein Jahr-zehnt lang gelebt. Taqi hat seine Erfahrungen in Kurzgeschichten verarbeitet.
Jetzt sitzt der 29-jährige Schriftsteller im Atelier seines Bruders Ali. Ali ist Maler. Das Atelier befindet sich im Haus ihres Vaters, am Stadtrand von Kabul. Zu erreichen ist es über buckelige Pisten, denn geteert sind die Straßen hier nicht.
Taqi Akhalaqi: "Wenn ich Afghanistan wieder verlassen würde, dann nicht wegen der Sicherheitslage. Ich würde es für meine Kinder tun. Für meine Frau. Sie bedrängen mich. Meine Frau glaubt, dass die Kinder in einem Land wie Deutschland ein besseres Leben haben würden. Dass sie selbst dort frei sein kann. Dass ich dort freier schreiben könnte!"
Vor zwei Jahren sagte Taqi noch: 'Ich werde in Kabul bleiben, komme was wolle. Ich will nicht noch einmal Flüchtling sein.'
"Das war meine ganz persönliche Meinung damals. Jetzt rede ich auch als Vater von zwei kleinen Söhnen und als Ehemann. Ich sollte das mehr bedenken. Ich bin manchmal zu egoistisch, wenn ich Entscheidungen alleine treffe. Vielleicht ist es ja mein ewiges Schicksal, Flüchtling zu sein."
"Das war meine ganz persönliche Meinung damals. Jetzt rede ich auch als Vater von zwei kleinen Söhnen und als Ehemann. Ich sollte das mehr bedenken. Ich bin manchmal zu egoistisch, wenn ich Entscheidungen alleine treffe. Vielleicht ist es ja mein ewiges Schicksal, Flüchtling zu sein."
Auswandern - den Kindern und seiner Frau zuliebe
Als die ersten Freunde schon 2013, mehr als ein Jahr vor dem Abzug der internationalen Kampftruppen, Afghanistan verließen, verurteilte Taqi sie dafür. Der bevorstehende Abzug der Soldaten sei nur ein Vorwand, woanders nach einem besseren Leben zu suchen, fand er.
Als dann aber die Präsidentschaftswahlen 2014 zu einem politischen Chaos führten und die Hoffnung vieler Menschen auf eine neue, starke Regierung mit jedem Tag schwand, bewegte dies auch Taqi. Er hatte jetzt Verständnis für alle, die gehen wollten. Und dann explodierte im Dezember 2014 im französischen Kulturzentrum in Kabul eine Bombe, während einer Theatervorführung. Taqi saß im Publikum und wurde leicht verletzt. Es war sein ganz persönlicher Tiefpunkt der vergangenen Jahre.
"Manchmal träume ich noch davon. Aber im vergangenen Monat gab es ein Theaterfestival in Kabul. Ein Freund wollte, dass ich dorthin komme. Am ersten Tag war es schrecklich. Aber dann fühlte ich mich langsam besser, und schließlich konnte ich das Festival etwas genießen. Das tat mir gut. Ich hatte gedacht, ich wäre nie wieder in der Lage, ein Theaterstück anzuschauen."
Auch wenn er es wieder schafft, am Kulturleben Kabuls teilzunehmen: Viele Gelegenheiten hat er nicht. Denn Aufführungen, Ausstellungen oder Lesungen bleiben angesichts der vielen Anschläge die Ausnahme in Kabul. Vom Schreiben kann Taqi sowieso nicht leben, das Geld verdient er als Mitarbeiter einer internationalen Hilfsorganisation.
Damit kann er sich glücklich schätzen, denn die meisten Afghanen sind arbeitslos und haben keinerlei Perspektiven. Die Wirtschaft liegt durch den Krieg im Land am Boden. Taqi hat inzwischen einen guten Draht zum Jungen Schauspiel Ensemble, einem Theater in München. Er hat ein Bühnenstück geschrieben, es geht – natürlich – um das Thema Flucht.
