Abgeschoben nach Afghanistan
Eine Zukunft unter den Taliban kann sich der aus Deutschland abgeschobene Hasib nicht vorstellen (Symbolbild). © picture alliance / Xinhua News Agency / Hamidullah
"Mit den Taliban sehe ich keine Zukunft"
07:41 Minuten
Noch kurz vor der Machtübernahme der Taliban wurden Menschen aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben. Einer von ihnen ist der 22-jährige Hasib, der im Februar nach Kabul gebracht wurde. Bleiben will er nicht.
„Ich versuche weiterhin, von hier wegzukommen. Mal schauen, was passiert“, sagt Hasib am Telefon. Im vergangenen Februar wird er von den deutschen Behörden nach Kabul abgeschoben. In den Monaten zuvor will ihm Deutschland kein Asyl gewähren.
Sein Fluchtgrund sei nicht glaubwürdig gewesen. Hinzu kommt, dass er vor seiner eigenen Abschiebung geflüchtet und untergetaucht ist, was eine Straftat darstellt. „Ich war mehrere Monate in einem europäischen Nachbarland, weil ich Angst vor der drohenden Abschiebung hatte. Das war mein einziges Vergehen“, so Hasib.
Jeden Tag versuchte er am Flughafen sein Glück
Seit seiner Abschiebung hat der 22-Jährige, der mehrere Jahre im Allgäu lebte, dort zur Schule ging und gern Fußball spielte, nicht nur zahlreiche Anschläge sowie die massive Kriminalität in der afghanischen Hauptstadt erlebt, sondern auch den Abzug der NATO-Truppen - und die Rückkehr der radikal-islamistischen Taliban Mitte August.
Zu den Tausenden von Afghanen, die währenddessen versucht haben, evakuiert zu werden, um das Land zu verlassen, gehört auch Hasib. Im Sommer zieht er jeden Tag mit seinem vollgepackten Rucksack und seiner Dokumentenmappe zum Flughafen mit der Hoffnung, von irgendjemandem mitgenommen zu werden. "Ich bin wieder am Flughafen. Mal schauen, ob ich es heute schaffe.“
Falschinformationen in den sozialen Medien
Viele Afghanen denken da, dass westliche Soldatinnen und Soldaten sie retten würden. In den sozialen Medien gibt es zu dieser Zeit viele falsche Gerüchte. Auch Hasib raten Freude und Bekannte aus Deutschland, am Kabuler Flughafen sein Glück zu versuchen. Um diesen zu erreichen, muss er nicht nur die Checkpoints der Taliban passieren, sondern auch jene von afghanischen CIA-Milizen und NATO-Soldaten.
Auch das berüchtigte Söldnerunternehmen Academi, vielen unter dem Namen Blackwater bekannt, war präsent. US-Berichten zufolge verlangten die Söldner 6.500 US-Dollar pro Kopf für Evakuierungen. Ähnlich sollen sich auch afghanische Milizen verhalten haben, die im Anschluss vom US-Militär und der CIA ebenfalls evakuiert wurden. In den letzten Jahren machten sie meist mit Menschenrechtsverbrechen auf sich aufmerksam, etwa in Form von brutalen Razzien oder Bombardements gegen Zivilisten.
Seit 2015 lebte Hasib in Deutschland
Hasib hatte weder Geld noch andere Mittel, um die Milizen zu schmieren. Die bewaffneten Männer wiesen ihn stets ab. Kurz darauf griffen Terroristen der afghanischen IS-Zelle den Kabuler Flughafen an und töten mindestens zweihundert Afghanen und dreizehn US-Soldaten.
„Viele Menschen hatten nach dem Anschlag Angst und gingen nicht mehr zum Flughafen“, erinnert sich Hasib heute. Auch er blieb im Haus jener Familie, bei der er seit seiner Abschiebung untergekommen ist.
Während des großen Flüchtlingssommers im Jahr 2015 verließ Hasib Afghanistan als Minderjähriger. Sein Bruder, der für eine ausländische NGO tätig war, wurde von unbekannten Tätern, womöglich Taliban-Mitgliedern, ermordet.
"Das afghanische Volk wird Ghani nie verzeihen"
Doch während nun Kriegsopfer in Afghanistan verweilen müssen und dem neuen Taliban-Regime ausgesetzt sind, wurden viele jener Akteure, die für die Eskalation des Krieges mitverantwortlich sind, ausgeflogen. Das beste Beispiel hierfür sei, so Hasib, Ex-Präsident Ashraf Ghani, der mitsamt seiner Entourage aus Kabul flüchtete, während die Taliban die Hauptstadt einnahmen.
