"Das Land steht vor einer humanitären Katastrophe"
08:00 Minuten
Die vom Verteidigungsministerium angesetzte Afghanistan-Konferenz bezeichnet der Journalist Emran Feroz als "Scheinversuch" einer Aufarbeitung. Statt so eine Konferenz abzuhalten, sollte man viel dringlicher den Menschen vor Ort helfen, betont er.
Die Bundesregierung und der Bundestag streiten über die Aufarbeitung des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr. Die Fraktionen von Union, SPD, Grünen und FDP sagten ihre Teilnahme an der für Mittwoch angesetzten Auftaktveranstaltung des Verteidigungsministeriums ab.
Der vom Ministerium anberaumte Termin sei "ignorant", sagt die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Es gäbe noch keinen neuen Bundestag und der alte habe kein Mandat mehr dafür. Außerdem brauche es einen Untersuchungsausschuss und keine Konferenz.
Nach den Eroberungen der Taliban habe Afghanistan nur kurz Aufmerksamkeit bekommen. Diese sei schnell wieder verschwunden, meint der österreichische Journalist Emran Feroz, der afghanische Wurzeln hat. Seitens der CDU gebe es nun einen "Scheinversuch", alles aufzuarbeiten, "aber eigentlich meint man das gar nicht so", sagt Feroz.
Primär Menschen vor Ort helfen
Es gibt nach Feroz Angaben weiterhin viele Menschen in Afghanistan, die mit der Bundeswehr zusammengearbeitet haben und dort festsitzen: "Bevor man hier so eine Konferenz veranstaltet, sollte man doch vielleicht schauen, dass man diese ganze unnötige Bürokratie beiseite drängt und wirklich den Menschen vor Ort hilft", fordert Feroz, der als freier Journalist auch für Deutschlandfunk Kultur tätig ist.
Viele Journalisten in Afghanistan, die er kenne, stellten sich derzeit sehr existenzielle Fragen und übten Selbstzensur, da nicht klar sei, wie sie unter dem neuen Regime arbeiten dürfen, berichtet Feroz. "Sie fühlen sich eindeutig bedroht." Ähnlich ginge es Menschen, die Teil der Regierung oder als Menschenrechtsaktivisten tätig waren.
Aber auch der Rest der Bevölkerung habe existenzielle Ängste. "Die meisten Durchschnittsafghanen haben wirklich sehr starke wirtschaftliche Probleme, weil das Land vor einer humanitären Katastrophe steht", so Feroz.
Westliche Regierungen und die Taliban
Die Legitimation der Taliban durch westliche Akteure habe schon lange stattgefunden, sagt Feroz. Schon 2020 haben die Amerikaner den Abzugsdeal mit den Taliban verhandelt. "Da war ja klar, dass man eine Taliban-Regierung in Zukunft auch anerkennen würde."
Man habe in den letzten 20 Jahren gesehen, dass man die Taliban "nicht wegbomben" könne. Man müsse allerdings weiterhin unterscheiden "zwischen den Taliban und einem Großteil der afghanischen Bevölkerung", so Feroz. Das sei ein diplomatischer Spagat, "dass man eben auch durch etwaige Hilfsgelder, von denen Afghanistan abhängig sein wird, Druck auf die Taliban ausübt."
(nho)