"Das war der schönste Moment der vergangenen zwei Jahre. Ich habe für ein paar Monate alles andere zur Seite geschoben und zum ersten Mal an etwas Ernsthaftem gearbeitet. Ich habe jeden Moment genossen."
Das Werk war schon fertig, als im Sommer der große Flüchtlingsstrom einsetzte. Nur der Titel fehlt noch. Taqi hofft, dass das Stück 2016 endlich aufgeführt wird.
Sima Samar, die Menschenrechtlerin
Kabul Ende September. In ihrem zur Festung ausgebauten Büro kämpft Afghanistans bekannteste Menschenrechtlerin Sima Samar mit den Tränen. Ihr Leben ist eng mit dem afghanischen Dauerkrieg verknüpft. Todesdrohungen gehören seit Jahren zu ihrem Alltag. Sie hat sich nie einschüchtern lassen, immer Stärke gezeigt.
"Es wird immer schlimmer, aber ich will nicht vor euch weinen",
sagt sie an diesem Morgen im afghanischen Spätherbst, bevor sie zusammenbricht. Zum Zeitpunkt des Gesprächs war die Provinzhauptstadt Kundus im Norden, in der die Bundeswehr 10 Jahre lang stationiert war, gerade vorübergehend in die Hände der Taliban gefallen. Die Not der Menschen, das Versagen des Staates, die Hoffnungslosigkeit, die tausendfache Flucht, die ertrinkenden Menschen im Mittelmeer, die Bilder von angespülten Kinderleichen an türkischen und griechischen Stränden – der unerschrockenen Kämpferin schwinden die Kräfte.
"Du denkst an deine eigenen Kinder, es ist einfach schwer",
flüstert sie. Auch Sima Samar war mal ein Flüchtling. Sie floh nach Pakistan, nachdem ihr Mann in den frü-hen afghanischen Kriegswirren Ende der 70er Jahre spurlos verschwunden war. Ende 2001, nach mehr als 20 Jahren, kehrte Sima Samar dann voller Hoffnung in ihre Heimat zurück. Sie wurde Afghanistans erste Frauenministerin und Afghanistans erste weibliche Vizepräsidentin, später dann Menschenrechtskommissarin.
"Ich lebe seit 38 Jahren mit dem Konflikt"
Lachen und Weinen. Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Beides ist Afghanistan. Anfang Dezember hat die studierte Ärztin ihr Lachen wiedergefunden.
"Wir leben und arbeiten schon so lange als Notfall, wir sind immer noch ein Notfall. Ich lebe inzwischen seit 38 Jahren mit diesem Konflikt. Wenn ich die Hoffnung aufgeben würde, würde ich nicht mehr existieren. Es ist nicht immer leicht. Auch heute ist ein schwerer Tag. Ich bin ein Mensch, ich bin nicht aus Stein. Ich habe Gefühle. Aber zu weinen ist auch ein Akt des Widerstands."
Afghanischen Kriegsfürsten und lokalen Machthaber, die der Westen bis heute mit Millionen fördert, hätte Sima Samar gleich zu Beginn der internationalen Afghanistan-Mission vor 14 Jahren gern entwaffnet, um sie für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Verantwortung zu ziehen.
"Wir leben und arbeiten schon so lange als Notfall, wir sind immer noch ein Notfall. Ich lebe inzwischen seit 38 Jahren mit diesem Konflikt. Wenn ich die Hoffnung aufgeben würde, würde ich nicht mehr existieren. Es ist nicht immer leicht. Auch heute ist ein schwerer Tag. Ich bin ein Mensch, ich bin nicht aus Stein. Ich habe Gefühle. Aber zu weinen ist auch ein Akt des Widerstands."
Afghanischen Kriegsfürsten und lokalen Machthaber, die der Westen bis heute mit Millionen fördert, hätte Sima Samar gleich zu Beginn der internationalen Afghanistan-Mission vor 14 Jahren gern entwaffnet, um sie für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Verantwortung zu ziehen.