„Ausgerechnet Ghani, der uns vor wenigen Jahren verkauft hat! Seine Familie lebte doch auch zuvor in Amerika, im sicheren Ausland. Das afghanische Volk wird nie verzeihen, was er uns angetan hat. Ich hoffe, dass er eines Tages bestraft wird.“
Hasib spielt damit auf jenen Abschiebedeal an, der zwischen der Europäischen Union und der Ghani-Regierung im Herbst 2016 abgesegnet wurde. Kabul akzeptierte die Abschiebungen. Im Gegenzug flossen Millionen von Hilfsgeldern weiterhin in die Taschen korrupter Politiker. Seitdem gehörten Abschiebungen afghanischer Geflüchteter zum europäischen Alltag. Für jene, die Afghanistan aufgrund von Krieg, Hunger und Verzweiflung verließen, drückte Ghani seine Verachtung aus.
In Kabul fällt Hasib mit seinem Undercut, seinen Adidas-Pullovern und Sportsneakern weiterhin auf. Wie viele andere Afghanen versucht er nun, das Land zu verlassen, etwa über den Landweg nach Pakistan. Doch hierfür benötigt er ein pakistanisches Visum, das er noch nicht hat.
Massiver Anstieg der Armut
Zahlreiche Beobachter sprechen bereits von einem massiven Brain-Drain seit der Machtübernahme der Taliban. Die neuen Herrscher in Kabul wollen nicht nur ihre extremistischen Vorstellungen landesweit durchsetzen, sondern stehen gegenwärtig vor einer ökonomischen und humanitären Krise, an der Millionen von Afghanen bereits leiden. Die Bargeldknappheit im Land hat bereits zu einem massiven Anstieg der Armut geführt.
Doch im Fall von Hasib gibt es weitere Probleme, die eine erneute Flucht nach Deutschland schwierig gestalten. Seit seiner Abschiebung besteht eine dreißigmonatige Einreisesperre, die weiterhin gilt. Hinzu kommen die horrenden Abschiebekosten, mehrere Tausend Euro, die er an Deutschland begleichen muss.
„Ich habe viele Freunde in Deutschland, die mich unterstützen, doch auch die sind mittlerweile an ihre Grenzen gestoßen. Vielleicht können mir mehr Menschen helfen, wenn sie mich und meine Geschichte hören."
Die Taliban spielen die IS-Gefahr herunter
Auch Terroranschläge finden weiterhin statt. Seit der Machtübernahme der Taliban wurden mehrere Moscheen zum Ziel von IS-Anschlägen, die hauptsächlich der schiitischen Bevölkerung galten. Dutzende von Menschen wurden dabei getötet. Genaue Zahlen werden von den Taliban, die die IS-Gefahr herunterspielen, nicht veröffentlicht.
Zeitgleich sind die neuen Machthaber damit beschäftigt, jeglichen Dissens zu unterdrücken. Frauenproteste in mehreren Städten wurden mehrfach angegriffen und mit Gewalt aufgelöst. Zahlreiche Journalisten und Aktivisten haben bereits das Land verlassen oder zensieren sich teils selbst, um den Extremisten nicht auf die Füße zu treten.
In den letzten Tagen und Wochen haben die Fluchtwellen in die Nachbarländer bereits massiv zugenommen. Die Preise für Visa oder Reisetickets haben sich mittlerweile vervielfacht, während an den Landesgrenzen, etwa jener zur Pakistan, regelmäßig Chaos herrscht.
Warten auf ein Visum für Pakistan
„Auch ich werde wohl nach Pakistan gehen. Von dort aus wird mir hoffentlich eine Rückreise nach Deutschland ermöglicht“, sagt Hasib.
Gegenwärtig wartet er auf sein pakistanisches Visum. Die meisten Evakuierungen sind weiterhin nur über den Landweg möglich, weshalb auch Hasib eine anstrengende Reise bevorsteht. Dass niemand in Europa über die Zukunft abgeschobener Afghanen spricht, schockiert ihn.
„Die EU hat mit der vorherigen Regierung einen Deal abgeschlossen, um unsere Abschiebungen zu ermöglichen. Afghaninnen und Afghanen wurden kollektiv als schlechte Menschen abgestempelt und kriminalisiert. So wurden unsere brutalen Rückführungen auch vor der Gesellschaft gerechtfertigt.“
"Die Menschen hungern und haben Angst"
Noch kurz vor der Machtübernahme der Taliban fanden Abschiebungen nach Afghanistan weiterhin statt – und zwar mit immensem Druck auf die afghanischen Behörden. Sowohl Deutschland als auch andere EU-Staaten wie Österreich, pochten auf eine Fortführung der Praxis – den Realitäten vor Ort zum Trotz. Dass die Abschiebungen seit der Rückkehr der Taliban ausgesetzt wurden, hat gewiss nicht nur mit dem guten Willen europäischer Politiker zu tun, sondern auch mit der chaotischen und unübersichtlichen Lage.
„Die Situation im Land ist wirklich schlimm", sagt Hasib. "Die Menschen hungern und haben Angst. Mit dem Taliban sehe ich überhaupt keine Zukunft. Sie sind brutal und gewalttätig, während sie versuchen, der Welt ein anderes Gesicht zu zeigen.“