Emran Feroz ist freier Journalist mit afghanischen Wurzeln. Er berichtet regelmäßig über die politische Lage im Nahen Osten und Zentralasien. Feroz publiziert in deutsch- und englischsprachigen Medien.
Afghanistan unter Sanktionen
Die Not und das Leid der afghanischen Bevölkerung nimmt jeden Tag zu. © picture alliance / AA / Bilal Guler
Es leidet vor allem die Bevölkerung
Seit dem Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan ist das Land wirtschaftlichen Sanktionen hilflos ausgesetzt. Die Opfer sind nicht die Taliban, sondern in erster Linie die Bevölkerung, sagt Journalist Emran Feroz.
Es war zu erwarten, und doch ist es abermals frustrierend: Seitdem die internationalen Truppen im vergangenen Sommer aus Afghanistan abgezogen und die militant-islamistischen Taliban an die Macht zurückgekehrt sind, hat sich das Land zunehmend aus den Schlagzeilen verabschiedet. Das hiesige politische Geschehen und Corona bestimmen wieder den medialen Diskurs. Doch gerade jetzt wäre höchste Aufmerksamkeit angebracht, denn Afghanistan schlittert nicht nur in die nächste Katastrophe, sondern befindet sich bereits in einer.
Nach dem NATO-Abzug wurde das Land mit wirtschaftlichen Sanktionen, allen voran vonseiten der USA, überzogen. Der Grund: Man ist mit den neuen Machthabern und dem blamablen Ausgang des Krieges nicht zufrieden. Abgesehen von den milliardenhohen Hilfsgeldern, die gestoppt wurden, hat Washington auch die afghanischen Staatsreserven im Ausland in Höhe von rund neun Milliarden US-Dollar einfrieren lassen.
Die Leidtragenden sind nicht die Taliban, deren Rückkehr die Trump-Administration mittels des Doha-Deals vor zwei Jahren selbst ermöglicht hat, sondern mehr als 30 Millionen Afghanen, die weiterhin im Land verweilen. Sie wurden nicht evakuiert und sind dort, um zu bleiben.
Entwickelt sich Afghanistan zur Todeszone?
Immerhin ist es ihre Heimat. Die könnte sich nun abermals zu einer Todeszone entwickeln. Es herrschen Bargeldknappheit und Lebensmittelnot. Ein Laib Brot kostet mittlerweile doppelt so viel wie vor wenigen Monaten. Zeitgleich verliert der Afghani, die afghanische Währung, tagtäglich an Wert. Falls sich die Situation nicht umgehend ändert, könnten in den nächsten Monaten und Jahren mehr Afghanen durch Hunger sterben als durch den Krieg der letzten zwei Jahrzehnte.
Während Washington weiterhin die kalte Schulter zeigt und die Afghanen, so scheint es, kollektiv bestrafen will, sind es vor allem wir, ihre Verwandten in der Diaspora, die versuchen, ihre Heimat am Leben zu halten. Mittels Western Union, Moneygram oder dem Hawala-System, einem halblegalen Kontaktnetzwerk für Bargeldtransfer, erreichen tagtäglich Hunderttausende von Euros das Land.
Der wirtschaftliche Kollaps hat viele Schuldige
Fast jeder Afghane im Ausland hat Verwandte in der Heimat, die ohne diese Hilfe nicht überleben würden. Doch nun ist selbst diese aufgrund der Sanktionen gefährdet, denn den Banken und Auszahlungsstellen geht das Bargeld aus.
Als ich etwa zuletzt meinem Cousin 1000 Euro schicken wollte, hieß es in Kabul, dass man ihm wöchentlich nur 150 bis 200 Euro auszahlen könne. Außerdem lässt sich ein so großes Land ohnehin nicht ausschließlich mittels solcher Zahlungen retten.
Afghanistan befindet sich praktisch im freien Fall – und der wirtschaftliche Kollaps ist nicht nur auf die Rückkehr der Taliban zurückzuführen. Vor allem die Geberländer, die das Land 20 Jahre lang militärisch besetzt haben, tragen Mitverantwortung. Immerhin ist es ihnen nicht gelungen, einen wirtschaftlich souveränen Staat aufzubauen.
Stattdessen schufen sie in erster Linie einen korrupten Kriegsapparat, der von Warlords und fragwürdigen Politikern wie den beiden Ex-Präsidenten Hamid Karzai und Ashraf Ghani dominiert wurde. Dass weite Teile ebenjener Klasse mit Taschen und Koffern voller Geld geflüchtet ist und mittlerweile im sicheren Ausland verweilen, während ein Großteil der afghanischen Bevölkerung hungert und nun unter den Taliban leben muss, ist ein Skandal, der weiterhin seinesgleichen sucht.