Viele dieser starken Männer sind Islamisten. Sie kämpften in den 80er Jahren mit westlicher Hilfe gegen die sowjetischen Besatzungstruppen. Anschließend fielen sie dann blutrünstig übereinander her. Ihr unvorstellbar grausamer Machtkampf spülte die Taliban an die Macht. Heute sind viele dieser alten Kriegsfürsten ein Teil des neuen Staates.
"Ich glaube, wir wissen oft nicht, wer Freund ist und wer Feind. Meine Definition von Freund und Feind in Afghanistan ist sicher eine ganz andere als die eines westlichen Politikers. Die internationale Gemeinschaft trägt Verantwortung für die Zustände in Afghanistan. Wir sollten keine halben Sachen machen. Sind wir fertig mit den Menschenrechten, sind wir fertig mit den Rechten der Frau?"
"Ich glaube, wir wissen oft nicht, wer Freund ist und wer Feind. Meine Definition von Freund und Feind in Afghanistan ist sicher eine ganz andere als die eines westlichen Politikers. Die internationale Gemeinschaft trägt Verantwortung für die Zustände in Afghanistan. Wir sollten keine halben Sachen machen. Sind wir fertig mit den Menschenrechten, sind wir fertig mit den Rechten der Frau?"
Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich im Jahr 2015 so dramatisch verschlechtert, dass die NATO ihren Truppenabzug vorläufig gestoppt hat. Zeitgleich kämpft die afghanische Menschenrechtskommission, deren Vorsitzende Sima Samar ist, finanziell ums Überleben. Die 58-jährige stemmt sich dagegen, ihre Heimat ein zweites Mal zu verlieren.
"Ich ziehe meine Energie aus den winzigen Verbesserungen, zu denen ich durch meine Arbeit beitragen kann. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchhalten kann. Ich weiß ja noch nicht mal, wie lange ich noch lebe. Wir sind Menschen, und Menschen sterben. Vor allem in einem Land wie Afghanistan, in dem du noch nicht mal zu Hause sicher bist."
"Ich ziehe meine Energie aus den winzigen Verbesserungen, zu denen ich durch meine Arbeit beitragen kann. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchhalten kann. Ich weiß ja noch nicht mal, wie lange ich noch lebe. Wir sind Menschen, und Menschen sterben. Vor allem in einem Land wie Afghanistan, in dem du noch nicht mal zu Hause sicher bist."
Aliullah Nazary, der Übersetzer
Rückblende. Ende 2013. Aliullah Nazary lotst zum Haus seines Vaters in Kundus in Nordafghanistan. Sein Gesicht hat er mit einem Tuch verhüllt. Niemand soll ihn erkennen. Aliullah hat Angst.
"Ich ändere ständig meine Adresse. Heute sind wir in meinem Elternhaus. Aber hier kann ich nicht bleiben. Ich muss ständig woanders unterkommen, damit mich die Taliban nicht finden. Jeden Tag muss ich woanders wohnen."
Aliullah hat jahrelang für die Bundeswehr als Übersetzer gearbeitet, er hat für die deutschen Soldaten aus den afghanischen Sprachen ins Englische übersetzt. Ein guter Job. Aliullah ging davon aus, dass die Deutschen dauerhaft für Sicherheit sorgen würden.
"Ich ändere ständig meine Adresse. Heute sind wir in meinem Elternhaus. Aber hier kann ich nicht bleiben. Ich muss ständig woanders unterkommen, damit mich die Taliban nicht finden. Jeden Tag muss ich woanders wohnen."
Aliullah hat jahrelang für die Bundeswehr als Übersetzer gearbeitet, er hat für die deutschen Soldaten aus den afghanischen Sprachen ins Englische übersetzt. Ein guter Job. Aliullah ging davon aus, dass die Deutschen dauerhaft für Sicherheit sorgen würden.
Ende 2013 aber zog die Bundeswehr ab. Aliullah wurde bedroht. Von Taliban, wie er sagt. Die Polizei konnte ihm nicht helfen. Die Drohanrufe kamen aus einem Distrikt, in dem tatsächlich die Taliban herrschten. Ein Freund, auch ein ehemaliger Bundeswehr-Dolmetscher, wurde ermordet. Von wem, das ist bis heute unklar. Aliullah hatte damals, vor zwei Jahren, nur noch ein Ziel: Raus aus Afghanistan.
"Ich hoffe, dass mein Traum bald wahr wird. An einem Ort zu leben, an dem ich morgens aufwache und mich frei fühle und sicher. An dem ich eine Freundin finde und endlich nicht mehr allein bin."
"Ich hoffe, dass mein Traum bald wahr wird. An einem Ort zu leben, an dem ich morgens aufwache und mich frei fühle und sicher. An dem ich eine Freundin finde und endlich nicht mehr allein bin."
Endlich ein Visum für Deutschland
Im Februar 2014 landete Aliullah dann tatsächlich in Hamburg. Nach monatelangem Bangen hatte er endlich sein Visum erhalten. Und der erste Morgen in Deutschland – er war genau so, wie es sich Aliullah im fernen Kundus erträumt hatte.
"Ich fühlte, dass ich in Afghanistan, in Kundus oder Kabul bin. Aber als ich nach draußen geschaut habe, habe ich gesehen: Das ist Deutschland, das ist Hamburg! Du hast hier Sicherheit! Du hast hier Frieden! Du hast hier keine Sorgen!"
Vom ersten Tag an hat Aliullah Deutsch gelernt. Er will studieren, Jura oder Politik. Er engagiert sich in einer Studentenorganisation. Ein Hamburger Ehepaar, durch Radioberichte auf ihn aufmerksam geworden, half Aliullah bei der Wohnungssuche. Der 25-jährige nennt das Paar seine "deutschen Eltern." Durch sie hat er auch seinen ersten Job bekommen – wieder als Dolmetscher. Diesmal aber nicht für die Bundeswehr, sondern für andere afghanische Flüchtlinge in Neumünster in Schleswig-Holstein.
"Das macht Spaß, ich freue mich, und außerdem ist es eine gute Übung für meine Sprache. Und es ist eine gute Integration für mich. Ich fühle mich nicht unsicher, ich fühle mich wohl. Und ich kenne viele Leute, ich habe viel Kontakt. Und ich weiß, wie viele Sachen funktionieren hier in Deutschland. Das ist viel einfacher für mich, im Vergleich zu vor zwei Jahren."
"Ich fühlte, dass ich in Afghanistan, in Kundus oder Kabul bin. Aber als ich nach draußen geschaut habe, habe ich gesehen: Das ist Deutschland, das ist Hamburg! Du hast hier Sicherheit! Du hast hier Frieden! Du hast hier keine Sorgen!"
Vom ersten Tag an hat Aliullah Deutsch gelernt. Er will studieren, Jura oder Politik. Er engagiert sich in einer Studentenorganisation. Ein Hamburger Ehepaar, durch Radioberichte auf ihn aufmerksam geworden, half Aliullah bei der Wohnungssuche. Der 25-jährige nennt das Paar seine "deutschen Eltern." Durch sie hat er auch seinen ersten Job bekommen – wieder als Dolmetscher. Diesmal aber nicht für die Bundeswehr, sondern für andere afghanische Flüchtlinge in Neumünster in Schleswig-Holstein.
"Das macht Spaß, ich freue mich, und außerdem ist es eine gute Übung für meine Sprache. Und es ist eine gute Integration für mich. Ich fühle mich nicht unsicher, ich fühle mich wohl. Und ich kenne viele Leute, ich habe viel Kontakt. Und ich weiß, wie viele Sachen funktionieren hier in Deutschland. Das ist viel einfacher für mich, im Vergleich zu vor zwei Jahren."
Im Sommer konnte Aliullah seine Familie nachholen, seine Eltern, seinen Bruder und seine Schwester. Aber trotzdem lässt Kundus, die Stadt, in der er aufgewachsen und aus der er geflüchtet ist, Aliullah nicht los. Ende September 2015, nur Wochen, nachdem seine Familie in Hamburg ankam, fiel ausgerechnet Kundus für mehrere Tage an die Taliban. Hunderte Menschen starben während der Kämpfe oder wurden umgebracht.
Mit den Gedanken in Afghanistan
Die US-Luftwaffe half bei der Rückeroberung. Ihre Bomben fielen aber auch auf ein bekanntes Krankenhaus der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Die Büros internationaler Organisationen wurden geplündert. Jeder, der irgendwie mit den Deutschen oder anderen Ausländern zusammen gearbeitet hatte, war nun in akuter Lebensgefahr. Aliullahs Ängste, die er vor seiner Abreise nach Deutschland täglich durchlebt hatte, sie wurden für viele Menschen in Kundus zum ganz realen Alptraum.
"Ich hatte immer Kontakt mit Freunden, mit Verwandten. Ich habe immer verfolgt, was passiert in Kundus. Ich war sehr, sehr traurig. Ich habe sehr geweint. Ich habe Kundus nie so erlebt."
"Ich hatte immer Kontakt mit Freunden, mit Verwandten. Ich habe immer verfolgt, was passiert in Kundus. Ich war sehr, sehr traurig. Ich habe sehr geweint. Ich habe Kundus nie so erlebt."
Aliullah hat sich an den so ganz anderen Alltag in Deutschland gewöhnt, auch wenn seine Gedanken oft nach Afghanistan wandern.
"Deutschland und Afghanistan sind meine Heimat. Ich bin in Afghanistan geboren und aufgewachsen, aber ich fühle mich in Deutschland sicher und ganz wohl. Das ist auch meine Heimat."
"Deutschland und Afghanistan sind meine Heimat. Ich bin in Afghanistan geboren und aufgewachsen, aber ich fühle mich in Deutschland sicher und ganz wohl. Das ist auch meine Heimat."
Meena Rahmani, die Unternehmerin
Aus den Lautsprecherboxen im 'Strikers' plärrt Celine Dion mit ihrem Hit 'I am alive' – ich lebe noch. Doch in Afghanistans erster Bowlingbahn herrscht gähnende Leere. Nur eine von zwölf voll automatischen Bahnen ist belegt. Das angeschlossene Restaurant ist komplett verwaist.
Im Sommer explodierte auf der Straße direkt vor dem 'Strikers' ein selbstgebastelter Sprengsatz. Es war einer von vielen Anschlägen in der afghanischen Hauptstadt im Jahr 2015. Jungunternehmerin Meena Rahmani blickt trotzig auf ihre Fingernägel. Im schwarzen Nagellack leuchtet goldener Glimmer.
"Das Strikers war mein Traum, ist mein Traum und wird immer mein Traum bleiben. Ich habe Angst, dass der Tag kommen wird, an dem ich hier nicht mehr weitermachen kann. Diese Angst ist in meinem Herzen. Aber ich würde niemals sagen, dass das 'Strikers' ein Fehler war. Es wird irgendwann einen Tag der Anerkennung geben."
"Das Strikers war mein Traum, ist mein Traum und wird immer mein Traum bleiben. Ich habe Angst, dass der Tag kommen wird, an dem ich hier nicht mehr weitermachen kann. Diese Angst ist in meinem Herzen. Aber ich würde niemals sagen, dass das 'Strikers' ein Fehler war. Es wird irgendwann einen Tag der Anerkennung geben."
Ein Leben mit Einschränkungen
Meena ist eine Heimkehrerin. Als kleines Kind war sie 1992 mit ihren Eltern vor dem afghanischen Bürgerkrieg nach Pakistan geflohen. Ihre wohlhabende Familie ist heute über den Globus zerstreut. Sie hat Verwandte in Deutschland, in den Niederlanden, in England. Meena kehrte 2010 mit ihrem Ehemann aus Kanada in ihre Heimatstadt Kabul zurück. Auch ihre Eltern leben heute wieder dort. Es ist ein Leben mit vielen persönlichen Einschränkungen.
"Wir gehen nirgendwo mehr hin. Außer unserer Wohnung gibt es nur die Arbeit. Arbeit. Wohnung. Wohnung. Arbeit. Wir haben kein soziales Leben. Das tut mir manchmal so leid für meine kleine Tochter, die den ganzen Tag zu Hause ist. Und wir leben in einer Wohnung, nicht in einem Haus mit Garten. Aber was soll ich machen? Ich kann meine Tochter nirgendwo mit hinnehmen, weil du hier immer und jederzeit mit dem Schlimmsten rechnen musst."
Meena begreift sich in Kabul vor allem als Geschäftsfrau. Sie schmiedet Zukunftspläne. Sie will das "Strikers" kinderfreundlicher machen und gezielt um Familien werben, die in der Festung Kabul zwischen Stacheldraht und Sprengschutzwänden kaum Orte zur Entspannung finden.
"Wir gehen nirgendwo mehr hin. Außer unserer Wohnung gibt es nur die Arbeit. Arbeit. Wohnung. Wohnung. Arbeit. Wir haben kein soziales Leben. Das tut mir manchmal so leid für meine kleine Tochter, die den ganzen Tag zu Hause ist. Und wir leben in einer Wohnung, nicht in einem Haus mit Garten. Aber was soll ich machen? Ich kann meine Tochter nirgendwo mit hinnehmen, weil du hier immer und jederzeit mit dem Schlimmsten rechnen musst."
Meena begreift sich in Kabul vor allem als Geschäftsfrau. Sie schmiedet Zukunftspläne. Sie will das "Strikers" kinderfreundlicher machen und gezielt um Familien werben, die in der Festung Kabul zwischen Stacheldraht und Sprengschutzwänden kaum Orte zur Entspannung finden.
Und selbst wenn ihre Bowlingbahn scheitert, wäre sie im Gegensatz zu vielen anderen jungen Afghanen nicht arbeitslos. Meenas Ehemann ist der Kanzler von Afghanistans erfolgreichster Privatuniversität 'Kardan'. Meena ist bei 'Kardan' eingestiegen und organisiert dort den Master-Studiengangs Be-triebswirtschaft.
"Wir wollen es einfach anpacken. Als ich klein war, hat mein Vater immer gesagt: Lasst uns abwarten, wie sich die Situation entwickelt. Jetzt bin ich selber Mutter. Vielleicht wird es hier irgendwann besser, auch wenn ich dafür keine Anzeichen sehe. Manchmal denke ich wirklich, dass wir hier unser Leben verschwenden. Aber ich habe mir hier auch eine Karriere aufgebaut. Ich habe jetzt eine starke Beziehung zu Afghanistan. Mein 'Strikers' ist hier. Unsere Universität ist hier. Ich fühle mich für beide Orte und für die Menschen an diesen Orten verantwortlich. Ich kann mir nicht vorstellen, das alles zurückzulassen."
"Wir wollen es einfach anpacken. Als ich klein war, hat mein Vater immer gesagt: Lasst uns abwarten, wie sich die Situation entwickelt. Jetzt bin ich selber Mutter. Vielleicht wird es hier irgendwann besser, auch wenn ich dafür keine Anzeichen sehe. Manchmal denke ich wirklich, dass wir hier unser Leben verschwenden. Aber ich habe mir hier auch eine Karriere aufgebaut. Ich habe jetzt eine starke Beziehung zu Afghanistan. Mein 'Strikers' ist hier. Unsere Universität ist hier. Ich fühle mich für beide Orte und für die Menschen an diesen Orten verantwortlich. Ich kann mir nicht vorstellen, das alles zurückzulassen."
Fawad Mohammadi, der Schüler
Fußballfachsimpeln in Kabul. Wahnsinnn! Fawad liebt Fußball, vor allem den Argentinier Lionel Messi. Er träumt davon, Messi zu treffen.
"Ich habe mehr Hoffnung als andere Menschen. Viele glauben ja, dass große Träume nicht wahr werden können. Auch kleine nicht. Aber warum sollte ich ihn nicht treffen und mit ihm quatschen können?"
Fawad Mohammadi, 16 Jahre alt, ein afghanischer Teenager voller Träume. Er ist in Kabul aufgewachsen. Er kennt seine Heimat nicht im Frieden. Er hat seinen Vater verloren.
"Meine Mutter hat mich stark gemacht. Meine Mutter ist auch mein Vater. Alles, was ich bin, habe ich meiner Mutter und Gott zu verdanken."
Als kleines Kind hat Fawad Straßenkarten, Streichhölzer und Kaugummi an die vielen ausländischen Helfer verkauft, die damals noch durch die Chicken Street in Kabul flanierten.
"Ich habe mehr Hoffnung als andere Menschen. Viele glauben ja, dass große Träume nicht wahr werden können. Auch kleine nicht. Aber warum sollte ich ihn nicht treffen und mit ihm quatschen können?"
Fawad Mohammadi, 16 Jahre alt, ein afghanischer Teenager voller Träume. Er ist in Kabul aufgewachsen. Er kennt seine Heimat nicht im Frieden. Er hat seinen Vater verloren.
"Meine Mutter hat mich stark gemacht. Meine Mutter ist auch mein Vater. Alles, was ich bin, habe ich meiner Mutter und Gott zu verdanken."
Als kleines Kind hat Fawad Straßenkarten, Streichhölzer und Kaugummi an die vielen ausländischen Helfer verkauft, die damals noch durch die Chicken Street in Kabul flanierten.
In der Chicken Street, berühmt für Teppiche und Schmuck, wurde Fawad von einer Filmcrew für den oscarnominierten Kurzfilm "Buzqashi Boys" entdeckt. Es war ein Wendepunkt in seinem Leben. Die vielen Ausländer haben Afghanistan längst wieder verlassen, während Fawad inzwischen eine der besten Privatschulen des Landes besucht.
Taqis afghanischer Traum
Auch Taqi will seine Hoffnung nicht aufgeben, der Schriftsteller, der gefangen ist zwischen dem eigenen Wunsch, in Kabul zu bleiben, und dem Drängen seiner Frau, zum Wohle der Kinder endlich nach Europa zu flüchten.
"Mein afghanischer Traum ist immer noch Frieden. Ich weiß, wie bitter der Krieg sein kann. Das macht Frieden nur noch wertvoller. Wenn ich nicht optimistisch wäre, dass wir hier eine Zukunft haben, dann sollte ich wirklich gehen.
"Mein afghanischer Traum ist immer noch Frieden. Ich weiß, wie bitter der Krieg sein kann. Das macht Frieden nur noch wertvoller. Wenn ich nicht optimistisch wäre, dass wir hier eine Zukunft haben, dann sollte ich wirklich gehen.
Aber ich erinnere mich an den Schriftsteller Stefan Zweig. Sein Herz war gebrochen, damals, im Jahr 1942, als er im Exil war. Er sah keine Zukunft mehr, weder für Europa, noch für Deutschland, Österreich oder für Salzburg, wo er so lange gelebt hat. Und so hat er sich umgebracht. In einem Moment, in dem er keine Hoffnung mehr sah.
Aber die Geschichte zeigt, dass es immer Hoffnung gibt. Europa ist wenige Jahre später wieder friedlich und großartig geworden. Afghanistan kann aus dieser Erfahrung lernen und es auch schaffen."